pse_583.001 unsichtbare Räume können durch das Miterleben der Personen pse_583.002 auf der Bühne in den Handlungsraum hereingezogen pse_583.003 werden. Solche Enthebung von der Wirklichkeit kann zur pse_583.004 Entdinglichung führen: der Raum kann so die Idee herausstellen pse_583.005 oder symbolisch werden: die Enge eines Zimmers, die pse_583.006 Weite einer Landschaft schaffen eine grundlegende und sinnvolle pse_583.007 Stimmung. Der Raum kann sich zusehends verengen pse_583.008 und damit die tragische Ausweglosigkeit andeuten, so besonders pse_583.009 im Wallensteindrama vom "Lager" an, bis Wallenstein pse_583.010 in Eger ist, das von Butler geradezu als Falle bezeichnet wird. pse_583.011 Das Gegenteil sehen wir im "Fidelio" und im Tellschluß. pse_583.012 Sehr wichtig für die Gesamtanlage eines Dramas ist die Frage, pse_583.013 ob der Dichter die Handlung auf einen Raum konzentriert pse_583.014 oder sie durch viele Räume sich hindurchbewegen läßt: pse_583.015 Einortdrama -- Bewegungsdrama.
pse_583.016 Im Einortdrama, das seine reinsten Ausprägungen in der pse_583.017 Antike, in der französischen tragedie classique und im naturalistischen pse_583.018 Drama findet, bleibt der Zuschauer immer in eine pse_583.019 Richtung gezwungen; das schafft dauernde Konzentration pse_583.020 ausschließlich auf den Vorgang. Dabei kann der Raum als pse_583.021 bloßer Rahmen gedacht sein für die Reden und Bewegungen pse_583.022 der Personen, oder er ist realistisch reich ausgestattet. Man pse_583.023 könnte alle Wirkungen solcher Anlage an Max Mells Versuch pse_583.024 beobachten, die beiden Teile seines Nibelungendramas je auf pse_583.025 einen Raum zu verdichten. Im Einortdrama sind die Figuren pse_583.026 streng in einen Raum gebannt, alle ihre Bewegungen richten pse_583.027 sich danach ein. Da man dem gleichen Raum nicht entkommt, pse_583.028 verdichtet sich so auch der Zeitablauf. In der Handlung zeigt pse_583.029 sich die deutlichste Auswirkung dieses Stilprinzips: die Konzentration pse_583.030 erzwingt Vollständigkeit, drückt aber auch Unentrinnbarkeit pse_583.031 aus, wie besonders in Ibsens "Gespenstern". Aber pse_583.032 sie ermöglicht auch die Einbeziehung des Inneren in hohem pse_583.033 Grade: man denke an "Iphigenie", "Tasso", "Antigone". Die pse_583.034 Handlung erreicht so große Unmittelbarkeit: obwohl in pse_583.035 Goethes "Iphigenie" der Vorgang weit in die Vergangenheit pse_583.036 und in andere Räume und endlich in die Zukunft von Individuen, pse_583.037 Familien und Völkern ausgreift, konzentriert sich pse_583.038 diese Fülle doch auf den einen heiligen Raum und damit auf
pse_583.001 unsichtbare Räume können durch das Miterleben der Personen pse_583.002 auf der Bühne in den Handlungsraum hereingezogen pse_583.003 werden. Solche Enthebung von der Wirklichkeit kann zur pse_583.004 Entdinglichung führen: der Raum kann so die Idee herausstellen pse_583.005 oder symbolisch werden: die Enge eines Zimmers, die pse_583.006 Weite einer Landschaft schaffen eine grundlegende und sinnvolle pse_583.007 Stimmung. Der Raum kann sich zusehends verengen pse_583.008 und damit die tragische Ausweglosigkeit andeuten, so besonders pse_583.009 im Wallensteindrama vom »Lager« an, bis Wallenstein pse_583.010 in Eger ist, das von Butler geradezu als Falle bezeichnet wird. pse_583.011 Das Gegenteil sehen wir im »Fidelio« und im Tellschluß. pse_583.012 Sehr wichtig für die Gesamtanlage eines Dramas ist die Frage, pse_583.013 ob der Dichter die Handlung auf einen Raum konzentriert pse_583.014 oder sie durch viele Räume sich hindurchbewegen läßt: pse_583.015 Einortdrama — Bewegungsdrama.
pse_583.016 Im Einortdrama, das seine reinsten Ausprägungen in der pse_583.017 Antike, in der französischen tragédie classique und im naturalistischen pse_583.018 Drama findet, bleibt der Zuschauer immer in eine pse_583.019 Richtung gezwungen; das schafft dauernde Konzentration pse_583.020 ausschließlich auf den Vorgang. Dabei kann der Raum als pse_583.021 bloßer Rahmen gedacht sein für die Reden und Bewegungen pse_583.022 der Personen, oder er ist realistisch reich ausgestattet. Man pse_583.023 könnte alle Wirkungen solcher Anlage an Max Mells Versuch pse_583.024 beobachten, die beiden Teile seines Nibelungendramas je auf pse_583.025 einen Raum zu verdichten. Im Einortdrama sind die Figuren pse_583.026 streng in einen Raum gebannt, alle ihre Bewegungen richten pse_583.027 sich danach ein. Da man dem gleichen Raum nicht entkommt, pse_583.028 verdichtet sich so auch der Zeitablauf. In der Handlung zeigt pse_583.029 sich die deutlichste Auswirkung dieses Stilprinzips: die Konzentration pse_583.030 erzwingt Vollständigkeit, drückt aber auch Unentrinnbarkeit pse_583.031 aus, wie besonders in Ibsens »Gespenstern«. Aber pse_583.032 sie ermöglicht auch die Einbeziehung des Inneren in hohem pse_583.033 Grade: man denke an »Iphigenie«, »Tasso«, »Antigone«. Die pse_583.034 Handlung erreicht so große Unmittelbarkeit: obwohl in pse_583.035 Goethes »Iphigenie« der Vorgang weit in die Vergangenheit pse_583.036 und in andere Räume und endlich in die Zukunft von Individuen, pse_583.037 Familien und Völkern ausgreift, konzentriert sich pse_583.038 diese Fülle doch auf den einen heiligen Raum und damit auf
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in Eger ist, das von Butler geradezu als Falle bezeichnet wird. pse_583.011
Das Gegenteil sehen wir im »Fidelio« und im Tellschluß. pse_583.012
Sehr wichtig für die Gesamtanlage eines Dramas ist die Frage, pse_583.013
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sich die deutlichste Auswirkung dieses Stilprinzips: die Konzentration pse_583.030
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/599>, abgerufen am 22.11.2024.
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