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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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Es ist die vorherrschende Ansicht, dass der Winter die-
jenige Jahreszeit sei, welche vorzüglich den Ausbruch des
Kindbettfiebers begünstige, und in der That, wenn wir die
Tabellen Nr. IX. und X. (Seite 21 und 24) betrachten, so
zeigt sich, dass in den Wintermonaten wirklich häufiger
ein ungünstiger Gesundheitszustand unter den Wöchnerinnen
herrschte und seltener ein günstiger, während in den Som-
mermonaten häufiger ein günstiger und seltener ein ungünsti-
ger Gesundheitszustand der Wöchnerinnen zu beobachten war.

Aber diese Erscheinung ist nicht durch atmosphärische
Einflüsse des Winters zu erklären, denn sonst könnte ja das
Kindbettfieber im Sommer nie in grösserer Ausdehnung vor-
kommen.

Diese Erscheinung ist zu erklären durch die verschiedene
Art der Beschäftigungen derjenigen, die das Gebärhaus be-
suchen, welche Beschäftigungen durch die Jahreszeit be-
dingt sind.

Nach den grossen Ferien in den Monaten August und
September gehen die Schüler mit frischem Eifer an ihre Stu-
dien, folglich auch an das Studium der Geburtshilfe, und in
den Wintermonaten ist der Andrang der Schüler in das Ge-
bärhaus so gross, dass der Einzelne oft Wochen ja Monate
lang warten muss, bis die Reihe der Aufnahme ihn trifft, wäh-
rend in den Sommermonaten oft die Hälfte, ja in den Ferial-
monaten oft zwei Dritttheile der Plätze unbesetzt sind; in
den Wintermonaten werden die pathologischen und gerichtli-
chen Sectionen; die medicinischen und chirurgischen Abthei-
lungen des k. k. allgemeinen Krankenhauses auch von den im
Gebärhause Beschäftigten sehr fleissig besucht. Im Sommer
lässt der Fleiss bedeutend nach; die reizenden Umgebungen
Wiens üben eine grössere Anziehungskraft aus, als die stin-
kende Todtenkammer oder die schwülen Räume des Kranken-
hauses. Im Winter hält der Assistent der Geburtshilfe die
praktischen Operationsübungen am Cadaver vor der um vier
Uhr zu haltenden Nachmittagsvisite, weil Vormittag die Schü-

Es ist die vorherrschende Ansicht, dass der Winter die-
jenige Jahreszeit sei, welche vorzüglich den Ausbruch des
Kindbettfiebers begünstige, und in der That, wenn wir die
Tabellen Nr. IX. und X. (Seite 21 und 24) betrachten, so
zeigt sich, dass in den Wintermonaten wirklich häufiger
ein ungünstiger Gesundheitszustand unter den Wöchnerinnen
herrschte und seltener ein günstiger, während in den Som-
mermonaten häufiger ein günstiger und seltener ein ungünsti-
ger Gesundheitszustand der Wöchnerinnen zu beobachten war.

Aber diese Erscheinung ist nicht durch atmosphärische
Einflüsse des Winters zu erklären, denn sonst könnte ja das
Kindbettfieber im Sommer nie in grösserer Ausdehnung vor-
kommen.

Diese Erscheinung ist zu erklären durch die verschiedene
Art der Beschäftigungen derjenigen, die das Gebärhaus be-
suchen, welche Beschäftigungen durch die Jahreszeit be-
dingt sind.

Nach den grossen Ferien in den Monaten August und
September gehen die Schüler mit frischem Eifer an ihre Stu-
dien, folglich auch an das Studium der Geburtshilfe, und in
den Wintermonaten ist der Andrang der Schüler in das Ge-
bärhaus so gross, dass der Einzelne oft Wochen ja Monate
lang warten muss, bis die Reihe der Aufnahme ihn trifft, wäh-
rend in den Sommermonaten oft die Hälfte, ja in den Ferial-
monaten oft zwei Dritttheile der Plätze unbesetzt sind; in
den Wintermonaten werden die pathologischen und gerichtli-
chen Sectionen; die medicinischen und chirurgischen Abthei-
lungen des k. k. allgemeinen Krankenhauses auch von den im
Gebärhause Beschäftigten sehr fleissig besucht. Im Sommer
lässt der Fleiss bedeutend nach; die reizenden Umgebungen
Wiens üben eine grössere Anziehungskraft aus, als die stin-
kende Todtenkammer oder die schwülen Räume des Kranken-
hauses. Im Winter hält der Assistent der Geburtshilfe die
praktischen Operationsübungen am Cadaver vor der um vier
Uhr zu haltenden Nachmittagsvisite, weil Vormittag die Schü-

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[121/0133] Es ist die vorherrschende Ansicht, dass der Winter die- jenige Jahreszeit sei, welche vorzüglich den Ausbruch des Kindbettfiebers begünstige, und in der That, wenn wir die Tabellen Nr. IX. und X. (Seite 21 und 24) betrachten, so zeigt sich, dass in den Wintermonaten wirklich häufiger ein ungünstiger Gesundheitszustand unter den Wöchnerinnen herrschte und seltener ein günstiger, während in den Som- mermonaten häufiger ein günstiger und seltener ein ungünsti- ger Gesundheitszustand der Wöchnerinnen zu beobachten war. Aber diese Erscheinung ist nicht durch atmosphärische Einflüsse des Winters zu erklären, denn sonst könnte ja das Kindbettfieber im Sommer nie in grösserer Ausdehnung vor- kommen. Diese Erscheinung ist zu erklären durch die verschiedene Art der Beschäftigungen derjenigen, die das Gebärhaus be- suchen, welche Beschäftigungen durch die Jahreszeit be- dingt sind. Nach den grossen Ferien in den Monaten August und September gehen die Schüler mit frischem Eifer an ihre Stu- dien, folglich auch an das Studium der Geburtshilfe, und in den Wintermonaten ist der Andrang der Schüler in das Ge- bärhaus so gross, dass der Einzelne oft Wochen ja Monate lang warten muss, bis die Reihe der Aufnahme ihn trifft, wäh- rend in den Sommermonaten oft die Hälfte, ja in den Ferial- monaten oft zwei Dritttheile der Plätze unbesetzt sind; in den Wintermonaten werden die pathologischen und gerichtli- chen Sectionen; die medicinischen und chirurgischen Abthei- lungen des k. k. allgemeinen Krankenhauses auch von den im Gebärhause Beschäftigten sehr fleissig besucht. Im Sommer lässt der Fleiss bedeutend nach; die reizenden Umgebungen Wiens üben eine grössere Anziehungskraft aus, als die stin- kende Todtenkammer oder die schwülen Räume des Kranken- hauses. Im Winter hält der Assistent der Geburtshilfe die praktischen Operationsübungen am Cadaver vor der um vier Uhr zu haltenden Nachmittagsvisite, weil Vormittag die Schü-

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/133>, abgerufen am 22.11.2024.