pse_485.001 die Fiktion bedeute. Denn auch in solchen Romanen, deren pse_485.002 Handlung der Dichter in die Zukunft verlegt, nimmt er pse_485.003 einen Erzählstandpunkt nach dem Ablauf des Vorgangs ein. pse_485.004 Sonst müßte der Erzähler in die Zukunft hinein erzählen, pse_485.005 wenn er unseren heutigen Zeitpunkt als Standpunkt wählte, pse_485.006 oder im dauernden Präsens, wenn er als Erzähler die Handlung pse_485.007 in die Zukunft hinein begleiten wollte. Nur von solchem pse_485.008 Standpunkt am Ende des Vorgangs gewinnt der Erzähler die pse_485.009 Überschau des freien Erzählens. Aber von diesem Standpunkt pse_485.010 aus liegt für ihn der Vorgang in der Vergangenheit: er schaut pse_485.011 auf ihn zurück. Dabei entstehen dann ganz eigenartige Spannungen, pse_485.012 da zugleich der Leser in die Zukunft blickt.
pse_485.013 Die Zeitadverbien (heute, gestern, morgen usw.) beziehen pse_485.014 sich in einer Erzählung natürlich nie auf die wirkliche Zeit pse_485.015 außerhalb des sprachlichen Werks, sondern stehen im Rahmen pse_485.016 des durch die Sprache geschaffenen Zeitraums, und innerhalb pse_485.017 dieses Zeitraums haben sie vollgültigen Verweisungscharakter. pse_485.018 Zum Beispiel "Heute ging er das erste Mal wieder pse_485.019 aus": hier verweist das "heute" eindeutig auf die im Vorgang pse_485.020 eben erreichte Stufe.
pse_485.021 Der Erzähler besitzt Freiheit der Zeitgestaltung und schafft pse_485.022 sich dadurch eigenartige und wirkungsvolle künstlerische pse_485.023 Möglichkeiten. Die Freiheiten ergeben sich daraus, daß der pse_485.024 Erzähler den Blick über das Ganze als Abgeschlossenes hat. pse_485.025 Nur so kann er Selbständigkeit gegenüber den Teilen wahren: pse_485.026 er kann Brennpunkte herausarbeiten, kann den Ablauf aus pse_485.027 dem Überblick über das Ganze gliedern. So vermag er auch pse_485.028 die Zeitteile frei zu ordnen, sie zu füllen oder leer zu lassen. pse_485.029 Die Freiheit gegenüber den Zeitteilen darf aber einen höheren pse_485.030 Zusammenhang nicht stören: die Zeitglieder müssen Glieder pse_485.031 des Ganzen sein. So entsteht eine bestimmte Zeitstruktur eines pse_485.032 epischen Werks. Wichtig dafür ist die Überlagerung der pse_485.033 einzelnen Zeitschichten. Wir haben schon von der Erzählergegenwart pse_485.034 gegenüber der Vergangenheit des Erzählten gesprochen, pse_485.035 die selbst wieder geschichtet ist, indem auch Ereignisse pse_485.036 einbezogen werden, die vor dem Vorgang liegen. pse_485.037 Auch diese Überlagerung ergibt künstlerische Möglichkeiten, pse_485.038 die weit über das Erzählen in gewöhnlicher Unterhaltungsliteratur
pse_485.001 die Fiktion bedeute. Denn auch in solchen Romanen, deren pse_485.002 Handlung der Dichter in die Zukunft verlegt, nimmt er pse_485.003 einen Erzählstandpunkt nach dem Ablauf des Vorgangs ein. pse_485.004 Sonst müßte der Erzähler in die Zukunft hinein erzählen, pse_485.005 wenn er unseren heutigen Zeitpunkt als Standpunkt wählte, pse_485.006 oder im dauernden Präsens, wenn er als Erzähler die Handlung pse_485.007 in die Zukunft hinein begleiten wollte. Nur von solchem pse_485.008 Standpunkt am Ende des Vorgangs gewinnt der Erzähler die pse_485.009 Überschau des freien Erzählens. Aber von diesem Standpunkt pse_485.010 aus liegt für ihn der Vorgang in der Vergangenheit: er schaut pse_485.011 auf ihn zurück. Dabei entstehen dann ganz eigenartige Spannungen, pse_485.012 da zugleich der Leser in die Zukunft blickt.
pse_485.013 Die Zeitadverbien (heute, gestern, morgen usw.) beziehen pse_485.014 sich in einer Erzählung natürlich nie auf die wirkliche Zeit pse_485.015 außerhalb des sprachlichen Werks, sondern stehen im Rahmen pse_485.016 des durch die Sprache geschaffenen Zeitraums, und innerhalb pse_485.017 dieses Zeitraums haben sie vollgültigen Verweisungscharakter. pse_485.018 Zum Beispiel »Heute ging er das erste Mal wieder pse_485.019 aus«: hier verweist das »heute« eindeutig auf die im Vorgang pse_485.020 eben erreichte Stufe.
pse_485.021 Der Erzähler besitzt Freiheit der Zeitgestaltung und schafft pse_485.022 sich dadurch eigenartige und wirkungsvolle künstlerische pse_485.023 Möglichkeiten. Die Freiheiten ergeben sich daraus, daß der pse_485.024 Erzähler den Blick über das Ganze als Abgeschlossenes hat. pse_485.025 Nur so kann er Selbständigkeit gegenüber den Teilen wahren: pse_485.026 er kann Brennpunkte herausarbeiten, kann den Ablauf aus pse_485.027 dem Überblick über das Ganze gliedern. So vermag er auch pse_485.028 die Zeitteile frei zu ordnen, sie zu füllen oder leer zu lassen. pse_485.029 Die Freiheit gegenüber den Zeitteilen darf aber einen höheren pse_485.030 Zusammenhang nicht stören: die Zeitglieder müssen Glieder pse_485.031 des Ganzen sein. So entsteht eine bestimmte Zeitstruktur eines pse_485.032 epischen Werks. Wichtig dafür ist die Überlagerung der pse_485.033 einzelnen Zeitschichten. Wir haben schon von der Erzählergegenwart pse_485.034 gegenüber der Vergangenheit des Erzählten gesprochen, pse_485.035 die selbst wieder geschichtet ist, indem auch Ereignisse pse_485.036 einbezogen werden, die vor dem Vorgang liegen. pse_485.037 Auch diese Überlagerung ergibt künstlerische Möglichkeiten, pse_485.038 die weit über das Erzählen in gewöhnlicher Unterhaltungsliteratur
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die Fiktion bedeute. Denn auch in solchen Romanen, deren pse_485.002
Handlung der Dichter in die Zukunft verlegt, nimmt er pse_485.003
einen Erzählstandpunkt nach dem Ablauf des Vorgangs ein. pse_485.004
Sonst müßte der Erzähler in die Zukunft hinein erzählen, pse_485.005
wenn er unseren heutigen Zeitpunkt als Standpunkt wählte, pse_485.006
oder im dauernden Präsens, wenn er als Erzähler die Handlung pse_485.007
in die Zukunft hinein begleiten wollte. Nur von solchem pse_485.008
Standpunkt am Ende des Vorgangs gewinnt der Erzähler die pse_485.009
Überschau des freien Erzählens. Aber von diesem Standpunkt pse_485.010
aus liegt für ihn der Vorgang in der Vergangenheit: er schaut pse_485.011
auf ihn zurück. Dabei entstehen dann ganz eigenartige Spannungen, pse_485.012
da zugleich der Leser in die Zukunft blickt.
pse_485.013
Die Zeitadverbien (heute, gestern, morgen usw.) beziehen pse_485.014
sich in einer Erzählung natürlich nie auf die wirkliche Zeit pse_485.015
außerhalb des sprachlichen Werks, sondern stehen im Rahmen pse_485.016
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dieses Zeitraums haben sie vollgültigen Verweisungscharakter. pse_485.018
Zum Beispiel »Heute ging er das erste Mal wieder pse_485.019
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Der Erzähler besitzt Freiheit der Zeitgestaltung und schafft pse_485.022
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Erzähler den Blick über das Ganze als Abgeschlossenes hat. pse_485.025
Nur so kann er Selbständigkeit gegenüber den Teilen wahren: pse_485.026
er kann Brennpunkte herausarbeiten, kann den Ablauf aus pse_485.027
dem Überblick über das Ganze gliedern. So vermag er auch pse_485.028
die Zeitteile frei zu ordnen, sie zu füllen oder leer zu lassen. pse_485.029
Die Freiheit gegenüber den Zeitteilen darf aber einen höheren pse_485.030
Zusammenhang nicht stören: die Zeitglieder müssen Glieder pse_485.031
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einzelnen Zeitschichten. Wir haben schon von der Erzählergegenwart pse_485.034
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einbezogen werden, die vor dem Vorgang liegen. pse_485.037
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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