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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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höheren Grad reiner Kunst, daher auch eine höhere Stufe der pse_464.002
Verwesentlichung: sie dringen bewußter und eindeutiger in pse_464.003
die reine Wesenhaftigkeit dessen vor, was sie erzählen. Prosaerzählung pse_464.004
bleibt immer eher der unmittelbaren Wirklichkeit pse_464.005
verhaftet. Natürlich sind da feine Unterschiede zu machen, pse_464.006
die wir dann bei den einzelnen Arten epischer Dichtung beachten.

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Einen weiteren Unterschied macht es, ob der Erzähler das pse_464.009
reine Geschehen, den Ablauf der Handlung herausarbeitet, pse_464.010
oder ob er die inneren Zustände und Entwicklungen von pse_464.011
Menschen darstellt. Vielfach ist dieser Unterschied schon an pse_464.012
der verschiedenen Art zu erkennen, wie das Märchen und wie pse_464.013
die Sage erzählt. Noch deutlicher sehen wir die Verschiedenheit, pse_464.014
wenn wir altisländische Bauernerzählungen mit ihrer pse_464.015
reinen und rücksichtslosen Handlungsgestaltung etwa den pse_464.016
Romanen Marcel Prousts gegenüberstellen, in denen der pse_464.017
äußere Ablauf des Geschehens nur einen schwachen Rahmen pse_464.018
um die Gestaltung des Seelenlebens bildet, das nun in aller Eindringlichkeit pse_464.019
und Ausführlichkeit lebendig gemacht wird.

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Die für die künstlerische Form wichtigste Unterscheidung, pse_464.021
innerhalb deren erst die beiden bisher betrachteten Gesichtspunkte pse_464.022
wichtig und fruchtbar werden, ist aber eine andere, pse_464.023
die wir genauer beobachten müssen. Wir gehen von dem aus, pse_464.024
was Staiger als episch bezeichnet, also von einer menschlichen pse_464.025
Grundhaltung gegenüber der Welt, wie sie sich auch dichterisch pse_464.026
ausprägt. In solcher epischer Haltung wird ein Vorgang pse_464.027
vor uns hingestellt: er verläuft zwar in der Vergangenheit, pse_464.028
wird aber durch den Dichter festgehalten. Diese Haltung pse_464.029
sieht Staiger nur mit einem gewissen Gleichmut und Gleichmaß pse_464.030
verbunden. Nun aber ist nicht jeder Erzähler gleichmütig. pse_464.031
Man denke an die Art mancher Balladeneinsätze: "Erlkönig", pse_464.032
"Kampf mit dem Drachen", "Brücke am Tay". Wenn man pse_464.033
diese Haltung des Gleichmuts im Zuschauen und Vorstellen pse_464.034
eines Vorgangs als episch bezeichnet, so trifft man damit eine pse_464.035
bestimmte Grundhaltung. Aber das Erzählen selbst, auch in pse_464.036
seinen einfachsten Erscheinungsweisen, läßt sich nicht bloß pse_464.037
auf diese menschliche Grundhaltung des Zuschauens zurückführen. pse_464.038
Staiger ist im Recht, wenn er nur eine Grundhaltung

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höheren Grad reiner Kunst, daher auch eine höhere Stufe der pse_464.002
Verwesentlichung: sie dringen bewußter und eindeutiger in pse_464.003
die reine Wesenhaftigkeit dessen vor, was sie erzählen. Prosaerzählung pse_464.004
bleibt immer eher der unmittelbaren Wirklichkeit pse_464.005
verhaftet. Natürlich sind da feine Unterschiede zu machen, pse_464.006
die wir dann bei den einzelnen Arten epischer Dichtung beachten.

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Einen weiteren Unterschied macht es, ob der Erzähler das pse_464.009
reine Geschehen, den Ablauf der Handlung herausarbeitet, pse_464.010
oder ob er die inneren Zustände und Entwicklungen von pse_464.011
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der verschiedenen Art zu erkennen, wie das Märchen und wie pse_464.013
die Sage erzählt. Noch deutlicher sehen wir die Verschiedenheit, pse_464.014
wenn wir altisländische Bauernerzählungen mit ihrer pse_464.015
reinen und rücksichtslosen Handlungsgestaltung etwa den pse_464.016
Romanen Marcel Prousts gegenüberstellen, in denen der pse_464.017
äußere Ablauf des Geschehens nur einen schwachen Rahmen pse_464.018
um die Gestaltung des Seelenlebens bildet, das nun in aller Eindringlichkeit pse_464.019
und Ausführlichkeit lebendig gemacht wird.

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Die für die künstlerische Form wichtigste Unterscheidung, pse_464.021
innerhalb deren erst die beiden bisher betrachteten Gesichtspunkte pse_464.022
wichtig und fruchtbar werden, ist aber eine andere, pse_464.023
die wir genauer beobachten müssen. Wir gehen von dem aus, pse_464.024
was Staiger als episch bezeichnet, also von einer menschlichen pse_464.025
Grundhaltung gegenüber der Welt, wie sie sich auch dichterisch pse_464.026
ausprägt. In solcher epischer Haltung wird ein Vorgang pse_464.027
vor uns hingestellt: er verläuft zwar in der Vergangenheit, pse_464.028
wird aber durch den Dichter festgehalten. Diese Haltung pse_464.029
sieht Staiger nur mit einem gewissen Gleichmut und Gleichmaß pse_464.030
verbunden. Nun aber ist nicht jeder Erzähler gleichmütig. pse_464.031
Man denke an die Art mancher Balladeneinsätze: »Erlkönig«, pse_464.032
»Kampf mit dem Drachen«, »Brücke am Tay«. Wenn man pse_464.033
diese Haltung des Gleichmuts im Zuschauen und Vorstellen pse_464.034
eines Vorgangs als episch bezeichnet, so trifft man damit eine pse_464.035
bestimmte Grundhaltung. Aber das Erzählen selbst, auch in pse_464.036
seinen einfachsten Erscheinungsweisen, läßt sich nicht bloß pse_464.037
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Staiger ist im Recht, wenn er nur eine Grundhaltung

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/480>, abgerufen am 25.11.2024.