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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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solchen Dichtung. Der Blick hinüber in die außersprachliche pse_448.002
Wirklichkeit, der irgendwie in jedem Lehrgedicht angelegt pse_448.003
ist, vollzieht sich erst nachher im Leser. Er war durch die pse_448.004
Dichtung in Wesenhaftigkeiten hineingeführt, lebte in einem pse_448.005
dichterischen Raum, ausgefüllt mit Gestalten aus dichterischer pse_448.006
Schöpfung. Von hier aus blickt er dann in die wirkliche Welt, pse_448.007
richtet sie an dem wesentlichen Bild der dichterischen Welt pse_448.008
aus und schafft die wirkliche dann um, indem er sie aus den pse_448.009
gewonnenen Einblicken ästhetischer Art vertieft. In solchen pse_448.010
seltenen Fällen vollendet sich didaktische Dichtung.

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Auch von der künstlerischen Gesamtgestalt aus wollen wir pse_448.012
die Lehrdichtung betrachten. Das erste ist, daß auch solche pse_448.013
Dichtungen ihre Ganzheit daran gewinnen, daß in ihnen ein pse_448.014
geschlossener Weltausschnitt durch die Gestaltung ersteht. So pse_448.015
ruhen die "Georgica" Vergils im Gesamtrahmen "Lob Italiens", pse_448.016
in den er dann die Möglichkeiten landwirtschaftlicher Arbeit pse_448.017
einbaut. Schiller gibt in seinem "Spaziergang" ein Bild von der pse_448.018
Entwicklung menschlicher Kultur, aber eingespannt in das pse_448.019
geschlossene Bild eines Spaziergangs. Goethe entfaltet in der pse_448.020
"Metamorphose der Pflanze" aus dem Bild von den Entwicklungsmöglichkeiten pse_448.021
des Blattes ein umfassendes Ganzes der pse_448.022
Gesetze, die die Natur bestimmen. Vielfach stehen didaktische pse_448.023
Dichtungen unter einer durchgehenden Stimmung. So die pse_448.024
Verehrung des Wunderbaren bei Goethe, die Heimatliebe bei pse_448.025
Vergil. Auch dieses Stimmunghafte in seinem Grundton und pse_448.026
seiner Wandlung und Entfaltung durch das ganze Gedicht pse_448.027
schafft Einheit und Geschlossenheit und läßt wirksam werden, pse_448.028
daß die Dichtung aus dem tiefen Inneren eines Menschen pse_448.029
kommt. So wird der Grundzug des Menschlichen auch in pse_448.030
einer solchen Dichtung zu finden sein.

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Lehrgedichte können in ihrer Gesamtanlage entweder breit pse_448.032
oder knapp gehalten sein. Die häufigere Form ist die idyllische pse_448.033
Breite und Behaglichkeit, wie sie eben der ruhigen Betrachtung pse_448.034
als Ausgangslage entspricht. Dazu kommt ein meist pse_448.035
heiterer Ton, aber das Komische bleibt aus solchen Dichtungen pse_448.036
eher ausgeschlossen. Lehrgedichte lieben es, zu fabulieren. pse_448.037
Schillers "Spaziergang" ist anders angelegt. In dieser Dichtung pse_448.038
entstehen deutliche Steigerungen und Spannungen, so die von

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solchen Dichtung. Der Blick hinüber in die außersprachliche pse_448.002
Wirklichkeit, der irgendwie in jedem Lehrgedicht angelegt pse_448.003
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dichterischen Raum, ausgefüllt mit Gestalten aus dichterischer pse_448.006
Schöpfung. Von hier aus blickt er dann in die wirkliche Welt, pse_448.007
richtet sie an dem wesentlichen Bild der dichterischen Welt pse_448.008
aus und schafft die wirkliche dann um, indem er sie aus den pse_448.009
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Auch von der künstlerischen Gesamtgestalt aus wollen wir pse_448.012
die Lehrdichtung betrachten. Das erste ist, daß auch solche pse_448.013
Dichtungen ihre Ganzheit daran gewinnen, daß in ihnen ein pse_448.014
geschlossener Weltausschnitt durch die Gestaltung ersteht. So pse_448.015
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einbaut. Schiller gibt in seinem »Spaziergang« ein Bild von der pse_448.018
Entwicklung menschlicher Kultur, aber eingespannt in das pse_448.019
geschlossene Bild eines Spaziergangs. Goethe entfaltet in der pse_448.020
»Metamorphose der Pflanze« aus dem Bild von den Entwicklungsmöglichkeiten pse_448.021
des Blattes ein umfassendes Ganzes der pse_448.022
Gesetze, die die Natur bestimmen. Vielfach stehen didaktische pse_448.023
Dichtungen unter einer durchgehenden Stimmung. So die pse_448.024
Verehrung des Wunderbaren bei Goethe, die Heimatliebe bei pse_448.025
Vergil. Auch dieses Stimmunghafte in seinem Grundton und pse_448.026
seiner Wandlung und Entfaltung durch das ganze Gedicht pse_448.027
schafft Einheit und Geschlossenheit und läßt wirksam werden, pse_448.028
daß die Dichtung aus dem tiefen Inneren eines Menschen pse_448.029
kommt. So wird der Grundzug des Menschlichen auch in pse_448.030
einer solchen Dichtung zu finden sein.

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Lehrgedichte können in ihrer Gesamtanlage entweder breit pse_448.032
oder knapp gehalten sein. Die häufigere Form ist die idyllische pse_448.033
Breite und Behaglichkeit, wie sie eben der ruhigen Betrachtung pse_448.034
als Ausgangslage entspricht. Dazu kommt ein meist pse_448.035
heiterer Ton, aber das Komische bleibt aus solchen Dichtungen pse_448.036
eher ausgeschlossen. Lehrgedichte lieben es, zu fabulieren. pse_448.037
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[448/0464] pse_448.001 solchen Dichtung. Der Blick hinüber in die außersprachliche pse_448.002 Wirklichkeit, der irgendwie in jedem Lehrgedicht angelegt pse_448.003 ist, vollzieht sich erst nachher im Leser. Er war durch die pse_448.004 Dichtung in Wesenhaftigkeiten hineingeführt, lebte in einem pse_448.005 dichterischen Raum, ausgefüllt mit Gestalten aus dichterischer pse_448.006 Schöpfung. Von hier aus blickt er dann in die wirkliche Welt, pse_448.007 richtet sie an dem wesentlichen Bild der dichterischen Welt pse_448.008 aus und schafft die wirkliche dann um, indem er sie aus den pse_448.009 gewonnenen Einblicken ästhetischer Art vertieft. In solchen pse_448.010 seltenen Fällen vollendet sich didaktische Dichtung. pse_448.011 Auch von der künstlerischen Gesamtgestalt aus wollen wir pse_448.012 die Lehrdichtung betrachten. Das erste ist, daß auch solche pse_448.013 Dichtungen ihre Ganzheit daran gewinnen, daß in ihnen ein pse_448.014 geschlossener Weltausschnitt durch die Gestaltung ersteht. So pse_448.015 ruhen die »Georgica« Vergils im Gesamtrahmen »Lob Italiens«, pse_448.016 in den er dann die Möglichkeiten landwirtschaftlicher Arbeit pse_448.017 einbaut. Schiller gibt in seinem »Spaziergang« ein Bild von der pse_448.018 Entwicklung menschlicher Kultur, aber eingespannt in das pse_448.019 geschlossene Bild eines Spaziergangs. Goethe entfaltet in der pse_448.020 »Metamorphose der Pflanze« aus dem Bild von den Entwicklungsmöglichkeiten pse_448.021 des Blattes ein umfassendes Ganzes der pse_448.022 Gesetze, die die Natur bestimmen. Vielfach stehen didaktische pse_448.023 Dichtungen unter einer durchgehenden Stimmung. So die pse_448.024 Verehrung des Wunderbaren bei Goethe, die Heimatliebe bei pse_448.025 Vergil. Auch dieses Stimmunghafte in seinem Grundton und pse_448.026 seiner Wandlung und Entfaltung durch das ganze Gedicht pse_448.027 schafft Einheit und Geschlossenheit und läßt wirksam werden, pse_448.028 daß die Dichtung aus dem tiefen Inneren eines Menschen pse_448.029 kommt. So wird der Grundzug des Menschlichen auch in pse_448.030 einer solchen Dichtung zu finden sein. pse_448.031 Lehrgedichte können in ihrer Gesamtanlage entweder breit pse_448.032 oder knapp gehalten sein. Die häufigere Form ist die idyllische pse_448.033 Breite und Behaglichkeit, wie sie eben der ruhigen Betrachtung pse_448.034 als Ausgangslage entspricht. Dazu kommt ein meist pse_448.035 heiterer Ton, aber das Komische bleibt aus solchen Dichtungen pse_448.036 eher ausgeschlossen. Lehrgedichte lieben es, zu fabulieren. pse_448.037 Schillers »Spaziergang« ist anders angelegt. In dieser Dichtung pse_448.038 entstehen deutliche Steigerungen und Spannungen, so die von

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/464>, abgerufen am 22.11.2024.