pse_647.001 haben wir schon einiges gesagt (S. 103 f.). Demnach ist uns die pse_647.002 Tragikomödie ein Drama, in dem tragische und komische pse_647.003 Elemente verbunden sind, und zwar so, daß die komischen pse_647.004 nicht als Einlagen, wie eben in Shakespeares Tragödien, bezeichnet pse_647.005 werden können. Das scharfe Aneinanderstoßen pse_647.006 tragischer und komischer Sichten kann Ausdruck innerer Unruhe pse_647.007 und Zerrissenheit des auffassenden Menschen sein, aber pse_647.008 auch Zeichen der Fülle der Welt, die zugleich aus verschiedensten pse_647.009 Haltungen erfahren werden kann. Entscheidend für pse_647.010 die tiefere Tragikomödie ist einmal der Umschlag aus dem pse_647.011 Komischen in die Erschütterung, aus der Erhabenheit in die pse_647.012 Entlarvung. Es erscheint da die Welt als Schein, der zerstört pse_647.013 wird: das Tragische wird als Erhabenes entlarvt, das Komische pse_647.014 stößt in das Erschütternde vor. Es kann aber auch mehr pse_647.015 folgende Doppelsicht vorherrschen: ein Vorgang, eine Gestalt pse_647.016 bietet tragische und komische Seiten zugleich und offenbart pse_647.017 damit eine geradezu unheimliche Seite an der Weltstruktur. pse_647.018 Die Art tragikomischer Entlarvung hat W. v. pse_647.019 Scholz an Shakespeares "Troilus und Cressida" herausgestellt. pse_647.020 "Es ist das Wesen der Tragikomödie, daß sie fortwährend pse_647.021 Lebenstäuschungen zerstört: die tragischen erhabenen, die das pse_647.022 Dasein und den Menschen zu wichtig nehmen, mit den dazwischen pse_647.023 geworfenen komischen Teilen, und die komischheiteren, pse_647.024 die allein sonnige Leichtigkeit vorspiegeln würden, pse_647.025 indem sie sie in die Umwelt des Tragischen stellt, das so zu pse_647.026 schmerzlicher Verzweiflung wird, während das Komische pse_647.027 durch diese Nachbarschaft Züge scharfen Hohnes und Spottes pse_647.028 bekommt. Hier wie dort ist das Wesen der Tragikomödie: pse_647.029 Zerstörung des angenehmen Truges und des Gewohnten." pse_647.030 Das unheimliche tragische und komische Doppelgesicht der pse_647.031 Welt, wo es weniger auf Zerstörung des Trugs ankommt, pse_647.032 erkennt man neuerdings an Kleists "Amphitryon". Hier wirkt pse_647.033 sich das Tragikomische in vierfacher Weise aus, und es offenbaren pse_647.034 sich damit zugleich Möglichkeiten tragikomischen Gestaltens. pse_647.035 Die komische Dienerhandlung beleuchtet die geheime pse_647.036 Komik auch des Hauptvorgangs; eine Gestalt weist pse_647.037 innere Widersprüche auf wie Jupiter, die sie zu einer komischen pse_647.038 und tragischen Figur zugleich machen; einer Gestalt
pse_647.001 haben wir schon einiges gesagt (S. 103 f.). Demnach ist uns die pse_647.002 Tragikomödie ein Drama, in dem tragische und komische pse_647.003 Elemente verbunden sind, und zwar so, daß die komischen pse_647.004 nicht als Einlagen, wie eben in Shakespeares Tragödien, bezeichnet pse_647.005 werden können. Das scharfe Aneinanderstoßen pse_647.006 tragischer und komischer Sichten kann Ausdruck innerer Unruhe pse_647.007 und Zerrissenheit des auffassenden Menschen sein, aber pse_647.008 auch Zeichen der Fülle der Welt, die zugleich aus verschiedensten pse_647.009 Haltungen erfahren werden kann. Entscheidend für pse_647.010 die tiefere Tragikomödie ist einmal der Umschlag aus dem pse_647.011 Komischen in die Erschütterung, aus der Erhabenheit in die pse_647.012 Entlarvung. Es erscheint da die Welt als Schein, der zerstört pse_647.013 wird: das Tragische wird als Erhabenes entlarvt, das Komische pse_647.014 stößt in das Erschütternde vor. Es kann aber auch mehr pse_647.015 folgende Doppelsicht vorherrschen: ein Vorgang, eine Gestalt pse_647.016 bietet tragische und komische Seiten zugleich und offenbart pse_647.017 damit eine geradezu unheimliche Seite an der Weltstruktur. pse_647.018 Die Art tragikomischer Entlarvung hat W. v. pse_647.019 Scholz an Shakespeares »Troilus und Cressida« herausgestellt. pse_647.020 »Es ist das Wesen der Tragikomödie, daß sie fortwährend pse_647.021 Lebenstäuschungen zerstört: die tragischen erhabenen, die das pse_647.022 Dasein und den Menschen zu wichtig nehmen, mit den dazwischen pse_647.023 geworfenen komischen Teilen, und die komischheiteren, pse_647.024 die allein sonnige Leichtigkeit vorspiegeln würden, pse_647.025 indem sie sie in die Umwelt des Tragischen stellt, das so zu pse_647.026 schmerzlicher Verzweiflung wird, während das Komische pse_647.027 durch diese Nachbarschaft Züge scharfen Hohnes und Spottes pse_647.028 bekommt. Hier wie dort ist das Wesen der Tragikomödie: pse_647.029 Zerstörung des angenehmen Truges und des Gewohnten.« pse_647.030 Das unheimliche tragische und komische Doppelgesicht der pse_647.031 Welt, wo es weniger auf Zerstörung des Trugs ankommt, pse_647.032 erkennt man neuerdings an Kleists »Amphitryon«. Hier wirkt pse_647.033 sich das Tragikomische in vierfacher Weise aus, und es offenbaren pse_647.034 sich damit zugleich Möglichkeiten tragikomischen Gestaltens. pse_647.035 Die komische Dienerhandlung beleuchtet die geheime pse_647.036 Komik auch des Hauptvorgangs; eine Gestalt weist pse_647.037 innere Widersprüche auf wie Jupiter, die sie zu einer komischen pse_647.038 und tragischen Figur zugleich machen; einer Gestalt
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haben wir schon einiges gesagt (S. 103 f.). Demnach ist uns die pse_647.002
Tragikomödie ein Drama, in dem tragische und komische pse_647.003
Elemente verbunden sind, und zwar so, daß die komischen pse_647.004
nicht als Einlagen, wie eben in Shakespeares Tragödien, bezeichnet pse_647.005
werden können. Das scharfe Aneinanderstoßen pse_647.006
tragischer und komischer Sichten kann Ausdruck innerer Unruhe pse_647.007
und Zerrissenheit des auffassenden Menschen sein, aber pse_647.008
auch Zeichen der Fülle der Welt, die zugleich aus verschiedensten pse_647.009
Haltungen erfahren werden kann. Entscheidend für pse_647.010
die tiefere Tragikomödie ist einmal der Umschlag aus dem pse_647.011
Komischen in die Erschütterung, aus der Erhabenheit in die pse_647.012
Entlarvung. Es erscheint da die Welt als Schein, der zerstört pse_647.013
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Die Art tragikomischer Entlarvung hat W. v. pse_647.019
Scholz an Shakespeares »Troilus und Cressida« herausgestellt. pse_647.020
»Es ist das Wesen der Tragikomödie, daß sie fortwährend pse_647.021
Lebenstäuschungen zerstört: die tragischen erhabenen, die das pse_647.022
Dasein und den Menschen zu wichtig nehmen, mit den dazwischen pse_647.023
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Zerstörung des angenehmen Truges und des Gewohnten.« pse_647.030
Das unheimliche tragische und komische Doppelgesicht der pse_647.031
Welt, wo es weniger auf Zerstörung des Trugs ankommt, pse_647.032
erkennt man neuerdings an Kleists »Amphitryon«. Hier wirkt pse_647.033
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Die komische Dienerhandlung beleuchtet die geheime pse_647.036
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/663>, abgerufen am 27.11.2024.
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