pse_514.001 Ausweichen. Die Höhe bildet der Heimatbesuch, der selber pse_514.002 wieder novellistisch aufgebaut ist mit der Schlußsteigerung pse_514.003 im dänischen Badeort. Der Brief an Lisaweta ist der deutliche pse_514.004 Abschluß, der Durchbruch zum Opfer des Künstlerdaseins. pse_514.005 Das sind nur angedeutete Beispiele, die zeigen sollen, daß pse_514.006 nicht die äußere Länge maßgebend ist, sondern die bewußt pse_514.007 geschlossene und einheitliche Gestaltung mit einer Steigerung pse_514.008 zu einer Höhe, in der sich der tiefere Sinn des Ganzen, pse_514.009 das erzählt wird, offenbart.
pse_514.010 Zu der betonten künstlerischen Gestaltung gehört vielfach pse_514.011 der Rahmen. Er ist kein allgemeiner Zug der Novellenkunst, pse_514.012 aber er findet sich sehr häufig. Formen und Funktionen des pse_514.013 Rahmens sind sehr mannigfaltig. Die Formen lassen sich im pse_514.014 allgemeinen auf vier Arten zurückführen: entweder wird nur pse_514.015 eine Art Einführung oder Einstimmung gegeben, so daß mehr pse_514.016 ein stimmungsmäßiger Untergrund entsteht. Oder es wird pse_514.017 um mehrere Novellen ein Rahmen gelegt, wie das am bekanntesten pse_514.018 in Boccaccios "Decamerone" der Fall ist. Oder es erhält pse_514.019 nur eine Novelle einen Rahmen, wie häufig bei C. F. Meyer pse_514.020 oder Th. Storm. Endlich gibt es eine Zwiebeltechnik, wo pse_514.021 mehrere Novellen ineinandergelegt sind und je die äußere pse_514.022 zugleich den Rahmen für die innere bildet. E. T. A. Hoffmanns pse_514.023 "Fräulein von Scuderi" wird von Sebastian den Serapionsbrüdern pse_514.024 erzählt; eingebaut ist der lange Lebensbericht pse_514.025 Olivier Brussons, der an einer Stelle Cardillacs Dasein mit pse_514.026 dessen eigenen Worten einschaltet. Wesentlich ist aber der pse_514.027 Bezug, in dem der Rahmen zu der Binnenerzählung steht. pse_514.028 Handelt es sich nur um eine Novelle, um die ein Rahmen gelegt pse_514.029 ist, so ist der Bezug meist einfach: eine Person, die im pse_514.030 Rahmen vorkommt, erzählt in der Binnennovelle eine Geschichte. pse_514.031 Viel mannigfaltiger ist der Bezug, wenn der Rahmen pse_514.032 mehrere Novellen umfaßt. Man kann da die Möglichkeiten pse_514.033 an der Rahmenkunst G. Kellers geschlossen überblikken. pse_514.034 Es wird nur eine einstimmende Einführung gegeben, pse_514.035 wie Keller das in der Einleitung zu den "Leuten von Seldwyla" pse_514.036 tut: er beschreibt die Stadt und ihre Einwohner und schafft pse_514.037 somit den Lebensraum für die Binnenerzählungen. Es braucht pse_514.038 keinen Abschluß. Der Rahmen selber gibt den Anlaß für die
pse_514.001 Ausweichen. Die Höhe bildet der Heimatbesuch, der selber pse_514.002 wieder novellistisch aufgebaut ist mit der Schlußsteigerung pse_514.003 im dänischen Badeort. Der Brief an Lisaweta ist der deutliche pse_514.004 Abschluß, der Durchbruch zum Opfer des Künstlerdaseins. pse_514.005 Das sind nur angedeutete Beispiele, die zeigen sollen, daß pse_514.006 nicht die äußere Länge maßgebend ist, sondern die bewußt pse_514.007 geschlossene und einheitliche Gestaltung mit einer Steigerung pse_514.008 zu einer Höhe, in der sich der tiefere Sinn des Ganzen, pse_514.009 das erzählt wird, offenbart.
pse_514.010 Zu der betonten künstlerischen Gestaltung gehört vielfach pse_514.011 der Rahmen. Er ist kein allgemeiner Zug der Novellenkunst, pse_514.012 aber er findet sich sehr häufig. Formen und Funktionen des pse_514.013 Rahmens sind sehr mannigfaltig. Die Formen lassen sich im pse_514.014 allgemeinen auf vier Arten zurückführen: entweder wird nur pse_514.015 eine Art Einführung oder Einstimmung gegeben, so daß mehr pse_514.016 ein stimmungsmäßiger Untergrund entsteht. Oder es wird pse_514.017 um mehrere Novellen ein Rahmen gelegt, wie das am bekanntesten pse_514.018 in Boccaccios »Decamerone« der Fall ist. Oder es erhält pse_514.019 nur eine Novelle einen Rahmen, wie häufig bei C. F. Meyer pse_514.020 oder Th. Storm. Endlich gibt es eine Zwiebeltechnik, wo pse_514.021 mehrere Novellen ineinandergelegt sind und je die äußere pse_514.022 zugleich den Rahmen für die innere bildet. E. T. A. Hoffmanns pse_514.023 »Fräulein von Scudéri« wird von Sebastian den Serapionsbrüdern pse_514.024 erzählt; eingebaut ist der lange Lebensbericht pse_514.025 Olivier Brussons, der an einer Stelle Cardillacs Dasein mit pse_514.026 dessen eigenen Worten einschaltet. Wesentlich ist aber der pse_514.027 Bezug, in dem der Rahmen zu der Binnenerzählung steht. pse_514.028 Handelt es sich nur um eine Novelle, um die ein Rahmen gelegt pse_514.029 ist, so ist der Bezug meist einfach: eine Person, die im pse_514.030 Rahmen vorkommt, erzählt in der Binnennovelle eine Geschichte. pse_514.031 Viel mannigfaltiger ist der Bezug, wenn der Rahmen pse_514.032 mehrere Novellen umfaßt. Man kann da die Möglichkeiten pse_514.033 an der Rahmenkunst G. Kellers geschlossen überblikken. pse_514.034 Es wird nur eine einstimmende Einführung gegeben, pse_514.035 wie Keller das in der Einleitung zu den »Leuten von Seldwyla« pse_514.036 tut: er beschreibt die Stadt und ihre Einwohner und schafft pse_514.037 somit den Lebensraum für die Binnenerzählungen. Es braucht pse_514.038 keinen Abschluß. Der Rahmen selber gibt den Anlaß für die
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Ausweichen. Die Höhe bildet der Heimatbesuch, der selber pse_514.002
wieder novellistisch aufgebaut ist mit der Schlußsteigerung pse_514.003
im dänischen Badeort. Der Brief an Lisaweta ist der deutliche pse_514.004
Abschluß, der Durchbruch zum Opfer des Künstlerdaseins. pse_514.005
Das sind nur angedeutete Beispiele, die zeigen sollen, daß pse_514.006
nicht die äußere Länge maßgebend ist, sondern die bewußt pse_514.007
geschlossene und einheitliche Gestaltung mit einer Steigerung pse_514.008
zu einer Höhe, in der sich der tiefere Sinn des Ganzen, pse_514.009
das erzählt wird, offenbart.
pse_514.010
Zu der betonten künstlerischen Gestaltung gehört vielfach pse_514.011
der Rahmen. Er ist kein allgemeiner Zug der Novellenkunst, pse_514.012
aber er findet sich sehr häufig. Formen und Funktionen des pse_514.013
Rahmens sind sehr mannigfaltig. Die Formen lassen sich im pse_514.014
allgemeinen auf vier Arten zurückführen: entweder wird nur pse_514.015
eine Art Einführung oder Einstimmung gegeben, so daß mehr pse_514.016
ein stimmungsmäßiger Untergrund entsteht. Oder es wird pse_514.017
um mehrere Novellen ein Rahmen gelegt, wie das am bekanntesten pse_514.018
in Boccaccios »Decamerone« der Fall ist. Oder es erhält pse_514.019
nur eine Novelle einen Rahmen, wie häufig bei C. F. Meyer pse_514.020
oder Th. Storm. Endlich gibt es eine Zwiebeltechnik, wo pse_514.021
mehrere Novellen ineinandergelegt sind und je die äußere pse_514.022
zugleich den Rahmen für die innere bildet. E. T. A. Hoffmanns pse_514.023
»Fräulein von Scudéri« wird von Sebastian den Serapionsbrüdern pse_514.024
erzählt; eingebaut ist der lange Lebensbericht pse_514.025
Olivier Brussons, der an einer Stelle Cardillacs Dasein mit pse_514.026
dessen eigenen Worten einschaltet. Wesentlich ist aber der pse_514.027
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Handelt es sich nur um eine Novelle, um die ein Rahmen gelegt pse_514.029
ist, so ist der Bezug meist einfach: eine Person, die im pse_514.030
Rahmen vorkommt, erzählt in der Binnennovelle eine Geschichte. pse_514.031
Viel mannigfaltiger ist der Bezug, wenn der Rahmen pse_514.032
mehrere Novellen umfaßt. Man kann da die Möglichkeiten pse_514.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/530>, abgerufen am 24.11.2024.
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