pse_493.001 ungegliederte Masse. Sie können nach der Art des Charakters pse_493.002 und des Handelns gestuft sein. Sehr wichtig ist die Polarität: pse_493.003 wenn zwei Gegenspieler im Vordergrund stehenwie im "Kohlhaas" pse_493.004 oder wenn die Personen einfach durch ihre Art scharf pse_493.005 unterschieden sind. Im "Don Quijote" stehen sich als solche pse_493.006 entgegengesetzte Charaktere Don Quijote und Sancho Pansa pse_493.007 gegenüber. In ihnen werden zwei Welterfassungen lebendig, pse_493.008 die ständig nebeneinander hergehen und alles Geschehen pse_493.009 ständig auf zweifache Weise spiegeln. Im "Nachsommer" pse_493.010 können wir die verschiedensten Zweiergruppen beobachten, pse_493.011 die eben in dieser Art der Verbundenheit das persönliche Du- pse_493.012 Verhältnis als Grundlage jeder Gemeinschaft offenbaren. Auch pse_493.013 Vierergruppen können vorkommen, am bekanntesten die in pse_493.014 den "Wahlverwandtschaften", deren Vorgang ganz im Mit- pse_493.015 und Gegeneinander der vier Gestalten beruht. Die Beziehungen pse_493.016 innerhalb einer Familie können in der Gleichzeitigkeit pse_493.017 wie in den "Brüdern Karamasow" oder in der Aufeinanderfolge pse_493.018 wie in den "Thibaults" gründen. Auch der Geschichtsroman pse_493.019 stellt die Hauptgestalten in den mannigfachsten Beziehungen pse_493.020 dar. Aus diesen Beziehungen ergibt sich auch die pse_493.021 epische Bewegung: die Liebe in ihren Stufen und Wandlungen, pse_493.022 ebenso Haß, Gegensätze der Charaktere; ich erwähne pse_493.023 den Gegensatz von Walt und Vult in Jean Pauls pse_493.024 "Flegeljahren", den von Albano und Roquairol im "Titan" pse_493.025 von Jean Paul, besonders aber die Zusammenhänge von Parzival pse_493.026 und Gawan, von Tristan, Isolde und Marke. Die epische pse_493.027 Bewegung wird noch verwickelter und fülliger durch pse_493.028 die verschiedenen Beziehungen der Nebenpersonen zu den pse_493.029 Hauptgestalten, wenn diese selbst schon in ihrer Bewegung pse_493.030 mannigfaltig sind. Beispiele böten "Titan", "Madame Bovary", pse_493.031 "Ulysses" und Doderers "Strudlhofstiege": hier entsteht eine pse_493.032 verwickelte und durcheinander wirbelnde Welt von Gestalten, pse_493.033 die dann in ihrer Gesamtheit die Handlung bestimmen, pse_493.034 ein Bild des Gesellschaftslebens, das kaum mehr von einzelnen pse_493.035 Personen getragen wird; damit allerdings ein Ausfluß des pse_493.036 modernen Menschen- und Gesellschaftsbildes.
pse_493.037 3. Die Gruppierung nach dem Erzählstandpunkt. Beim pse_493.038 auktorialen Erzählen ist der Erzähler zugleich Schöpfer und
pse_493.001 ungegliederte Masse. Sie können nach der Art des Charakters pse_493.002 und des Handelns gestuft sein. Sehr wichtig ist die Polarität: pse_493.003 wenn zwei Gegenspieler im Vordergrund stehenwie im »Kohlhaas« pse_493.004 oder wenn die Personen einfach durch ihre Art scharf pse_493.005 unterschieden sind. Im »Don Quijote« stehen sich als solche pse_493.006 entgegengesetzte Charaktere Don Quijote und Sancho Pansa pse_493.007 gegenüber. In ihnen werden zwei Welterfassungen lebendig, pse_493.008 die ständig nebeneinander hergehen und alles Geschehen pse_493.009 ständig auf zweifache Weise spiegeln. Im »Nachsommer« pse_493.010 können wir die verschiedensten Zweiergruppen beobachten, pse_493.011 die eben in dieser Art der Verbundenheit das persönliche Du- pse_493.012 Verhältnis als Grundlage jeder Gemeinschaft offenbaren. Auch pse_493.013 Vierergruppen können vorkommen, am bekanntesten die in pse_493.014 den »Wahlverwandtschaften«, deren Vorgang ganz im Mit- pse_493.015 und Gegeneinander der vier Gestalten beruht. Die Beziehungen pse_493.016 innerhalb einer Familie können in der Gleichzeitigkeit pse_493.017 wie in den »Brüdern Karamasow« oder in der Aufeinanderfolge pse_493.018 wie in den »Thibaults« gründen. Auch der Geschichtsroman pse_493.019 stellt die Hauptgestalten in den mannigfachsten Beziehungen pse_493.020 dar. Aus diesen Beziehungen ergibt sich auch die pse_493.021 epische Bewegung: die Liebe in ihren Stufen und Wandlungen, pse_493.022 ebenso Haß, Gegensätze der Charaktere; ich erwähne pse_493.023 den Gegensatz von Walt und Vult in Jean Pauls pse_493.024 »Flegeljahren«, den von Albano und Roquairol im »Titan« pse_493.025 von Jean Paul, besonders aber die Zusammenhänge von Parzival pse_493.026 und Gawan, von Tristan, Isolde und Marke. Die epische pse_493.027 Bewegung wird noch verwickelter und fülliger durch pse_493.028 die verschiedenen Beziehungen der Nebenpersonen zu den pse_493.029 Hauptgestalten, wenn diese selbst schon in ihrer Bewegung pse_493.030 mannigfaltig sind. Beispiele böten »Titan«, »Madame Bovary«, pse_493.031 »Ulysses« und Doderers »Strudlhofstiege«: hier entsteht eine pse_493.032 verwickelte und durcheinander wirbelnde Welt von Gestalten, pse_493.033 die dann in ihrer Gesamtheit die Handlung bestimmen, pse_493.034 ein Bild des Gesellschaftslebens, das kaum mehr von einzelnen pse_493.035 Personen getragen wird; damit allerdings ein Ausfluß des pse_493.036 modernen Menschen- und Gesellschaftsbildes.
pse_493.037 3. Die Gruppierung nach dem Erzählstandpunkt. Beim pse_493.038 auktorialen Erzählen ist der Erzähler zugleich Schöpfer und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0509"n="493"/><lbn="pse_493.001"/>
ungegliederte Masse. Sie können nach der Art des Charakters <lbn="pse_493.002"/>
und des Handelns gestuft sein. Sehr wichtig ist die Polarität: <lbn="pse_493.003"/>
wenn zwei Gegenspieler im Vordergrund stehenwie im »Kohlhaas« <lbn="pse_493.004"/>
oder wenn die Personen einfach durch ihre Art scharf <lbn="pse_493.005"/>
unterschieden sind. Im »Don Quijote« stehen sich als solche <lbn="pse_493.006"/>
entgegengesetzte Charaktere Don Quijote und Sancho Pansa <lbn="pse_493.007"/>
gegenüber. In ihnen werden zwei Welterfassungen lebendig, <lbn="pse_493.008"/>
die ständig nebeneinander hergehen und alles Geschehen <lbn="pse_493.009"/>
ständig auf zweifache Weise spiegeln. Im »Nachsommer« <lbn="pse_493.010"/>
können wir die verschiedensten Zweiergruppen beobachten, <lbn="pse_493.011"/>
die eben in dieser Art der Verbundenheit das persönliche Du- <lbn="pse_493.012"/>
Verhältnis als Grundlage jeder Gemeinschaft offenbaren. Auch <lbn="pse_493.013"/>
Vierergruppen können vorkommen, am bekanntesten die in <lbn="pse_493.014"/>
den »Wahlverwandtschaften«, deren Vorgang ganz im Mit- <lbn="pse_493.015"/>
und Gegeneinander der vier Gestalten beruht. Die Beziehungen <lbn="pse_493.016"/>
innerhalb einer Familie können in der Gleichzeitigkeit <lbn="pse_493.017"/>
wie in den »Brüdern Karamasow« oder in der Aufeinanderfolge <lbn="pse_493.018"/>
wie in den »Thibaults« gründen. Auch der Geschichtsroman <lbn="pse_493.019"/>
stellt die Hauptgestalten in den mannigfachsten Beziehungen <lbn="pse_493.020"/>
dar. Aus diesen Beziehungen ergibt sich auch die <lbn="pse_493.021"/>
epische Bewegung: die Liebe in ihren Stufen und Wandlungen, <lbn="pse_493.022"/>
ebenso Haß, Gegensätze der Charaktere; ich erwähne <lbn="pse_493.023"/>
den Gegensatz von Walt und Vult in Jean Pauls <lbn="pse_493.024"/>
»Flegeljahren«, den von Albano und Roquairol im »Titan« <lbn="pse_493.025"/>
von Jean Paul, besonders aber die Zusammenhänge von Parzival <lbn="pse_493.026"/>
und Gawan, von Tristan, Isolde und Marke. Die epische <lbn="pse_493.027"/>
Bewegung wird noch verwickelter und fülliger durch <lbn="pse_493.028"/>
die verschiedenen Beziehungen der Nebenpersonen zu den <lbn="pse_493.029"/>
Hauptgestalten, wenn diese selbst schon in ihrer Bewegung <lbn="pse_493.030"/>
mannigfaltig sind. Beispiele böten »Titan«, »Madame Bovary«, <lbn="pse_493.031"/>
»Ulysses« und Doderers »Strudlhofstiege«: hier entsteht eine <lbn="pse_493.032"/>
verwickelte und durcheinander wirbelnde Welt von Gestalten, <lbn="pse_493.033"/>
die dann in ihrer Gesamtheit die Handlung bestimmen, <lbn="pse_493.034"/>
ein Bild des Gesellschaftslebens, das kaum mehr von einzelnen <lbn="pse_493.035"/>
Personen getragen wird; damit allerdings ein Ausfluß des <lbn="pse_493.036"/>
modernen Menschen- und Gesellschaftsbildes.</p><p><lbn="pse_493.037"/>
3. Die Gruppierung nach dem Erzählstandpunkt. Beim <lbn="pse_493.038"/>
auktorialen Erzählen ist der Erzähler zugleich Schöpfer und
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[493/0509]
pse_493.001
ungegliederte Masse. Sie können nach der Art des Charakters pse_493.002
und des Handelns gestuft sein. Sehr wichtig ist die Polarität: pse_493.003
wenn zwei Gegenspieler im Vordergrund stehenwie im »Kohlhaas« pse_493.004
oder wenn die Personen einfach durch ihre Art scharf pse_493.005
unterschieden sind. Im »Don Quijote« stehen sich als solche pse_493.006
entgegengesetzte Charaktere Don Quijote und Sancho Pansa pse_493.007
gegenüber. In ihnen werden zwei Welterfassungen lebendig, pse_493.008
die ständig nebeneinander hergehen und alles Geschehen pse_493.009
ständig auf zweifache Weise spiegeln. Im »Nachsommer« pse_493.010
können wir die verschiedensten Zweiergruppen beobachten, pse_493.011
die eben in dieser Art der Verbundenheit das persönliche Du- pse_493.012
Verhältnis als Grundlage jeder Gemeinschaft offenbaren. Auch pse_493.013
Vierergruppen können vorkommen, am bekanntesten die in pse_493.014
den »Wahlverwandtschaften«, deren Vorgang ganz im Mit- pse_493.015
und Gegeneinander der vier Gestalten beruht. Die Beziehungen pse_493.016
innerhalb einer Familie können in der Gleichzeitigkeit pse_493.017
wie in den »Brüdern Karamasow« oder in der Aufeinanderfolge pse_493.018
wie in den »Thibaults« gründen. Auch der Geschichtsroman pse_493.019
stellt die Hauptgestalten in den mannigfachsten Beziehungen pse_493.020
dar. Aus diesen Beziehungen ergibt sich auch die pse_493.021
epische Bewegung: die Liebe in ihren Stufen und Wandlungen, pse_493.022
ebenso Haß, Gegensätze der Charaktere; ich erwähne pse_493.023
den Gegensatz von Walt und Vult in Jean Pauls pse_493.024
»Flegeljahren«, den von Albano und Roquairol im »Titan« pse_493.025
von Jean Paul, besonders aber die Zusammenhänge von Parzival pse_493.026
und Gawan, von Tristan, Isolde und Marke. Die epische pse_493.027
Bewegung wird noch verwickelter und fülliger durch pse_493.028
die verschiedenen Beziehungen der Nebenpersonen zu den pse_493.029
Hauptgestalten, wenn diese selbst schon in ihrer Bewegung pse_493.030
mannigfaltig sind. Beispiele böten »Titan«, »Madame Bovary«, pse_493.031
»Ulysses« und Doderers »Strudlhofstiege«: hier entsteht eine pse_493.032
verwickelte und durcheinander wirbelnde Welt von Gestalten, pse_493.033
die dann in ihrer Gesamtheit die Handlung bestimmen, pse_493.034
ein Bild des Gesellschaftslebens, das kaum mehr von einzelnen pse_493.035
Personen getragen wird; damit allerdings ein Ausfluß des pse_493.036
modernen Menschen- und Gesellschaftsbildes.
pse_493.037
3. Die Gruppierung nach dem Erzählstandpunkt. Beim pse_493.038
auktorialen Erzählen ist der Erzähler zugleich Schöpfer und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/509>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.