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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Diese scharf einsetzende Einführung ordnet ein Geschehen pse_458.002
nicht abstrahierend in ein Begriffssystem ein, sondern stellt pse_458.003
eine Situation bildhaft in sich dar. Dieses Bild und gleich pse_458.004
darauf der Übergang in ein anderes wird nicht durch sachliche pse_458.005
Mitteilungen an sich, sondern solche ausgefüllt, die eine pse_458.006
Atmosphäre schaffen, die also nicht bloß den Verstand ansprechen. pse_458.007
Weiter: dieses Ergreifen des Erfahrungsstroms geschieht pse_458.008
im echten Erzählen aus einem inneren Dabeisein des pse_458.009
Ergreifenden. Hier könnten allerdings manche Bedenken auftauchen, pse_458.010
nicht bloß an der eben zitierten Stelle. Denn es pse_458.011
scheint doch so, als ob hier der Schreiber ganz kühl und distanziert pse_458.012
feststellte. Auch in Schillers Epik scheint bewußt der pse_458.013
Erzähler nicht dabei sein zu wollen. In moderner Erzählkunst pse_458.014
tritt oft auch eine andere Person dazwischen, aus deren Dabeisein pse_458.015
gestaltet wird. Aber all das sind eben doch nur Formen, pse_458.016
in denen irgendwie das Innerste des Erzählenden mitgestaltet, pse_458.017
auch oft, wie hier, gerade durch betonte Kälte. Man denke an pse_458.018
den letzten Satz des "Werther": "Kein Geistlicher hat ihn pse_458.019
begleitet." Aus dem Gesamtzusammenhang des Schlusses zeigt pse_458.020
sich, daß gerade dieser Satz sehr wohl eine bestimmte innere pse_458.021
Einstellung des Erzählenden prägt, der sich hier noch dazu in pse_458.022
einen Berichtenden verbirgt.

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3. Auch der Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit ist pse_458.024
ein anderer. Wir berühren hier einen Punkt, den wir schon pse_458.025
bei der Frage nach dem Wirklichkeitsbezug jeder Dichtung pse_458.026
betrachtet haben. Die Sache wird aber hier beim Erzählen besonders pse_458.027
deutlich und wichtig. Wenn ich berichte, wie ein pse_458.028
Unglück geschehen ist, so beziehe ich mich mit meiner sprachlichen pse_458.029
Darstellung immer auf eine Realität außerhalb der pse_458.030
Sprachdarstellung, und so auch der Leser oder Hörer. Man pse_458.031
würde sonst den Sinn des Sachberichts völlig verfehlen. Wir pse_458.032
haben es mit einer außersprachlichen Intentionalität zu tun. pse_458.033
Beim Erzählen ist das anders. Nehmen wir an, jemand erzählt pse_458.034
ein "wirkliches" Ereignis. Hier wird nach dem Beginn sehr pse_458.035
bald eine Änderung eintreten, und zwar durch die besondere pse_458.036
sprachliche Gestaltung, die nicht rationale Zusammenhänge pse_458.037
herstellt und die ein Dabeisein des Erzählers verrät. Das wirkliche pse_458.038
Ereignis außerhalb der Gestaltung wird langsam in den

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Diese scharf einsetzende Einführung ordnet ein Geschehen pse_458.002
nicht abstrahierend in ein Begriffssystem ein, sondern stellt pse_458.003
eine Situation bildhaft in sich dar. Dieses Bild und gleich pse_458.004
darauf der Übergang in ein anderes wird nicht durch sachliche pse_458.005
Mitteilungen an sich, sondern solche ausgefüllt, die eine pse_458.006
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im echten Erzählen aus einem inneren Dabeisein des pse_458.009
Ergreifenden. Hier könnten allerdings manche Bedenken auftauchen, pse_458.010
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scheint doch so, als ob hier der Schreiber ganz kühl und distanziert pse_458.012
feststellte. Auch in Schillers Epik scheint bewußt der pse_458.013
Erzähler nicht dabei sein zu wollen. In moderner Erzählkunst pse_458.014
tritt oft auch eine andere Person dazwischen, aus deren Dabeisein pse_458.015
gestaltet wird. Aber all das sind eben doch nur Formen, pse_458.016
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auch oft, wie hier, gerade durch betonte Kälte. Man denke an pse_458.018
den letzten Satz des »Werther«: »Kein Geistlicher hat ihn pse_458.019
begleitet.« Aus dem Gesamtzusammenhang des Schlusses zeigt pse_458.020
sich, daß gerade dieser Satz sehr wohl eine bestimmte innere pse_458.021
Einstellung des Erzählenden prägt, der sich hier noch dazu in pse_458.022
einen Berichtenden verbirgt.

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3. Auch der Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit ist pse_458.024
ein anderer. Wir berühren hier einen Punkt, den wir schon pse_458.025
bei der Frage nach dem Wirklichkeitsbezug jeder Dichtung pse_458.026
betrachtet haben. Die Sache wird aber hier beim Erzählen besonders pse_458.027
deutlich und wichtig. Wenn ich berichte, wie ein pse_458.028
Unglück geschehen ist, so beziehe ich mich mit meiner sprachlichen pse_458.029
Darstellung immer auf eine Realität außerhalb der pse_458.030
Sprachdarstellung, und so auch der Leser oder Hörer. Man pse_458.031
würde sonst den Sinn des Sachberichts völlig verfehlen. Wir pse_458.032
haben es mit einer außersprachlichen Intentionalität zu tun. pse_458.033
Beim Erzählen ist das anders. Nehmen wir an, jemand erzählt pse_458.034
ein »wirkliches« Ereignis. Hier wird nach dem Beginn sehr pse_458.035
bald eine Änderung eintreten, und zwar durch die besondere pse_458.036
sprachliche Gestaltung, die nicht rationale Zusammenhänge pse_458.037
herstellt und die ein Dabeisein des Erzählers verrät. Das wirkliche pse_458.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/474>, abgerufen am 25.11.2024.