pse_534.001 Aber dreierlei ist dabei zu beachten. 1. Neben diesen pse_534.002 Romanen, die scheinbar die bisherige Form zerbrechen oder pse_534.003 langsam auflösen, gibt es auch andere in unserer Zeit, die die pse_534.004 Tradition aufrechterhalten. Das sind nicht nur die Unmenge pse_534.005 der Unterhaltungsromane, die kaum einmal neue künstlerische pse_534.006 Wagnisse des Erzählens aufweisen, sondern auch bedeutende pse_534.007 dichterische Leistungen. Ihnen gegenüber zeigt pse_534.008 dann die Kritik eine doppelte Haltung: entweder tut sie sie pse_534.009 mit den Worten "veraltet", problemlos, seicht, oder gar mit pse_534.010 politischer Diffamierung ab, oder sie sucht krampfhaft nach pse_534.011 Zügen, die sie nun auch zur einzig möglichen modernen pse_534.012 Kunst stempeln. Entscheidungen sind hier oft sehr schwer: pse_534.013 der Kampf zwischen Revolution und Tradition ist sehr scharf, pse_534.014 und es muß beachtet werden, daß Traditionsgebundenheit pse_534.015 sicher auch unschöpferisches, plattes Epigonentum sein kann, pse_534.016 daß aber Revolution auch unkünstlerisches Experimentieren, pse_534.017 freches Auftrumpfen und Zerstörung um der Zerstörung pse_534.018 willen bedeuten kann. 2. Viele Züge des modernen Romans pse_534.019 sind gar nicht modern. Wir finden sie früher schon. Wir sind pse_534.020 bei tieferer geschichtlicher Betrachtung erstaunt, daß manches, pse_534.021 was uns heute als das künstlerisch Neue hingestellt pse_534.022 wird, schon im Barockroman oder in den Romanen der deutschen pse_534.023 Romantik zu finden ist. Theoretische Forderungen der pse_534.024 Brüder Schlegel und Hardenbergs und Versuche E. T. A. pse_534.025 Hoffmanns, besonders sein "Kater Murr" werden vom modernen pse_534.026 Roman wieder aufgenommen und weitergeführt. Der pse_534.027 Roman der früheren Goethezeit und des 19. Jahrhunderts pse_534.028 würde dann mit dem der Aufklärungszeit eine engere Einheit pse_534.029 gegenüber dem Zusammenhang Barock-Romantik-Moderne pse_534.030 bilden. Ein solcher geschichtlicher Blick schränkt den Ruhm pse_534.031 der Neuheit doch wesentlich ein. 3. Wir müssen immer beachten, pse_534.032 daß die letzten 30-40 Jahre des Romanschaffens einem, pse_534.033 das vom späten Altertum bis Ende des 19. Jahrhunderts reicht, pse_534.034 gegenübersteht. Das zwingt zur Bescheidenheit, vor allem pse_534.035 in den Prognosen. Und selbstverständlich versuchen wir hier, pse_534.036 ein Gesamtbild der Kunstform des Romans zu geben. Doch pse_534.037 sollen immerhin die Züge des modernen Romans beachtet pse_534.038 werden. Auf alle Fälle kann man noch nicht sagen, daß der
pse_534.001 Aber dreierlei ist dabei zu beachten. 1. Neben diesen pse_534.002 Romanen, die scheinbar die bisherige Form zerbrechen oder pse_534.003 langsam auflösen, gibt es auch andere in unserer Zeit, die die pse_534.004 Tradition aufrechterhalten. Das sind nicht nur die Unmenge pse_534.005 der Unterhaltungsromane, die kaum einmal neue künstlerische pse_534.006 Wagnisse des Erzählens aufweisen, sondern auch bedeutende pse_534.007 dichterische Leistungen. Ihnen gegenüber zeigt pse_534.008 dann die Kritik eine doppelte Haltung: entweder tut sie sie pse_534.009 mit den Worten »veraltet«, problemlos, seicht, oder gar mit pse_534.010 politischer Diffamierung ab, oder sie sucht krampfhaft nach pse_534.011 Zügen, die sie nun auch zur einzig möglichen modernen pse_534.012 Kunst stempeln. Entscheidungen sind hier oft sehr schwer: pse_534.013 der Kampf zwischen Revolution und Tradition ist sehr scharf, pse_534.014 und es muß beachtet werden, daß Traditionsgebundenheit pse_534.015 sicher auch unschöpferisches, plattes Epigonentum sein kann, pse_534.016 daß aber Revolution auch unkünstlerisches Experimentieren, pse_534.017 freches Auftrumpfen und Zerstörung um der Zerstörung pse_534.018 willen bedeuten kann. 2. Viele Züge des modernen Romans pse_534.019 sind gar nicht modern. Wir finden sie früher schon. Wir sind pse_534.020 bei tieferer geschichtlicher Betrachtung erstaunt, daß manches, pse_534.021 was uns heute als das künstlerisch Neue hingestellt pse_534.022 wird, schon im Barockroman oder in den Romanen der deutschen pse_534.023 Romantik zu finden ist. Theoretische Forderungen der pse_534.024 Brüder Schlegel und Hardenbergs und Versuche E. T. A. pse_534.025 Hoffmanns, besonders sein »Kater Murr« werden vom modernen pse_534.026 Roman wieder aufgenommen und weitergeführt. Der pse_534.027 Roman der früheren Goethezeit und des 19. Jahrhunderts pse_534.028 würde dann mit dem der Aufklärungszeit eine engere Einheit pse_534.029 gegenüber dem Zusammenhang Barock-Romantik-Moderne pse_534.030 bilden. Ein solcher geschichtlicher Blick schränkt den Ruhm pse_534.031 der Neuheit doch wesentlich ein. 3. Wir müssen immer beachten, pse_534.032 daß die letzten 30–40 Jahre des Romanschaffens einem, pse_534.033 das vom späten Altertum bis Ende des 19. Jahrhunderts reicht, pse_534.034 gegenübersteht. Das zwingt zur Bescheidenheit, vor allem pse_534.035 in den Prognosen. Und selbstverständlich versuchen wir hier, pse_534.036 ein Gesamtbild der Kunstform des Romans zu geben. Doch pse_534.037 sollen immerhin die Züge des modernen Romans beachtet pse_534.038 werden. Auf alle Fälle kann man noch nicht sagen, daß der
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Aber dreierlei ist dabei zu beachten. 1. Neben diesen pse_534.002
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Tradition aufrechterhalten. Das sind nicht nur die Unmenge pse_534.005
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Wagnisse des Erzählens aufweisen, sondern auch bedeutende pse_534.007
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dann die Kritik eine doppelte Haltung: entweder tut sie sie pse_534.009
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politischer Diffamierung ab, oder sie sucht krampfhaft nach pse_534.011
Zügen, die sie nun auch zur einzig möglichen modernen pse_534.012
Kunst stempeln. Entscheidungen sind hier oft sehr schwer: pse_534.013
der Kampf zwischen Revolution und Tradition ist sehr scharf, pse_534.014
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sicher auch unschöpferisches, plattes Epigonentum sein kann, pse_534.016
daß aber Revolution auch unkünstlerisches Experimentieren, pse_534.017
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Brüder Schlegel und Hardenbergs und Versuche E. T. A. pse_534.025
Hoffmanns, besonders sein »Kater Murr« werden vom modernen pse_534.026
Roman wieder aufgenommen und weitergeführt. Der pse_534.027
Roman der früheren Goethezeit und des 19. Jahrhunderts pse_534.028
würde dann mit dem der Aufklärungszeit eine engere Einheit pse_534.029
gegenüber dem Zusammenhang Barock-Romantik-Moderne pse_534.030
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der Neuheit doch wesentlich ein. 3. Wir müssen immer beachten, pse_534.032
daß die letzten 30–40 Jahre des Romanschaffens einem, pse_534.033
das vom späten Altertum bis Ende des 19. Jahrhunderts reicht, pse_534.034
gegenübersteht. Das zwingt zur Bescheidenheit, vor allem pse_534.035
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sollen immerhin die Züge des modernen Romans beachtet pse_534.038
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/550>, abgerufen am 22.11.2024.
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