pse_519.001 Persönlichkeit scharf erleuchtet. Sie ist erzählerisch reiner als pse_519.002 die Anekdote, die eine erzählerische Absicht hat: einen Charakter pse_519.003 blitzartig zu erleuchten. Damit wird der Schluß wichtig: pse_519.004 während die Anekdote mehr auf Verblüffung abzielt, pse_519.005 tritt bei der Kurzgeschichte am Schluß meist eine plötzliche pse_519.006 Erschütterung ein. Der Schluß ist unerwartet, er bleibt offen. pse_519.007 Es ist keine Lösung, sondern ein bloßes Aufhorchen. Leiden pse_519.008 und Grauen bewirken einen Schock. So erscheint die Kurzgeschichte pse_519.009 vom Schluß her gebaut und bereitet im Ablauf pse_519.010 stimmungsmäßig auf ihn vor. Ein schicksalhaltiger Augenblick pse_519.011 verdichtet sich im scheinbar Zufälligen. Neuerlich bahnt pse_519.012 sich eine Form an, die das Grauen vor dem Rätselhaften unserer pse_519.013 modernen Zivilisationslage doch wieder in Daseinszusammenhänge pse_519.014 einordnen möchte: Gerd Gaisers Sammlung pse_519.015 "Einmal und oft" (1956). Natürlich gibt es auch Mischformen, pse_519.016 besonders weist die Kurzgeschichte eben Beziehungen zur pse_519.017 Novelle, zur Anekdote, zur Parabel und zur Erzählung pse_519.018 überhaupt auf.
pse_519.019 Nicht alles knappe Erzählen ist streng gebaut, es kann sich pse_519.020 freier, ungezwungener geben, ohne ins Breite zu geraten. Die pse_519.021 freieren Formen der Kurzepik sind die einfache Erzählung, das pse_519.022 Märchen, die Sage, die Legende, die Fabel und die Parabel. pse_519.023 Alle diese Arten können in Versen oder in Prosa gedichtet pse_519.024 sein. In den letzten beiden Formen taucht im Erzählten etwas pse_519.025 Lehrhaftes auf, die übrigen sind reine Erzählgebilde.
pse_519.026 Der Ausdruck "Erzählung" ist in diesem Rahmen beinahe pse_519.027 ein Verlegenheitsausdruck: denn er umfaßt eigentlich alles, pse_519.028 was nicht in eine der anderen Arten zwanglos sich einordnen pse_519.029 läßt. Vor allem gehört hier herein alles, was volkstümlich pse_519.030 ohne künstlerischen Anspruch erzählt wird, schlichte Erzählungen pse_519.031 etwa Roseggers, Adolf Pichlers, aber auch harmlose pse_519.032 Verserzählungen.
pse_519.033 Viel wichtiger und künstlerisch geprägt ist das Märchen.pse_519.034 Auch hier unterscheidet man Volksmärchen und Kunstmärchen. pse_519.035 Und auch hier wieder ist wesentlich für das Volksmärchen, pse_519.036 daß es in bestimmten Lagen und Gemeinschaften pse_519.037 wirklich lebt, indem es bei bestimmten Gelegenheiten tatsächlich pse_519.038 erzählt wird. Das Kunstmärchen greift die Züge, die
pse_519.001 Persönlichkeit scharf erleuchtet. Sie ist erzählerisch reiner als pse_519.002 die Anekdote, die eine erzählerische Absicht hat: einen Charakter pse_519.003 blitzartig zu erleuchten. Damit wird der Schluß wichtig: pse_519.004 während die Anekdote mehr auf Verblüffung abzielt, pse_519.005 tritt bei der Kurzgeschichte am Schluß meist eine plötzliche pse_519.006 Erschütterung ein. Der Schluß ist unerwartet, er bleibt offen. pse_519.007 Es ist keine Lösung, sondern ein bloßes Aufhorchen. Leiden pse_519.008 und Grauen bewirken einen Schock. So erscheint die Kurzgeschichte pse_519.009 vom Schluß her gebaut und bereitet im Ablauf pse_519.010 stimmungsmäßig auf ihn vor. Ein schicksalhaltiger Augenblick pse_519.011 verdichtet sich im scheinbar Zufälligen. Neuerlich bahnt pse_519.012 sich eine Form an, die das Grauen vor dem Rätselhaften unserer pse_519.013 modernen Zivilisationslage doch wieder in Daseinszusammenhänge pse_519.014 einordnen möchte: Gerd Gaisers Sammlung pse_519.015 »Einmal und oft« (1956). Natürlich gibt es auch Mischformen, pse_519.016 besonders weist die Kurzgeschichte eben Beziehungen zur pse_519.017 Novelle, zur Anekdote, zur Parabel und zur Erzählung pse_519.018 überhaupt auf.
pse_519.019 Nicht alles knappe Erzählen ist streng gebaut, es kann sich pse_519.020 freier, ungezwungener geben, ohne ins Breite zu geraten. Die pse_519.021 freieren Formen der Kurzepik sind die einfache Erzählung, das pse_519.022 Märchen, die Sage, die Legende, die Fabel und die Parabel. pse_519.023 Alle diese Arten können in Versen oder in Prosa gedichtet pse_519.024 sein. In den letzten beiden Formen taucht im Erzählten etwas pse_519.025 Lehrhaftes auf, die übrigen sind reine Erzählgebilde.
pse_519.026 Der Ausdruck »Erzählung« ist in diesem Rahmen beinahe pse_519.027 ein Verlegenheitsausdruck: denn er umfaßt eigentlich alles, pse_519.028 was nicht in eine der anderen Arten zwanglos sich einordnen pse_519.029 läßt. Vor allem gehört hier herein alles, was volkstümlich pse_519.030 ohne künstlerischen Anspruch erzählt wird, schlichte Erzählungen pse_519.031 etwa Roseggers, Adolf Pichlers, aber auch harmlose pse_519.032 Verserzählungen.
pse_519.033 Viel wichtiger und künstlerisch geprägt ist das Märchen.pse_519.034 Auch hier unterscheidet man Volksmärchen und Kunstmärchen. pse_519.035 Und auch hier wieder ist wesentlich für das Volksmärchen, pse_519.036 daß es in bestimmten Lagen und Gemeinschaften pse_519.037 wirklich lebt, indem es bei bestimmten Gelegenheiten tatsächlich pse_519.038 erzählt wird. Das Kunstmärchen greift die Züge, die
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Persönlichkeit scharf erleuchtet. Sie ist erzählerisch reiner als pse_519.002
die Anekdote, die eine erzählerische Absicht hat: einen Charakter pse_519.003
blitzartig zu erleuchten. Damit wird der Schluß wichtig: pse_519.004
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tritt bei der Kurzgeschichte am Schluß meist eine plötzliche pse_519.006
Erschütterung ein. Der Schluß ist unerwartet, er bleibt offen. pse_519.007
Es ist keine Lösung, sondern ein bloßes Aufhorchen. Leiden pse_519.008
und Grauen bewirken einen Schock. So erscheint die Kurzgeschichte pse_519.009
vom Schluß her gebaut und bereitet im Ablauf pse_519.010
stimmungsmäßig auf ihn vor. Ein schicksalhaltiger Augenblick pse_519.011
verdichtet sich im scheinbar Zufälligen. Neuerlich bahnt pse_519.012
sich eine Form an, die das Grauen vor dem Rätselhaften unserer pse_519.013
modernen Zivilisationslage doch wieder in Daseinszusammenhänge pse_519.014
einordnen möchte: Gerd Gaisers Sammlung pse_519.015
»Einmal und oft« (1956). Natürlich gibt es auch Mischformen, pse_519.016
besonders weist die Kurzgeschichte eben Beziehungen zur pse_519.017
Novelle, zur Anekdote, zur Parabel und zur Erzählung pse_519.018
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Nicht alles knappe Erzählen ist streng gebaut, es kann sich pse_519.020
freier, ungezwungener geben, ohne ins Breite zu geraten. Die pse_519.021
freieren Formen der Kurzepik sind die einfache Erzählung, das pse_519.022
Märchen, die Sage, die Legende, die Fabel und die Parabel. pse_519.023
Alle diese Arten können in Versen oder in Prosa gedichtet pse_519.024
sein. In den letzten beiden Formen taucht im Erzählten etwas pse_519.025
Lehrhaftes auf, die übrigen sind reine Erzählgebilde.
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Der Ausdruck »Erzählung« ist in diesem Rahmen beinahe pse_519.027
ein Verlegenheitsausdruck: denn er umfaßt eigentlich alles, pse_519.028
was nicht in eine der anderen Arten zwanglos sich einordnen pse_519.029
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ohne künstlerischen Anspruch erzählt wird, schlichte Erzählungen pse_519.031
etwa Roseggers, Adolf Pichlers, aber auch harmlose pse_519.032
Verserzählungen.
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Viel wichtiger und künstlerisch geprägt ist das Märchen. pse_519.034
Auch hier unterscheidet man Volksmärchen und Kunstmärchen. pse_519.035
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daß es in bestimmten Lagen und Gemeinschaften pse_519.037
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erzählt wird. Das Kunstmärchen greift die Züge, die
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/535>, abgerufen am 28.11.2024.
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