pse_668.001 wenn auf vielen Bühnen die großen und echten Dramen sich pse_668.002 den Rang von Reißern und Machwerken müssen streitig pse_668.003 machen lassen. Überall Geld und Wirtschaftsleben! Auch bei pse_668.004 den Übersetzungen spielt das eine Rolle. Bei ihnen kommt pse_668.005 aber noch ein weiterer wichtiger Vermittler dazu: der Übersetzer. pse_668.006 Ihm ist in bezug auf die Dichtung eine sehr schwere, pse_668.007 ja oft beinahe unlösbare und im allgemeinen undankbare Aufgabe pse_668.008 gestellt: eine Dichtung, die aus einer bestimmten Sprache pse_668.009 wächst und ihre Kräfte saugt, die nur in ihr ist und mit pse_668.010 ihren Möglichkeiten ihre Gehalte und Werte entfaltet, in pse_668.011 eine andere, oft sehr verschiedene Sprache zu übertragen. pse_668.012 Im tiefsten ist dichterische Übersetzung als vollkommenes pse_668.013 Werk unmöglich. Daß aber mit den Übersetzungsbemühungen pse_668.014 die Sprache, in die übersetzt wird, selbst sich bereichern pse_668.015 und entfalten kann, beweist die Geschichte der Übersetzungen pse_668.016 in die deutsche Sprache; an ihnen hat sie sich ja erst pse_668.017 eigentlich zur Literatursprache entwickelt, und es ist kein Zufall, pse_668.018 daß gerade die Zeit ihrer dichterischen Höchstentfaltung pse_668.019 auch die Zeit bedeutendster Übersetzungen war. Wir sehen, pse_668.020 welche verwickelte Organisation sich heute zwischen die pse_668.021 großen Dichtungen und das Publikum einschaltet, ja einschalten pse_668.022 muß, wenn Dichtung wirken soll.
pse_668.023 Dabei ergibt sich ein eigenartiges Verhältnis in bezug auf pse_668.024 Angebot und Absatz. Der rasche Absatzerfolg kann manchmal pse_668.025 auch einem wertvollen literarischen Werk gegönnt sein. Man pse_668.026 denke an Schillers "Carlos", an seine historischen Schriften pse_668.027 und Erzählungen. Das hängt mit den verschiedensten Momenten pse_668.028 zusammen: schon berühmte Schriftsteller haben rascher pse_668.029 Erfolg, es kommt auch auf die Ausstattung von Neuerscheinungen, pse_668.030 sogar auf die Titel an. Man erzählt eine Anekdote, pse_668.031 eine Leihbücherei habe Goethes "Wahlverwandtschaften" pse_668.032 einen neuen Einband und einen neuen Titel gegeben: pse_668.033 "Liebe im Dunkeln", zugleich den Verfasser verschwiegen. pse_668.034 Die Zahl der Entlehnungen habe unheimlich pse_668.035 zugenommen! Geschickte oder angesehene Verleger, dann pse_668.036 gesellschaftlicher Einfluß, politischer Druck und politische pse_668.037 Lage, das alles wirkt zusammen, um rasche Massenerfolge pse_668.038 zu erzielen. Zwei berühmte gegensätzliche Beispiele, die zugleich
pse_668.001 wenn auf vielen Bühnen die großen und echten Dramen sich pse_668.002 den Rang von Reißern und Machwerken müssen streitig pse_668.003 machen lassen. Überall Geld und Wirtschaftsleben! Auch bei pse_668.004 den Übersetzungen spielt das eine Rolle. Bei ihnen kommt pse_668.005 aber noch ein weiterer wichtiger Vermittler dazu: der Übersetzer. pse_668.006 Ihm ist in bezug auf die Dichtung eine sehr schwere, pse_668.007 ja oft beinahe unlösbare und im allgemeinen undankbare Aufgabe pse_668.008 gestellt: eine Dichtung, die aus einer bestimmten Sprache pse_668.009 wächst und ihre Kräfte saugt, die nur in ihr ist und mit pse_668.010 ihren Möglichkeiten ihre Gehalte und Werte entfaltet, in pse_668.011 eine andere, oft sehr verschiedene Sprache zu übertragen. pse_668.012 Im tiefsten ist dichterische Übersetzung als vollkommenes pse_668.013 Werk unmöglich. Daß aber mit den Übersetzungsbemühungen pse_668.014 die Sprache, in die übersetzt wird, selbst sich bereichern pse_668.015 und entfalten kann, beweist die Geschichte der Übersetzungen pse_668.016 in die deutsche Sprache; an ihnen hat sie sich ja erst pse_668.017 eigentlich zur Literatursprache entwickelt, und es ist kein Zufall, pse_668.018 daß gerade die Zeit ihrer dichterischen Höchstentfaltung pse_668.019 auch die Zeit bedeutendster Übersetzungen war. Wir sehen, pse_668.020 welche verwickelte Organisation sich heute zwischen die pse_668.021 großen Dichtungen und das Publikum einschaltet, ja einschalten pse_668.022 muß, wenn Dichtung wirken soll.
pse_668.023 Dabei ergibt sich ein eigenartiges Verhältnis in bezug auf pse_668.024 Angebot und Absatz. Der rasche Absatzerfolg kann manchmal pse_668.025 auch einem wertvollen literarischen Werk gegönnt sein. Man pse_668.026 denke an Schillers »Carlos«, an seine historischen Schriften pse_668.027 und Erzählungen. Das hängt mit den verschiedensten Momenten pse_668.028 zusammen: schon berühmte Schriftsteller haben rascher pse_668.029 Erfolg, es kommt auch auf die Ausstattung von Neuerscheinungen, pse_668.030 sogar auf die Titel an. Man erzählt eine Anekdote, pse_668.031 eine Leihbücherei habe Goethes »Wahlverwandtschaften« pse_668.032 einen neuen Einband und einen neuen Titel gegeben: pse_668.033 »Liebe im Dunkeln«, zugleich den Verfasser verschwiegen. pse_668.034 Die Zahl der Entlehnungen habe unheimlich pse_668.035 zugenommen! Geschickte oder angesehene Verleger, dann pse_668.036 gesellschaftlicher Einfluß, politischer Druck und politische pse_668.037 Lage, das alles wirkt zusammen, um rasche Massenerfolge pse_668.038 zu erzielen. Zwei berühmte gegensätzliche Beispiele, die zugleich
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den Rang von Reißern und Machwerken müssen streitig pse_668.003
machen lassen. Überall Geld und Wirtschaftsleben! Auch bei pse_668.004
den Übersetzungen spielt das eine Rolle. Bei ihnen kommt pse_668.005
aber noch ein weiterer wichtiger Vermittler dazu: der Übersetzer. pse_668.006
Ihm ist in bezug auf die Dichtung eine sehr schwere, pse_668.007
ja oft beinahe unlösbare und im allgemeinen undankbare Aufgabe pse_668.008
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wächst und ihre Kräfte saugt, die nur in ihr ist und mit pse_668.010
ihren Möglichkeiten ihre Gehalte und Werte entfaltet, in pse_668.011
eine andere, oft sehr verschiedene Sprache zu übertragen. pse_668.012
Im tiefsten ist dichterische Übersetzung als vollkommenes pse_668.013
Werk unmöglich. Daß aber mit den Übersetzungsbemühungen pse_668.014
die Sprache, in die übersetzt wird, selbst sich bereichern pse_668.015
und entfalten kann, beweist die Geschichte der Übersetzungen pse_668.016
in die deutsche Sprache; an ihnen hat sie sich ja erst pse_668.017
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muß, wenn Dichtung wirken soll.
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Dabei ergibt sich ein eigenartiges Verhältnis in bezug auf pse_668.024
Angebot und Absatz. Der rasche Absatzerfolg kann manchmal pse_668.025
auch einem wertvollen literarischen Werk gegönnt sein. Man pse_668.026
denke an Schillers »Carlos«, an seine historischen Schriften pse_668.027
und Erzählungen. Das hängt mit den verschiedensten Momenten pse_668.028
zusammen: schon berühmte Schriftsteller haben rascher pse_668.029
Erfolg, es kommt auch auf die Ausstattung von Neuerscheinungen, pse_668.030
sogar auf die Titel an. Man erzählt eine Anekdote, pse_668.031
eine Leihbücherei habe Goethes »Wahlverwandtschaften« pse_668.032
einen neuen Einband und einen neuen Titel gegeben: pse_668.033
»Liebe im Dunkeln«, zugleich den Verfasser verschwiegen. pse_668.034
Die Zahl der Entlehnungen habe unheimlich pse_668.035
zugenommen! Geschickte oder angesehene Verleger, dann pse_668.036
gesellschaftlicher Einfluß, politischer Druck und politische pse_668.037
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/684>, abgerufen am 24.11.2024.
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