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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Botenberichte haben wir auszuschalten, denn ihre künstlerische pse_606.002
Anlage ist nicht rein episch, weil sie ganz in eine dramatische pse_606.003
Situation hineingestellt sind und daraus ihre künstlerische pse_606.004
Form empfangen. Aber man könnte sich zur Entspannung pse_606.005
oder zur Charakterisierung eines Menschen oder pse_606.006
einer Gruppe eine Szene denken, in der ruhig erzählt wird. Im pse_606.007
Rahmen des Ganzen könnte eine solche Stelle erst recht wieder pse_606.008
dramatische Werte entfalten, eben im Gegensatz zum pse_606.009
Vergangenen, Drohenden oder Geahnten. Es würde also die pse_606.010
Gespanntheit damit erst recht greifbar. Das Entscheidende pse_606.011
bleibt also, ob und wie es dem Dichter gelingt, Episches und pse_606.012
Lyrisches in die rein dramatische Struktur der Dichtung einzufügen, pse_606.013
so daß das Lyrische und Epische selbst zu notwendigen pse_606.014
Gliedern des Dramatischen werden. Es kann auch sein, pse_606.015
daß der Dichter das gar nicht will, daß er bewußt die strenge pse_606.016
Gattungsform zerbrechen will. Damit werden neue Fragen pse_606.017
an die Dichtung gestellt, die aber von den gewonnenen Standpunkten pse_606.018
aus zu beantworten sein werden.

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b) Neben den dramatischen Formen, die einen Vorgang pse_606.020
in seinem gespannten dramatischen Ablauf fortlaufend gestalten, pse_606.021
gibt es auch eine, die auf den ersten Blick diesem zielstrebigen pse_606.022
Fortgang zu widersprechen scheint: Rahmenstücke. pse_606.023
Selten ist es nur eine einleitende Einstimmung wie in Shakespeares pse_606.024
"Der Widerspenstigen Zähmung", wo ein Lord den pse_606.025
Kesselflicker Sly in besoffenem Zustand in sein Haus bringen pse_606.026
läßt. Scheinbar erwacht er aus einem Traum, sieht sich als pse_606.027
Lord, dem eine Komödie vorgeführt wird. Immerhin wird pse_606.028
schon durch diese Einleitung die Frage nach dem wahren Verhältnis pse_606.029
von Schein und Sein lebendig. Das ist nun zur Grundlage pse_606.030
des dramatischen Aufbaus in Calderons "Das Leben ist pse_606.031
Traum" geworden; ebenso liebt Grillparzer solche Rahmungen pse_606.032
in der mannigfaltigsten Form. Auch Goethe baut seinen pse_606.033
"Faust" so. Nicht nur hätte der Zueignung ein Abschied, pse_606.034
sondern dem Vorspiel eine Abkündigung entsprechen pse_606.035
sollen. Und dem Prolog im Himmel steht nun wirklich pse_606.036
Fausts Aufnahme in den Himmel gegenüber. Damit wird pse_606.037
der Einbau der menschlich-irdischen Tragödie des Faustlebens pse_606.038
in das überwölbende Mysterienspiel und also die weltbildmäßige

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Botenberichte haben wir auszuschalten, denn ihre künstlerische pse_606.002
Anlage ist nicht rein episch, weil sie ganz in eine dramatische pse_606.003
Situation hineingestellt sind und daraus ihre künstlerische pse_606.004
Form empfangen. Aber man könnte sich zur Entspannung pse_606.005
oder zur Charakterisierung eines Menschen oder pse_606.006
einer Gruppe eine Szene denken, in der ruhig erzählt wird. Im pse_606.007
Rahmen des Ganzen könnte eine solche Stelle erst recht wieder pse_606.008
dramatische Werte entfalten, eben im Gegensatz zum pse_606.009
Vergangenen, Drohenden oder Geahnten. Es würde also die pse_606.010
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bleibt also, ob und wie es dem Dichter gelingt, Episches und pse_606.012
Lyrisches in die rein dramatische Struktur der Dichtung einzufügen, pse_606.013
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Gattungsform zerbrechen will. Damit werden neue Fragen pse_606.017
an die Dichtung gestellt, die aber von den gewonnenen Standpunkten pse_606.018
aus zu beantworten sein werden.

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b) Neben den dramatischen Formen, die einen Vorgang pse_606.020
in seinem gespannten dramatischen Ablauf fortlaufend gestalten, pse_606.021
gibt es auch eine, die auf den ersten Blick diesem zielstrebigen pse_606.022
Fortgang zu widersprechen scheint: Rahmenstücke. pse_606.023
Selten ist es nur eine einleitende Einstimmung wie in Shakespeares pse_606.024
»Der Widerspenstigen Zähmung«, wo ein Lord den pse_606.025
Kesselflicker Sly in besoffenem Zustand in sein Haus bringen pse_606.026
läßt. Scheinbar erwacht er aus einem Traum, sieht sich als pse_606.027
Lord, dem eine Komödie vorgeführt wird. Immerhin wird pse_606.028
schon durch diese Einleitung die Frage nach dem wahren Verhältnis pse_606.029
von Schein und Sein lebendig. Das ist nun zur Grundlage pse_606.030
des dramatischen Aufbaus in Calderóns »Das Leben ist pse_606.031
Traum« geworden; ebenso liebt Grillparzer solche Rahmungen pse_606.032
in der mannigfaltigsten Form. Auch Goethe baut seinen pse_606.033
»Faust« so. Nicht nur hätte der Zueignung ein Abschied, pse_606.034
sondern dem Vorspiel eine Abkündigung entsprechen pse_606.035
sollen. Und dem Prolog im Himmel steht nun wirklich pse_606.036
Fausts Aufnahme in den Himmel gegenüber. Damit wird pse_606.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/622>, abgerufen am 25.11.2024.