pse_538.001 und zwar in dreifacher Hinsicht. Zunächst schon werden die pse_538.002 Teile eines Romans wegen der Ausdifferenziertheit der in ihm pse_538.003 gestalteten Welt in sich selbständiger, sie werden zu Gebilden pse_538.004 für sich, gleichsam eigene Individualitäten. Dann entfaltet pse_538.005 sich die Innerlichkeit der Romanfiguren in stärkster Weise, pse_538.006 besonders eben dadurch, daß sie einer zunächst fremden pse_538.007 Welt gegenüberstehen. Nur in der ausgebildeten Individualität pse_538.008 finden sie da in sich einen Halt. Und endlich wird im pse_538.009 Roman diese Spannung zwischen menschlicher Subjektivität pse_538.010 und gegenüberstehender fremder Welt von einem ganz bestimmten pse_538.011 Blickpunkt aus gesehen: die Subjektivität des Erzählers pse_538.012 tritt hinzu.
pse_538.013 Für die Gestaltung des Romans ist dann, wie wir schon bei pse_538.014 den allgemeinen Betrachtungen zur Epik gesehen haben, das pse_538.015 Menschenbild, das in ihm lebendig wird, von großer Bedeutung. pse_538.016 Das Menschenbild im Roman wandelt sich entsprechend pse_538.017 der geschichtlichen Entwicklung, und dadurch ist auch mancher pse_538.018 entscheidende Formwandel bedingt. Im Barockzeitalter pse_538.019 zeigt das Bild der Menschen immer eine bestimmte Normiertheit: pse_538.020 der Mensch ist entweder tugendhaft oder ein Bösewicht. pse_538.021 Die Tugendhaften sind immer durch ihre feste und klare pse_538.022 innere Haltung gegenüber allen Anstürmen der bösen Welt pse_538.023 gekennzeichnet. Die Bösen sind die Gewaltsamen, die Bewegung pse_538.024 ins Ganze bringen, die selbst starke innere Umbrüche pse_538.025 erleben. Damit ergibt sich schon eine bestimmte Struktur des pse_538.026 Romans, sie wird aber noch weiterhin dadurch festgelegt, daß pse_538.027 jeder einzelne Schritt der Handlung, jede Episode, jeder neue pse_538.028 Umschwung, der durch einen Gewaltmenschen erzwungen pse_538.029 wird und den die tugendhafte Gestalt mit gleicher Würde pse_538.030 trägt, nie so sehr ein Glied in einer fortlaufenden Kette ist, als pse_538.031 vielmehr eine neue Situation, die unmittelbar zu Gott, zum pse_538.032 Überirdischen steht. So stellt ein Barockroman eine Reihe pse_538.033 von Stationen dar, in denen sich der Mensch bewähren muß, pse_538.034 die für ihn gottgeschickt sind -- darin ruht die symbolische pse_538.035 Funktion des Bösewichts. Eine Entwicklung des Menschen, pse_538.036 besonders des tugendhaften, ist dadurch nicht gegeben. So hat pse_538.037 der Barockroman auch kein zielhaftes Ende, auch die einzelnen pse_538.038 Situationen sind nicht aus einem Gesamtorganismus
pse_538.001 und zwar in dreifacher Hinsicht. Zunächst schon werden die pse_538.002 Teile eines Romans wegen der Ausdifferenziertheit der in ihm pse_538.003 gestalteten Welt in sich selbständiger, sie werden zu Gebilden pse_538.004 für sich, gleichsam eigene Individualitäten. Dann entfaltet pse_538.005 sich die Innerlichkeit der Romanfiguren in stärkster Weise, pse_538.006 besonders eben dadurch, daß sie einer zunächst fremden pse_538.007 Welt gegenüberstehen. Nur in der ausgebildeten Individualität pse_538.008 finden sie da in sich einen Halt. Und endlich wird im pse_538.009 Roman diese Spannung zwischen menschlicher Subjektivität pse_538.010 und gegenüberstehender fremder Welt von einem ganz bestimmten pse_538.011 Blickpunkt aus gesehen: die Subjektivität des Erzählers pse_538.012 tritt hinzu.
pse_538.013 Für die Gestaltung des Romans ist dann, wie wir schon bei pse_538.014 den allgemeinen Betrachtungen zur Epik gesehen haben, das pse_538.015 Menschenbild, das in ihm lebendig wird, von großer Bedeutung. pse_538.016 Das Menschenbild im Roman wandelt sich entsprechend pse_538.017 der geschichtlichen Entwicklung, und dadurch ist auch mancher pse_538.018 entscheidende Formwandel bedingt. Im Barockzeitalter pse_538.019 zeigt das Bild der Menschen immer eine bestimmte Normiertheit: pse_538.020 der Mensch ist entweder tugendhaft oder ein Bösewicht. pse_538.021 Die Tugendhaften sind immer durch ihre feste und klare pse_538.022 innere Haltung gegenüber allen Anstürmen der bösen Welt pse_538.023 gekennzeichnet. Die Bösen sind die Gewaltsamen, die Bewegung pse_538.024 ins Ganze bringen, die selbst starke innere Umbrüche pse_538.025 erleben. Damit ergibt sich schon eine bestimmte Struktur des pse_538.026 Romans, sie wird aber noch weiterhin dadurch festgelegt, daß pse_538.027 jeder einzelne Schritt der Handlung, jede Episode, jeder neue pse_538.028 Umschwung, der durch einen Gewaltmenschen erzwungen pse_538.029 wird und den die tugendhafte Gestalt mit gleicher Würde pse_538.030 trägt, nie so sehr ein Glied in einer fortlaufenden Kette ist, als pse_538.031 vielmehr eine neue Situation, die unmittelbar zu Gott, zum pse_538.032 Überirdischen steht. So stellt ein Barockroman eine Reihe pse_538.033 von Stationen dar, in denen sich der Mensch bewähren muß, pse_538.034 die für ihn gottgeschickt sind — darin ruht die symbolische pse_538.035 Funktion des Bösewichts. Eine Entwicklung des Menschen, pse_538.036 besonders des tugendhaften, ist dadurch nicht gegeben. So hat pse_538.037 der Barockroman auch kein zielhaftes Ende, auch die einzelnen pse_538.038 Situationen sind nicht aus einem Gesamtorganismus
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gestalteten Welt in sich selbständiger, sie werden zu Gebilden pse_538.004
für sich, gleichsam eigene Individualitäten. Dann entfaltet pse_538.005
sich die Innerlichkeit der Romanfiguren in stärkster Weise, pse_538.006
besonders eben dadurch, daß sie einer zunächst fremden pse_538.007
Welt gegenüberstehen. Nur in der ausgebildeten Individualität pse_538.008
finden sie da in sich einen Halt. Und endlich wird im pse_538.009
Roman diese Spannung zwischen menschlicher Subjektivität pse_538.010
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Blickpunkt aus gesehen: die Subjektivität des Erzählers pse_538.012
tritt hinzu.
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Für die Gestaltung des Romans ist dann, wie wir schon bei pse_538.014
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Menschenbild, das in ihm lebendig wird, von großer Bedeutung. pse_538.016
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der Mensch ist entweder tugendhaft oder ein Bösewicht. pse_538.021
Die Tugendhaften sind immer durch ihre feste und klare pse_538.022
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jeder einzelne Schritt der Handlung, jede Episode, jeder neue pse_538.028
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trägt, nie so sehr ein Glied in einer fortlaufenden Kette ist, als pse_538.031
vielmehr eine neue Situation, die unmittelbar zu Gott, zum pse_538.032
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/554>, abgerufen am 22.11.2024.
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