Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Krankheit ergriffen und starben. Dergleichen Fälle liessen
sich noch in viel bedeutenderer Anzahl anhäufen.

"Es wird aber schon aus dem Angeführten und nament-
lich aus dem der Praxis des Dr. Campbell Entnommenen klar
hervorgehen, dass die Engländer diese Uebertragungen nicht
in dem Sinne nehmen, wie Semmelweis und Skoda sie ver-
standen wissen wollen, nämlich nicht durch eine Uebertra-
gung von putriden Stoffen auf die Geschlechtstheile der Frau,
sondern durch die Uebertragung der Krankheit qua talis von
einer Frau auf die andere.

"Dass dies die Auslegung sei, geht schon aus den ge-
machten Mittheilungen hervor, wird aber besonders durch
folgenden Ausspruch Churchill's klar dargethan: ,Nach
aufmerksamer Prüfung der Thatsachen kann ich nicht zwei-
feln, dass die Krankheit durch Ansteckung und Berührung
weiter verbreitet wird, d. h. dass sie von einer am Puerperal-
fieber Leidenden einer andern Person mitgetheilt werden kann,
die mit derselben in Berührung ist, oder in enger Nachbar-
schaft sich befindet.'

"Die Entscheidung der Frage, welche von beiden Ausle-
gungen als die richtige sich herausstellt, ist begreiflicherweise
von grosser praktischer Bedeutung; denn wenn die in Eng-
land gewöhnliche Ansicht der Dinge Geltung erlangt, so folgt
daraus keineswegs das Verbot, sich mit Leichen von Personen
zu beschäftigen, die an anderen als Puerperalkrankheiten ge-
storben sind, während wir hinwieder keinen Anstand nehmen,
von einer kranken Wöchnerin zur andern zu gehen, ohne
Kleider gewechselt zu haben, wie man dies in England zu
thun vorschreibt, weil man die Lehre von der Uebertragbar-
keit der Krankheit so weit ausdehnt, dass man annimmt, ein
gesunder Mensch (also auch der Arzt), der von einer am Wo-
chenbette Erkrankten herkomme, könne dieselbe Krankheit,
ohne dass Berührung stattgefunden habe, auf eine bis dahin
gesunde Wöchnerin übertragen. Diese Fähigkeit der Uebertra-
gung scheint nach der dort üblichen Annahme für längere Zeit

Krankheit ergriffen und starben. Dergleichen Fälle liessen
sich noch in viel bedeutenderer Anzahl anhäufen.

»Es wird aber schon aus dem Angeführten und nament-
lich aus dem der Praxis des Dr. Campbell Entnommenen klar
hervorgehen, dass die Engländer diese Uebertragungen nicht
in dem Sinne nehmen, wie Semmelweis und Skoda sie ver-
standen wissen wollen, nämlich nicht durch eine Uebertra-
gung von putriden Stoffen auf die Geschlechtstheile der Frau,
sondern durch die Uebertragung der Krankheit qua talis von
einer Frau auf die andere.

»Dass dies die Auslegung sei, geht schon aus den ge-
machten Mittheilungen hervor, wird aber besonders durch
folgenden Ausspruch Churchill’s klar dargethan: ‚Nach
aufmerksamer Prüfung der Thatsachen kann ich nicht zwei-
feln, dass die Krankheit durch Ansteckung und Berührung
weiter verbreitet wird, d. h. dass sie von einer am Puerperal-
fieber Leidenden einer andern Person mitgetheilt werden kann,
die mit derselben in Berührung ist, oder in enger Nachbar-
schaft sich befindet.‘

»Die Entscheidung der Frage, welche von beiden Ausle-
gungen als die richtige sich herausstellt, ist begreiflicherweise
von grosser praktischer Bedeutung; denn wenn die in Eng-
land gewöhnliche Ansicht der Dinge Geltung erlangt, so folgt
daraus keineswegs das Verbot, sich mit Leichen von Personen
zu beschäftigen, die an anderen als Puerperalkrankheiten ge-
storben sind, während wir hinwieder keinen Anstand nehmen,
von einer kranken Wöchnerin zur andern zu gehen, ohne
Kleider gewechselt zu haben, wie man dies in England zu
thun vorschreibt, weil man die Lehre von der Uebertragbar-
keit der Krankheit so weit ausdehnt, dass man annimmt, ein
gesunder Mensch (also auch der Arzt), der von einer am Wo-
chenbette Erkrankten herkomme, könne dieselbe Krankheit,
ohne dass Berührung stattgefunden habe, auf eine bis dahin
gesunde Wöchnerin übertragen. Diese Fähigkeit der Uebertra-
gung scheint nach der dort üblichen Annahme für längere Zeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="191"/>
Krankheit ergriffen und starben. Dergleichen Fälle liessen<lb/>
sich noch in viel bedeutenderer Anzahl anhäufen.</p><lb/>
          <p>»Es wird aber schon aus dem Angeführten und nament-<lb/>
lich aus dem der Praxis des Dr. <hi rendition="#g">Campbell</hi> Entnommenen klar<lb/>
hervorgehen, dass die Engländer diese Uebertragungen nicht<lb/>
in dem Sinne nehmen, wie <hi rendition="#g">Semmelweis</hi> und <hi rendition="#g">Skoda</hi> sie ver-<lb/>
standen wissen wollen, nämlich nicht durch eine Uebertra-<lb/>
gung von putriden Stoffen auf die Geschlechtstheile der Frau,<lb/>
sondern durch die Uebertragung der Krankheit <hi rendition="#i">qua talis</hi> von<lb/>
einer Frau auf die andere.</p><lb/>
          <p>»Dass dies die Auslegung sei, geht schon aus den ge-<lb/>
machten Mittheilungen hervor, wird aber besonders durch<lb/>
folgenden Ausspruch <hi rendition="#g">Churchill</hi>&#x2019;s klar dargethan: &#x201A;Nach<lb/>
aufmerksamer Prüfung der Thatsachen kann ich nicht zwei-<lb/>
feln, dass die Krankheit durch Ansteckung und Berührung<lb/>
weiter verbreitet wird, d. h. dass sie von einer am Puerperal-<lb/>
fieber Leidenden einer andern Person mitgetheilt werden kann,<lb/>
die mit derselben in Berührung ist, oder in enger Nachbar-<lb/>
schaft sich befindet.&#x2018;</p><lb/>
          <p>»Die Entscheidung der Frage, welche von beiden Ausle-<lb/>
gungen als die richtige sich herausstellt, ist begreiflicherweise<lb/>
von grosser praktischer Bedeutung; denn wenn die in Eng-<lb/>
land gewöhnliche Ansicht der Dinge Geltung erlangt, so folgt<lb/>
daraus keineswegs das Verbot, sich mit Leichen von Personen<lb/>
zu beschäftigen, die an anderen als Puerperalkrankheiten ge-<lb/>
storben sind, während wir hinwieder keinen Anstand nehmen,<lb/>
von einer kranken Wöchnerin zur andern zu gehen, ohne<lb/>
Kleider gewechselt zu haben, wie man dies in England zu<lb/>
thun vorschreibt, weil man die Lehre von der Uebertragbar-<lb/>
keit der Krankheit so weit ausdehnt, dass man annimmt, ein<lb/>
gesunder Mensch (also auch der Arzt), der von einer am Wo-<lb/>
chenbette Erkrankten herkomme, könne dieselbe Krankheit,<lb/>
ohne dass Berührung stattgefunden habe, auf eine bis dahin<lb/>
gesunde Wöchnerin übertragen. Diese Fähigkeit der Uebertra-<lb/>
gung scheint nach der dort üblichen Annahme für längere Zeit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0203] Krankheit ergriffen und starben. Dergleichen Fälle liessen sich noch in viel bedeutenderer Anzahl anhäufen. »Es wird aber schon aus dem Angeführten und nament- lich aus dem der Praxis des Dr. Campbell Entnommenen klar hervorgehen, dass die Engländer diese Uebertragungen nicht in dem Sinne nehmen, wie Semmelweis und Skoda sie ver- standen wissen wollen, nämlich nicht durch eine Uebertra- gung von putriden Stoffen auf die Geschlechtstheile der Frau, sondern durch die Uebertragung der Krankheit qua talis von einer Frau auf die andere. »Dass dies die Auslegung sei, geht schon aus den ge- machten Mittheilungen hervor, wird aber besonders durch folgenden Ausspruch Churchill’s klar dargethan: ‚Nach aufmerksamer Prüfung der Thatsachen kann ich nicht zwei- feln, dass die Krankheit durch Ansteckung und Berührung weiter verbreitet wird, d. h. dass sie von einer am Puerperal- fieber Leidenden einer andern Person mitgetheilt werden kann, die mit derselben in Berührung ist, oder in enger Nachbar- schaft sich befindet.‘ »Die Entscheidung der Frage, welche von beiden Ausle- gungen als die richtige sich herausstellt, ist begreiflicherweise von grosser praktischer Bedeutung; denn wenn die in Eng- land gewöhnliche Ansicht der Dinge Geltung erlangt, so folgt daraus keineswegs das Verbot, sich mit Leichen von Personen zu beschäftigen, die an anderen als Puerperalkrankheiten ge- storben sind, während wir hinwieder keinen Anstand nehmen, von einer kranken Wöchnerin zur andern zu gehen, ohne Kleider gewechselt zu haben, wie man dies in England zu thun vorschreibt, weil man die Lehre von der Uebertragbar- keit der Krankheit so weit ausdehnt, dass man annimmt, ein gesunder Mensch (also auch der Arzt), der von einer am Wo- chenbette Erkrankten herkomme, könne dieselbe Krankheit, ohne dass Berührung stattgefunden habe, auf eine bis dahin gesunde Wöchnerin übertragen. Diese Fähigkeit der Uebertra- gung scheint nach der dort üblichen Annahme für längere Zeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/203
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/203>, abgerufen am 22.11.2024.