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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Die dramatischen Arten

pse_616.002
Eine kurze Überschau über die geschichtliche Entfaltung pse_616.003
der Dramatik in Antike und Abendland als einem im ganzen pse_616.004
doch einheitlichen Kulturkreis zeigt die Mannigfaltigkeit pse_616.005
und doch die einheitlichen Grundlinien dramatischer Ausprägungen pse_616.006
und Formen. Vom künstlerischen Standpunkt pse_616.007
lassen sich fünf Höhepunkte der Dramenkunst erkennen.

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1. Die erste Höhe bildet das griechische Drama, vor allem pse_616.009
die Tragödie der drei Großen, Aischylos, Sophokles, Euripides. pse_616.010
Der Mensch steht hier im allgewaltigen Schicksal, pse_616.011
aus der Isolation seines irdischen Daseins wird er im Tod in pse_616.012
die höhere sinnvolle Ordnung des Kosmos eingeführt. pse_616.013
Radikale Seinsgespanntheit schafft eine tiefe Erschütterung. pse_616.014
Diese Gespanntheit besteht im Widerstreit überpersönlicher pse_616.015
Mächte. Die Gespaltenheit der ganzen Welt wird im Drama pse_616.016
greifbar in klar umgrenzten Vorgängen. Das Geschehen pse_616.017
ist im antiken Drama grundlegender als die Persönlichkeit. pse_616.018
Es ist aber immer auf Göttliches ausgerichtet, eine religiöse pse_616.019
Substanz speist es. Die Wirkung der antiken Tragödie auf pse_616.020
die Nachwelt war vor allem in ihrer künstlerischen Größe pse_616.021
mächtig. Aber die einzelnen Epochen haben sie verschieden pse_616.022
gesehen, daher sind ihre Anregungen mannigfaltig. Die pse_616.023
antike Komödie ist durch Aristophanes auf die Höhe geführt pse_616.024
worden. Trotz ihrer Schärfe hat auch sie einen weiten menschlichen, pse_616.025
politischen und religiösen Hintergrund.

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2. In den großen Zeiträumen vom späten Mittelalter bis pse_616.027
an den Beginn des 18. Jahrhunderts bestimmt das Christentum pse_616.028
das gesamte Weltbild. Innerhalb dieser weiten Epoche pse_616.029
entfaltet sich die Dramatik auf drei verschiedene Höhen pse_616.030
hin. Nun tritt im Drama mehr der handelnde Mensch pse_616.031
in den Vordergrund, der menschliche Wille wirkt am dramatischen pse_616.032
Geschehen mit. Die Gestaltung wird mannigfacher, pse_616.033
fülliger, die Hintergründe und die Atmosphäre werden pse_616.034
eingeformt, die symbolische Gestaltung wird daher wichtig. pse_616.035
Das Christentum ist die Grundhaltung, aber die Grade und pse_616.036
die Dichte der Durchchristlichung sind verschieden. Von

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Die dramatischen Arten

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der Dramatik in Antike und Abendland als einem im ganzen pse_616.004
doch einheitlichen Kulturkreis zeigt die Mannigfaltigkeit pse_616.005
und doch die einheitlichen Grundlinien dramatischer Ausprägungen pse_616.006
und Formen. Vom künstlerischen Standpunkt pse_616.007
lassen sich fünf Höhepunkte der Dramenkunst erkennen.

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1. Die erste Höhe bildet das griechische Drama, vor allem pse_616.009
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Der Mensch steht hier im allgewaltigen Schicksal, pse_616.011
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die höhere sinnvolle Ordnung des Kosmos eingeführt. pse_616.013
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Diese Gespanntheit besteht im Widerstreit überpersönlicher pse_616.015
Mächte. Die Gespaltenheit der ganzen Welt wird im Drama pse_616.016
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gesehen, daher sind ihre Anregungen mannigfaltig. Die pse_616.023
antike Komödie ist durch Aristophanes auf die Höhe geführt pse_616.024
worden. Trotz ihrer Schärfe hat auch sie einen weiten menschlichen, pse_616.025
politischen und religiösen Hintergrund.

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an den Beginn des 18. Jahrhunderts bestimmt das Christentum pse_616.028
das gesamte Weltbild. Innerhalb dieser weiten Epoche pse_616.029
entfaltet sich die Dramatik auf drei verschiedene Höhen pse_616.030
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in den Vordergrund, der menschliche Wille wirkt am dramatischen pse_616.032
Geschehen mit. Die Gestaltung wird mannigfacher, pse_616.033
fülliger, die Hintergründe und die Atmosphäre werden pse_616.034
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[616/0632] pse_616.001 Die dramatischen Arten pse_616.002 Eine kurze Überschau über die geschichtliche Entfaltung pse_616.003 der Dramatik in Antike und Abendland als einem im ganzen pse_616.004 doch einheitlichen Kulturkreis zeigt die Mannigfaltigkeit pse_616.005 und doch die einheitlichen Grundlinien dramatischer Ausprägungen pse_616.006 und Formen. Vom künstlerischen Standpunkt pse_616.007 lassen sich fünf Höhepunkte der Dramenkunst erkennen. pse_616.008 1. Die erste Höhe bildet das griechische Drama, vor allem pse_616.009 die Tragödie der drei Großen, Aischylos, Sophokles, Euripides. pse_616.010 Der Mensch steht hier im allgewaltigen Schicksal, pse_616.011 aus der Isolation seines irdischen Daseins wird er im Tod in pse_616.012 die höhere sinnvolle Ordnung des Kosmos eingeführt. pse_616.013 Radikale Seinsgespanntheit schafft eine tiefe Erschütterung. pse_616.014 Diese Gespanntheit besteht im Widerstreit überpersönlicher pse_616.015 Mächte. Die Gespaltenheit der ganzen Welt wird im Drama pse_616.016 greifbar in klar umgrenzten Vorgängen. Das Geschehen pse_616.017 ist im antiken Drama grundlegender als die Persönlichkeit. pse_616.018 Es ist aber immer auf Göttliches ausgerichtet, eine religiöse pse_616.019 Substanz speist es. Die Wirkung der antiken Tragödie auf pse_616.020 die Nachwelt war vor allem in ihrer künstlerischen Größe pse_616.021 mächtig. Aber die einzelnen Epochen haben sie verschieden pse_616.022 gesehen, daher sind ihre Anregungen mannigfaltig. Die pse_616.023 antike Komödie ist durch Aristophanes auf die Höhe geführt pse_616.024 worden. Trotz ihrer Schärfe hat auch sie einen weiten menschlichen, pse_616.025 politischen und religiösen Hintergrund. pse_616.026 2. In den großen Zeiträumen vom späten Mittelalter bis pse_616.027 an den Beginn des 18. Jahrhunderts bestimmt das Christentum pse_616.028 das gesamte Weltbild. Innerhalb dieser weiten Epoche pse_616.029 entfaltet sich die Dramatik auf drei verschiedene Höhen pse_616.030 hin. Nun tritt im Drama mehr der handelnde Mensch pse_616.031 in den Vordergrund, der menschliche Wille wirkt am dramatischen pse_616.032 Geschehen mit. Die Gestaltung wird mannigfacher, pse_616.033 fülliger, die Hintergründe und die Atmosphäre werden pse_616.034 eingeformt, die symbolische Gestaltung wird daher wichtig. pse_616.035 Das Christentum ist die Grundhaltung, aber die Grade und pse_616.036 die Dichte der Durchchristlichung sind verschieden. Von

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/632>, abgerufen am 22.11.2024.