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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Stücks den Sarg, den er sich in schwerer Krankheit hat pse_595.002
zimmern lassen, zu Brennholz zerhackt und damit seine pse_595.003
wiedererwachte Lebenskraft ausdrückt, zugleich den Sieg des pse_595.004
weitergehenden Lebens. Bedeutungsvoll sind auch die Verschiebungen pse_595.005
der Personengruppen, so etwa das Ansteigen der pse_595.006
Personenzahl von den zwei einsamen Wächtern bis zur Volksmasse pse_595.007
in der Apfelschußszene oder die Wirkung von Monologen pse_595.008
nach bewegten Szenen. In der Prosafassung der "Iphigenie" pse_595.009
treten am Schluß nochmals alle Personen des Stückes pse_595.010
auf, wenn sie auch stumm bleiben, in der endgültigen bleibt pse_595.011
es bei den drei Hauptgestalten: auf sie und ihre Worte konzentriert pse_595.012
sich alles, Äußeres könnte nur zerstreuen.

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2. Im Bereich des Hörbaren gibt es außer der Sprache noch pse_595.014
zwei Kräfte: Geräusche der verschiedensten Art können die pse_595.015
Handlung antreiben oder unterstreichen oder gar ein Stück pse_595.016
der Handlung selbst sein: so der Tod Maria Stuarts, der nur pse_595.017
durch das plötzliche Schweigen und dann das dumpfe Gemurmel pse_595.018
dargestellt wird. Viel umfangreicher ist die Wirkung pse_595.019
der Musik. Damit aber betreten wir ein anderes Gebiet der pse_595.020
Ästhetik. Wir können hier nur Andeutungen geben. Die Musik pse_595.021
ermöglicht unter bestimmten Umständen ganz allgemein pse_595.022
im Rahmen der Dichtung die Steigerung der Ausdruckskraft pse_595.023
ins Gefühlsmäßige, ob sie nun, wie bis ins 18. Jahrhundert, das pse_595.024
in feststehenden Formen für bestimmte Gefühlsbereiche pse_595.025
macht oder ganz konkrete individuelle Seelenregungen pse_595.026
herausarbeitet. Beim Drama ist die entscheidende Frage, ob pse_595.027
sie das spezifisch Dramatische verstärken kann. Morphologisch pse_595.028
lassen sich zwei Entwicklungstendenzen aus einem Uransatz pse_595.029
erkennen. Darin können wir alle tatsächlich vorkommenden pse_595.030
Formen einordnen.

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Äußerlich setzt die Entwicklung des Dramas tatsächlich mit pse_595.032
der Musik ein: aus den Chorliedern bei den Griechen, aus den pse_595.033
liturgischen Gesängen im mittelalterlichen Spiel. Das eigentlich pse_595.034
Dramatische aber beginnt mit der Sprache. Das Dramatische pse_595.035
ist je nur erfaßbar in besonderen Vorgängen, die sich pse_595.036
wieder in Handlungen konkretisieren; dazu sind deutlich umgrenzbare pse_595.037
Gehalte notwendig. Das ist ein rationaler Zug im pse_595.038
Dramatischen, und hier ist allein die Sprache dauerprägend.

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Stücks den Sarg, den er sich in schwerer Krankheit hat pse_595.002
zimmern lassen, zu Brennholz zerhackt und damit seine pse_595.003
wiedererwachte Lebenskraft ausdrückt, zugleich den Sieg des pse_595.004
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der Personengruppen, so etwa das Ansteigen der pse_595.006
Personenzahl von den zwei einsamen Wächtern bis zur Volksmasse pse_595.007
in der Apfelschußszene oder die Wirkung von Monologen pse_595.008
nach bewegten Szenen. In der Prosafassung der »Iphigenie« pse_595.009
treten am Schluß nochmals alle Personen des Stückes pse_595.010
auf, wenn sie auch stumm bleiben, in der endgültigen bleibt pse_595.011
es bei den drei Hauptgestalten: auf sie und ihre Worte konzentriert pse_595.012
sich alles, Äußeres könnte nur zerstreuen.

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2. Im Bereich des Hörbaren gibt es außer der Sprache noch pse_595.014
zwei Kräfte: Geräusche der verschiedensten Art können die pse_595.015
Handlung antreiben oder unterstreichen oder gar ein Stück pse_595.016
der Handlung selbst sein: so der Tod Maria Stuarts, der nur pse_595.017
durch das plötzliche Schweigen und dann das dumpfe Gemurmel pse_595.018
dargestellt wird. Viel umfangreicher ist die Wirkung pse_595.019
der Musik. Damit aber betreten wir ein anderes Gebiet der pse_595.020
Ästhetik. Wir können hier nur Andeutungen geben. Die Musik pse_595.021
ermöglicht unter bestimmten Umständen ganz allgemein pse_595.022
im Rahmen der Dichtung die Steigerung der Ausdruckskraft pse_595.023
ins Gefühlsmäßige, ob sie nun, wie bis ins 18. Jahrhundert, das pse_595.024
in feststehenden Formen für bestimmte Gefühlsbereiche pse_595.025
macht oder ganz konkrete individuelle Seelenregungen pse_595.026
herausarbeitet. Beim Drama ist die entscheidende Frage, ob pse_595.027
sie das spezifisch Dramatische verstärken kann. Morphologisch pse_595.028
lassen sich zwei Entwicklungstendenzen aus einem Uransatz pse_595.029
erkennen. Darin können wir alle tatsächlich vorkommenden pse_595.030
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Äußerlich setzt die Entwicklung des Dramas tatsächlich mit pse_595.032
der Musik ein: aus den Chorliedern bei den Griechen, aus den pse_595.033
liturgischen Gesängen im mittelalterlichen Spiel. Das eigentlich pse_595.034
Dramatische aber beginnt mit der Sprache. Das Dramatische pse_595.035
ist je nur erfaßbar in besonderen Vorgängen, die sich pse_595.036
wieder in Handlungen konkretisieren; dazu sind deutlich umgrenzbare pse_595.037
Gehalte notwendig. Das ist ein rationaler Zug im pse_595.038
Dramatischen, und hier ist allein die Sprache dauerprägend.

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[595/0611] pse_595.001 Stücks den Sarg, den er sich in schwerer Krankheit hat pse_595.002 zimmern lassen, zu Brennholz zerhackt und damit seine pse_595.003 wiedererwachte Lebenskraft ausdrückt, zugleich den Sieg des pse_595.004 weitergehenden Lebens. Bedeutungsvoll sind auch die Verschiebungen pse_595.005 der Personengruppen, so etwa das Ansteigen der pse_595.006 Personenzahl von den zwei einsamen Wächtern bis zur Volksmasse pse_595.007 in der Apfelschußszene oder die Wirkung von Monologen pse_595.008 nach bewegten Szenen. In der Prosafassung der »Iphigenie« pse_595.009 treten am Schluß nochmals alle Personen des Stückes pse_595.010 auf, wenn sie auch stumm bleiben, in der endgültigen bleibt pse_595.011 es bei den drei Hauptgestalten: auf sie und ihre Worte konzentriert pse_595.012 sich alles, Äußeres könnte nur zerstreuen. pse_595.013 2. Im Bereich des Hörbaren gibt es außer der Sprache noch pse_595.014 zwei Kräfte: Geräusche der verschiedensten Art können die pse_595.015 Handlung antreiben oder unterstreichen oder gar ein Stück pse_595.016 der Handlung selbst sein: so der Tod Maria Stuarts, der nur pse_595.017 durch das plötzliche Schweigen und dann das dumpfe Gemurmel pse_595.018 dargestellt wird. Viel umfangreicher ist die Wirkung pse_595.019 der Musik. Damit aber betreten wir ein anderes Gebiet der pse_595.020 Ästhetik. Wir können hier nur Andeutungen geben. Die Musik pse_595.021 ermöglicht unter bestimmten Umständen ganz allgemein pse_595.022 im Rahmen der Dichtung die Steigerung der Ausdruckskraft pse_595.023 ins Gefühlsmäßige, ob sie nun, wie bis ins 18. Jahrhundert, das pse_595.024 in feststehenden Formen für bestimmte Gefühlsbereiche pse_595.025 macht oder ganz konkrete individuelle Seelenregungen pse_595.026 herausarbeitet. Beim Drama ist die entscheidende Frage, ob pse_595.027 sie das spezifisch Dramatische verstärken kann. Morphologisch pse_595.028 lassen sich zwei Entwicklungstendenzen aus einem Uransatz pse_595.029 erkennen. Darin können wir alle tatsächlich vorkommenden pse_595.030 Formen einordnen. pse_595.031 Äußerlich setzt die Entwicklung des Dramas tatsächlich mit pse_595.032 der Musik ein: aus den Chorliedern bei den Griechen, aus den pse_595.033 liturgischen Gesängen im mittelalterlichen Spiel. Das eigentlich pse_595.034 Dramatische aber beginnt mit der Sprache. Das Dramatische pse_595.035 ist je nur erfaßbar in besonderen Vorgängen, die sich pse_595.036 wieder in Handlungen konkretisieren; dazu sind deutlich umgrenzbare pse_595.037 Gehalte notwendig. Das ist ein rationaler Zug im pse_595.038 Dramatischen, und hier ist allein die Sprache dauerprägend.

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/611>, abgerufen am 22.11.2024.