pse_050.001 etwa über Grillparzer stellen. Sprachliche Gestaltung enthält pse_050.002 immer ihre volle Kraft durch das, was in der Sprache Gestalt pse_050.003 gewinnt. Mit anderen Worten: Wir müssen beide Seiten, den pse_050.004 göttlichen Hauch, den wir in der Dichtung spüren, und das pse_050.005 Kunstkönnen, durch das wir eben diesen göttlichen Hauch pse_050.006 erfahren, in einen Blick bekommen. In der vollen Einheit pse_050.007 beider greifen wir etwas vom Wesen der Dichtung.
pse_050.008 Es gibt nun noch weitere Auffassungen von Dichtung, die pse_050.009 auch zwei Seiten an der Dichtung unterscheiden. Sicher ist pse_050.010 mit solcher Zweiseitigkeit der Sicht etwas gewonnen: es pse_050.011 können so verschiedene Spielarten dichterischen Gestaltens pse_050.012 gefaßt werden, je nach der Art, welche Seite nun vorherrscht pse_050.013 und wie stark. Auch ist diese Zweiseitigkeit zu begreifen: pse_050.014 was im ästhetischen Gegenstand, also auch in der Dichtung, pse_050.015 volle Einheit und Fülle ist, kann in theoretischer, begrifflicher, pse_050.016 unterscheidender Betrachtung nie in eines gefaßt werden, pse_050.017 sondern spaltet sich für den begreifenden Verstand eben pse_050.018 auf. Da heißt es einmal, Dichtung sei visionäres Schauen des pse_050.019 Wesens der Dinge und das Reden davon in Bildern; ein pse_050.020 andermal: Dichtung ist Wahrheit, weil sie Wesentliches pse_050.021 gestaltet, und zugleich Spiel als freies, nicht zweckgerichtetes pse_050.022 Gestalten des Geistes. Jedesmal werden mit jeder Seite wichtige pse_050.023 Züge der Dichtung erfaßt. Aber erst wenn wir imstande pse_050.024 sind, die volle höhere Einheit, die diese zwei Seiten im Dichtwerk pse_050.025 bilden, mitzuerfassen, sind wir dem Wesen der Dichtung pse_050.026 nähergekommen. Nur in der sprachlichen Gestaltung pse_050.027 (das Wort "Reden" würde besser vermieden) schauen wir pse_050.028 das Wesen der Dinge (in anderen Geisteshaltungen können pse_050.029 wir das auch auf andere Weise tun), nur in freier Geistesgestaltung pse_050.030 wird das Wesentliche offenbar (wiederum kann pse_050.031 es in anderer Haltung auf andere Weise geschehen). Gerade pse_050.032 eben in der völligen Geschlossenheit und Einheit sprachlichen, pse_050.033 geistigen Gestaltens und Schauens auf Tieferes besteht das pse_050.034 Wesen der Dichtung; Wahrheitseröffnung nur in der bestimmten pse_050.035 sprachlichen Formung.
pse_050.036 Versuchen wir, alles Wesentliche zusammenzufassen. Drei pse_050.037 Züge scheinen sich besonders scharf abzuheben als Wesensmerkmale pse_050.038 der Dichtung. 1. Dichtung ist ein Sprachkunstwerk.
pse_050.001 etwa über Grillparzer stellen. Sprachliche Gestaltung enthält pse_050.002 immer ihre volle Kraft durch das, was in der Sprache Gestalt pse_050.003 gewinnt. Mit anderen Worten: Wir müssen beide Seiten, den pse_050.004 göttlichen Hauch, den wir in der Dichtung spüren, und das pse_050.005 Kunstkönnen, durch das wir eben diesen göttlichen Hauch pse_050.006 erfahren, in einen Blick bekommen. In der vollen Einheit pse_050.007 beider greifen wir etwas vom Wesen der Dichtung.
pse_050.008 Es gibt nun noch weitere Auffassungen von Dichtung, die pse_050.009 auch zwei Seiten an der Dichtung unterscheiden. Sicher ist pse_050.010 mit solcher Zweiseitigkeit der Sicht etwas gewonnen: es pse_050.011 können so verschiedene Spielarten dichterischen Gestaltens pse_050.012 gefaßt werden, je nach der Art, welche Seite nun vorherrscht pse_050.013 und wie stark. Auch ist diese Zweiseitigkeit zu begreifen: pse_050.014 was im ästhetischen Gegenstand, also auch in der Dichtung, pse_050.015 volle Einheit und Fülle ist, kann in theoretischer, begrifflicher, pse_050.016 unterscheidender Betrachtung nie in eines gefaßt werden, pse_050.017 sondern spaltet sich für den begreifenden Verstand eben pse_050.018 auf. Da heißt es einmal, Dichtung sei visionäres Schauen des pse_050.019 Wesens der Dinge und das Reden davon in Bildern; ein pse_050.020 andermal: Dichtung ist Wahrheit, weil sie Wesentliches pse_050.021 gestaltet, und zugleich Spiel als freies, nicht zweckgerichtetes pse_050.022 Gestalten des Geistes. Jedesmal werden mit jeder Seite wichtige pse_050.023 Züge der Dichtung erfaßt. Aber erst wenn wir imstande pse_050.024 sind, die volle höhere Einheit, die diese zwei Seiten im Dichtwerk pse_050.025 bilden, mitzuerfassen, sind wir dem Wesen der Dichtung pse_050.026 nähergekommen. Nur in der sprachlichen Gestaltung pse_050.027 (das Wort »Reden« würde besser vermieden) schauen wir pse_050.028 das Wesen der Dinge (in anderen Geisteshaltungen können pse_050.029 wir das auch auf andere Weise tun), nur in freier Geistesgestaltung pse_050.030 wird das Wesentliche offenbar (wiederum kann pse_050.031 es in anderer Haltung auf andere Weise geschehen). Gerade pse_050.032 eben in der völligen Geschlossenheit und Einheit sprachlichen, pse_050.033 geistigen Gestaltens und Schauens auf Tieferes besteht das pse_050.034 Wesen der Dichtung; Wahrheitseröffnung nur in der bestimmten pse_050.035 sprachlichen Formung.
pse_050.036 Versuchen wir, alles Wesentliche zusammenzufassen. Drei pse_050.037 Züge scheinen sich besonders scharf abzuheben als Wesensmerkmale pse_050.038 der Dichtung. 1. Dichtung ist ein Sprachkunstwerk.
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Es gibt nun noch weitere Auffassungen von Dichtung, die pse_050.009
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können so verschiedene Spielarten dichterischen Gestaltens pse_050.012
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Gestalten des Geistes. Jedesmal werden mit jeder Seite wichtige pse_050.023
Züge der Dichtung erfaßt. Aber erst wenn wir imstande pse_050.024
sind, die volle höhere Einheit, die diese zwei Seiten im Dichtwerk pse_050.025
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das Wesen der Dinge (in anderen Geisteshaltungen können pse_050.029
wir das auch auf andere Weise tun), nur in freier Geistesgestaltung pse_050.030
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es in anderer Haltung auf andere Weise geschehen). Gerade pse_050.032
eben in der völligen Geschlossenheit und Einheit sprachlichen, pse_050.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/66>, abgerufen am 26.11.2024.
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