tellurischen Einflüssen unterworfen sein müssen. Diese Be- trachtungen allein waren es, welche mir die unerschütter- liche Ueberzeugung aufdrängten, dass es keine epidemischen Einflüsse seien, welche die schreckenerregenden Verheerungen unter den Wöchnerinnen der ersten Gebärklinik hervorrufen.
Nachdem einmal diese unerschütterliche antiepidemische Ueberzeugung sich meiner bemächtiget hatte, fanden sich bald manche Gründe, welche mich in meiner Ueberzeugung immer mehr und mehr bestärkten. Wir wollen sie in Folgendem an- führen:
Wenn die atmosphärischen Einflüsse der Stadt Wien eine Kindbettfieber-Epidemie im Gebärhause hervorrufen, so müsste ja nothwendiger Weise -- da die Bevölkerung der Stadt Wien denselben Einflüssen unterworfen ist -- auch in der Stadt das Kindbettfieber unter den Wöchnerinnen epidemisch herrschen, in der Wirklichkeit aber beobachtete man während des stärk- sten Wüthens der Puerperalkrankheit im Gebärhause weder in Wien, noch auf dem Lande ein häufiges Erkranken der Wöchnerinnen.
Wenn die Cholera epidemisch herrscht, erkrankt ja be- kanntermassen nicht nur die Bevölkerung eines Spitals, son- dern auch die Bevölkerung selbst.
Eine sehr häufig, und zwar mit Erfolg geübte Massregel, um einer herrschenden Kindbettfieber-Epidemie Einhalt zu thun, ist das Schliessen der Gebärhäuser. Man schliesst die Gebärhäuser nicht in der Absicht, dass die Wöchnerinnen nicht im Gebärhause, sondern wo anders sterben sollen, son- dern man schliesst selbe in der Ueberzeugung: dass, wenn sie im Gebärhause gebären würden, würden sie den epidemischen Einflüssen unterliegen, wenn sie aber ausserhalb des Gebär- hauses entbinden, werden sie gesund bleiben. Dadurch ist aber der Beweis gegeben, dass man es mit keiner Epidemie zu thun hatte, d. h. mit keiner Krankheit, welche durch at- mosphärische Einflüsse bedingt ist, weil die atmosphärischen Einflüsse über die Grenzen des Gebärhauses hinaus, in wel-
tellurischen Einflüssen unterworfen sein müssen. Diese Be- trachtungen allein waren es, welche mir die unerschütter- liche Ueberzeugung aufdrängten, dass es keine epidemischen Einflüsse seien, welche die schreckenerregenden Verheerungen unter den Wöchnerinnen der ersten Gebärklinik hervorrufen.
Nachdem einmal diese unerschütterliche antiepidemische Ueberzeugung sich meiner bemächtiget hatte, fanden sich bald manche Gründe, welche mich in meiner Ueberzeugung immer mehr und mehr bestärkten. Wir wollen sie in Folgendem an- führen:
Wenn die atmosphärischen Einflüsse der Stadt Wien eine Kindbettfieber-Epidemie im Gebärhause hervorrufen, so müsste ja nothwendiger Weise — da die Bevölkerung der Stadt Wien denselben Einflüssen unterworfen ist — auch in der Stadt das Kindbettfieber unter den Wöchnerinnen epidemisch herrschen, in der Wirklichkeit aber beobachtete man während des stärk- sten Wüthens der Puerperalkrankheit im Gebärhause weder in Wien, noch auf dem Lande ein häufiges Erkranken der Wöchnerinnen.
Wenn die Cholera epidemisch herrscht, erkrankt ja be- kanntermassen nicht nur die Bevölkerung eines Spitals, son- dern auch die Bevölkerung selbst.
Eine sehr häufig, und zwar mit Erfolg geübte Massregel, um einer herrschenden Kindbettfieber-Epidemie Einhalt zu thun, ist das Schliessen der Gebärhäuser. Man schliesst die Gebärhäuser nicht in der Absicht, dass die Wöchnerinnen nicht im Gebärhause, sondern wo anders sterben sollen, son- dern man schliesst selbe in der Ueberzeugung: dass, wenn sie im Gebärhause gebären würden, würden sie den epidemischen Einflüssen unterliegen, wenn sie aber ausserhalb des Gebär- hauses entbinden, werden sie gesund bleiben. Dadurch ist aber der Beweis gegeben, dass man es mit keiner Epidemie zu thun hatte, d. h. mit keiner Krankheit, welche durch at- mosphärische Einflüsse bedingt ist, weil die atmosphärischen Einflüsse über die Grenzen des Gebärhauses hinaus, in wel-
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[6/0018]
tellurischen Einflüssen unterworfen sein müssen. Diese Be-
trachtungen allein waren es, welche mir die unerschütter-
liche Ueberzeugung aufdrängten, dass es keine epidemischen
Einflüsse seien, welche die schreckenerregenden Verheerungen
unter den Wöchnerinnen der ersten Gebärklinik hervorrufen.
Nachdem einmal diese unerschütterliche antiepidemische
Ueberzeugung sich meiner bemächtiget hatte, fanden sich bald
manche Gründe, welche mich in meiner Ueberzeugung immer
mehr und mehr bestärkten. Wir wollen sie in Folgendem an-
führen:
Wenn die atmosphärischen Einflüsse der Stadt Wien eine
Kindbettfieber-Epidemie im Gebärhause hervorrufen, so müsste
ja nothwendiger Weise — da die Bevölkerung der Stadt Wien
denselben Einflüssen unterworfen ist — auch in der Stadt das
Kindbettfieber unter den Wöchnerinnen epidemisch herrschen,
in der Wirklichkeit aber beobachtete man während des stärk-
sten Wüthens der Puerperalkrankheit im Gebärhause weder
in Wien, noch auf dem Lande ein häufiges Erkranken der
Wöchnerinnen.
Wenn die Cholera epidemisch herrscht, erkrankt ja be-
kanntermassen nicht nur die Bevölkerung eines Spitals, son-
dern auch die Bevölkerung selbst.
Eine sehr häufig, und zwar mit Erfolg geübte Massregel,
um einer herrschenden Kindbettfieber-Epidemie Einhalt zu
thun, ist das Schliessen der Gebärhäuser. Man schliesst die
Gebärhäuser nicht in der Absicht, dass die Wöchnerinnen
nicht im Gebärhause, sondern wo anders sterben sollen, son-
dern man schliesst selbe in der Ueberzeugung: dass, wenn sie
im Gebärhause gebären würden, würden sie den epidemischen
Einflüssen unterliegen, wenn sie aber ausserhalb des Gebär-
hauses entbinden, werden sie gesund bleiben. Dadurch ist
aber der Beweis gegeben, dass man es mit keiner Epidemie
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/18>, abgerufen am 24.11.2024.
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