Wo auf dem Corridor zwischen Fenstern und Thüren, Trep- pen und Waschküchen, und zwar vor einem Zuhörerkreise von 120 Herren und Damen vorgetragen werden soll -- das ist ein so schreiender Missbrauch, wie man ihn nur in einer ganz exceptionellen Anstalt gewahr werden kann. Ich frage kühn: hat man ein Recht gehabt, jenen Landchirurgen vor Kurzem zu verurtheilen, der eine Uterusruptur nicht erkannt, und ein Stück Darm ganz naiv abgebunden hat? Ist es ihm beim besten Willen während der Studienzeit möglich gewe- sen, genügende Kenntnisse dieses schwierigsten aller prakti- schen Fächer sich eigen zu machen? Oder ist es nicht viel- mehr zu verwundern, dass dergleichen traurige Quiproquo so selten vorkommen, dass nämlich trotz des Unterrichtes in der Geburtshilfe so viele Kinder lebendig geboren werden.
,Operationscurse sind ein unentbehrliches Hilfsmittel beim Unterrichte der Geburtshilfe, bringen den Anfänger in der Regel viel weiter an Muth und Uebung als ähnliche Curse in der Chirurgie; aber wie sieht es mit diesem Theile des Unter- richts in einer Lehranstalt aus, wo überhaupt Mangel an Lei- chen vorzukommen pflegt?
,Endlich fehlt jede kleinste Gelegenheit, gynaecologische Studien zu machen, ein Uebelstand, der wohl auch ander- wärts an geburtshilflichen Kliniken herrscht, wofür aber durch eigene gynaecologische Abtheilungen in demselben Hause Ersatz zu finden ist. Bis vor Kurzem, und zwar durch sechs volle Jahre hat der Professor der Geburtshilfe im Ro- chus-Spitale eine kleine Abtheilung für Frauenkrankheiten, und zwar unentgeltlich versehen; es war ihm dadurch Gele- genheit gegeben, einen und den andern fleissigen Studirenden in dieser wichtigen Materie einzuführen, und unberechenbar viel Gutes für Tausende damit zu stiften; -- dieses hat nun gegen seinen Willen auch ein Ende. So tragische Fehler, wie das in die Taschestecken eines Stückes Darm, geschehen nicht alle Tage, aber alle Tage wird auf Vollblütigkeit eurirt, an- statt einen Polypen zu unterbinden; und alle Tage wird Rheum
Wo auf dem Corridor zwischen Fenstern und Thüren, Trep- pen und Waschküchen, und zwar vor einem Zuhörerkreise von 120 Herren und Damen vorgetragen werden soll — das ist ein so schreiender Missbrauch, wie man ihn nur in einer ganz exceptionellen Anstalt gewahr werden kann. Ich frage kühn: hat man ein Recht gehabt, jenen Landchirurgen vor Kurzem zu verurtheilen, der eine Uterusruptur nicht erkannt, und ein Stück Darm ganz naiv abgebunden hat? Ist es ihm beim besten Willen während der Studienzeit möglich gewe- sen, genügende Kenntnisse dieses schwierigsten aller prakti- schen Fächer sich eigen zu machen? Oder ist es nicht viel- mehr zu verwundern, dass dergleichen traurige Quiproquo so selten vorkommen, dass nämlich trotz des Unterrichtes in der Geburtshilfe so viele Kinder lebendig geboren werden.
‚Operationscurse sind ein unentbehrliches Hilfsmittel beim Unterrichte der Geburtshilfe, bringen den Anfänger in der Regel viel weiter an Muth und Uebung als ähnliche Curse in der Chirurgie; aber wie sieht es mit diesem Theile des Unter- richts in einer Lehranstalt aus, wo überhaupt Mangel an Lei- chen vorzukommen pflegt?
‚Endlich fehlt jede kleinste Gelegenheit, gynaecologische Studien zu machen, ein Uebelstand, der wohl auch ander- wärts an geburtshilflichen Kliniken herrscht, wofür aber durch eigene gynaecologische Abtheilungen in demselben Hause Ersatz zu finden ist. Bis vor Kurzem, und zwar durch sechs volle Jahre hat der Professor der Geburtshilfe im Ro- chus-Spitale eine kleine Abtheilung für Frauenkrankheiten, und zwar unentgeltlich versehen; es war ihm dadurch Gele- genheit gegeben, einen und den andern fleissigen Studirenden in dieser wichtigen Materie einzuführen, und unberechenbar viel Gutes für Tausende damit zu stiften; — dieses hat nun gegen seinen Willen auch ein Ende. So tragische Fehler, wie das in die Taschestecken eines Stückes Darm, geschehen nicht alle Tage, aber alle Tage wird auf Vollblütigkeit eurirt, an- statt einen Polypen zu unterbinden; und alle Tage wird Rheum
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Wo auf dem Corridor zwischen Fenstern und Thüren, Trep-
pen und Waschküchen, und zwar vor einem Zuhörerkreise
von 120 Herren und Damen vorgetragen werden soll — das
ist ein so schreiender Missbrauch, wie man ihn nur in einer
ganz exceptionellen Anstalt gewahr werden kann. Ich frage
kühn: hat man ein Recht gehabt, jenen Landchirurgen vor
Kurzem zu verurtheilen, der eine Uterusruptur nicht erkannt,
und ein Stück Darm ganz naiv abgebunden hat? Ist es ihm
beim besten Willen während der Studienzeit möglich gewe-
sen, genügende Kenntnisse dieses schwierigsten aller prakti-
schen Fächer sich eigen zu machen? Oder ist es nicht viel-
mehr zu verwundern, dass dergleichen traurige Quiproquo
so selten vorkommen, dass nämlich trotz des Unterrichtes in
der Geburtshilfe so viele Kinder lebendig geboren werden.
‚Operationscurse sind ein unentbehrliches Hilfsmittel beim
Unterrichte der Geburtshilfe, bringen den Anfänger in der
Regel viel weiter an Muth und Uebung als ähnliche Curse in
der Chirurgie; aber wie sieht es mit diesem Theile des Unter-
richts in einer Lehranstalt aus, wo überhaupt Mangel an Lei-
chen vorzukommen pflegt?
‚Endlich fehlt jede kleinste Gelegenheit, gynaecologische
Studien zu machen, ein Uebelstand, der wohl auch ander-
wärts an geburtshilflichen Kliniken herrscht, wofür aber
durch eigene gynaecologische Abtheilungen in demselben
Hause Ersatz zu finden ist. Bis vor Kurzem, und zwar durch
sechs volle Jahre hat der Professor der Geburtshilfe im Ro-
chus-Spitale eine kleine Abtheilung für Frauenkrankheiten,
und zwar unentgeltlich versehen; es war ihm dadurch Gele-
genheit gegeben, einen und den andern fleissigen Studirenden
in dieser wichtigen Materie einzuführen, und unberechenbar
viel Gutes für Tausende damit zu stiften; — dieses hat nun
gegen seinen Willen auch ein Ende. So tragische Fehler, wie
das in die Taschestecken eines Stückes Darm, geschehen nicht
alle Tage, aber alle Tage wird auf Vollblütigkeit eurirt, an-
statt einen Polypen zu unterbinden; und alle Tage wird Rheum
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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