schaft der Aerzte zu Wien", erster Jahrgang, 19. Februar 1855, Nr. 8:
Winke zur Vorbeugung der Puerperal-Epidemie. Von weiland Professor Chiari.
"Ich erlaube mir hier die Aufmerksamkeit auf einen Ge- genstand zu lenken, der, wenn auch vielfach besprochen, den- noch vieler Aufklärungen bedarf. Es ist dies die Entstehung und Vorbeugung der sogenannten Puerperal-Epidemien, ich sage sogenannten, da es constatirt ist, dass derlei Erkrankun- gen nicht etwa zahlreicher gleichzeitig über einen grossen Di- strict verbreitet vorkommen, sondern bekanntermassen meist nur an Entbindungsanstalten, und auch da nicht gleichmässig an den verschiedenen Abtheilungen derselben auftreten.
"Ich will hier nicht auf die verschiedenen Ansichten über die Entstehungsursache dieser wirklich furchtbaren Krankheit zurückkommen, erlaube mir aber nur einige Beobachtungen über die Veranlassung zu zahlreichen Erkrankungen von Wöchnerinnen zu geben, die ich während meiner Amtswirk- samkeit in Prag machte.
"Vom 23. bis 27. Jänner 1853 wurde bei einer Erstgebä- renden eine den eben bestimmten Zeitraum anhaltende Ver- zögerung der Geburt durch Verdickung des Muttermundes und nachträgliche Gangränescenz noch während der Geburt beobachtet. Nachdem vergebens Bäder, Einspritzungen, An- tiphlogose, Incisionen des knorpelharten und fingerdick gewul- steten Muttermundes angewendet worden waren, schritt man zur Verkleinerung des bereits durch den längeren Geburtsact abgestorbenen Kindes, um die Geburt nach viertägiger Dauer zu vollenden. Die Absonderung aus der Scheide war in den zwei letzten Tagen bräunlich, missfärbig, höchst übelriechend. Die Wöchnerin erkrankte an heftiger Endometritis septica und erlag den 1. Februar dieser Krankheit. Von dem Tage an, wo diese Gebärende auf dem Geburtszimmer war, er- krankten neun andere Gebärende, die mit ihr zugleich auf
schaft der Aerzte zu Wien«, erster Jahrgang, 19. Februar 1855, Nr. 8:
Winke zur Vorbeugung der Puerperal-Epidemie. Von weiland Professor Chiari.
»Ich erlaube mir hier die Aufmerksamkeit auf einen Ge- genstand zu lenken, der, wenn auch vielfach besprochen, den- noch vieler Aufklärungen bedarf. Es ist dies die Entstehung und Vorbeugung der sogenannten Puerperal-Epidemien, ich sage sogenannten, da es constatirt ist, dass derlei Erkrankun- gen nicht etwa zahlreicher gleichzeitig über einen grossen Di- strict verbreitet vorkommen, sondern bekanntermassen meist nur an Entbindungsanstalten, und auch da nicht gleichmässig an den verschiedenen Abtheilungen derselben auftreten.
»Ich will hier nicht auf die verschiedenen Ansichten über die Entstehungsursache dieser wirklich furchtbaren Krankheit zurückkommen, erlaube mir aber nur einige Beobachtungen über die Veranlassung zu zahlreichen Erkrankungen von Wöchnerinnen zu geben, die ich während meiner Amtswirk- samkeit in Prag machte.
»Vom 23. bis 27. Jänner 1853 wurde bei einer Erstgebä- renden eine den eben bestimmten Zeitraum anhaltende Ver- zögerung der Geburt durch Verdickung des Muttermundes und nachträgliche Gangränescenz noch während der Geburt beobachtet. Nachdem vergebens Bäder, Einspritzungen, An- tiphlogose, Incisionen des knorpelharten und fingerdick gewul- steten Muttermundes angewendet worden waren, schritt man zur Verkleinerung des bereits durch den längeren Geburtsact abgestorbenen Kindes, um die Geburt nach viertägiger Dauer zu vollenden. Die Absonderung aus der Scheide war in den zwei letzten Tagen bräunlich, missfärbig, höchst übelriechend. Die Wöchnerin erkrankte an heftiger Endometritis septica und erlag den 1. Februar dieser Krankheit. Von dem Tage an, wo diese Gebärende auf dem Geburtszimmer war, er- krankten neun andere Gebärende, die mit ihr zugleich auf
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schaft der Aerzte zu Wien«, erster Jahrgang, 19. Februar 1855,
Nr. 8:
Winke zur Vorbeugung der Puerperal-Epidemie.
Von weiland Professor Chiari.
»Ich erlaube mir hier die Aufmerksamkeit auf einen Ge-
genstand zu lenken, der, wenn auch vielfach besprochen, den-
noch vieler Aufklärungen bedarf. Es ist dies die Entstehung
und Vorbeugung der sogenannten Puerperal-Epidemien, ich
sage sogenannten, da es constatirt ist, dass derlei Erkrankun-
gen nicht etwa zahlreicher gleichzeitig über einen grossen Di-
strict verbreitet vorkommen, sondern bekanntermassen meist
nur an Entbindungsanstalten, und auch da nicht gleichmässig
an den verschiedenen Abtheilungen derselben auftreten.
»Ich will hier nicht auf die verschiedenen Ansichten über
die Entstehungsursache dieser wirklich furchtbaren Krankheit
zurückkommen, erlaube mir aber nur einige Beobachtungen
über die Veranlassung zu zahlreichen Erkrankungen von
Wöchnerinnen zu geben, die ich während meiner Amtswirk-
samkeit in Prag machte.
»Vom 23. bis 27. Jänner 1853 wurde bei einer Erstgebä-
renden eine den eben bestimmten Zeitraum anhaltende Ver-
zögerung der Geburt durch Verdickung des Muttermundes
und nachträgliche Gangränescenz noch während der Geburt
beobachtet. Nachdem vergebens Bäder, Einspritzungen, An-
tiphlogose, Incisionen des knorpelharten und fingerdick gewul-
steten Muttermundes angewendet worden waren, schritt man
zur Verkleinerung des bereits durch den längeren Geburtsact
abgestorbenen Kindes, um die Geburt nach viertägiger Dauer
zu vollenden. Die Absonderung aus der Scheide war in den
zwei letzten Tagen bräunlich, missfärbig, höchst übelriechend.
Die Wöchnerin erkrankte an heftiger Endometritis septica
und erlag den 1. Februar dieser Krankheit. Von dem Tage
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krankten neun andere Gebärende, die mit ihr zugleich auf
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/160>, abgerufen am 24.11.2024.
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