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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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so getrennt und ausgegliedert wie in Spätzeiten einer Kultur. pse_445.002
Wissensvermittlung und -darstellung konnte da ohne weiteres pse_445.003
mit tiefem Erleben einer sprachgestalteten Welt verbunden pse_445.004
werden, denn die Sprache hat in solchen Perioden noch nicht pse_445.005
zu sehr unter dem Ökonomisierungsvorgang gelitten, sie entfaltet pse_445.006
in jedem Sprachwerk alle ihre Kräfte, auch die ästhetischen. pse_445.007
Wissensdarstellung, Erleben und Sprachgestaltung pse_445.008
können zu einer höheren Einheit noch verschmolzen, besser: pse_445.009
noch gar nicht auseinandergetreten sein. In Spätzeiten gliedert pse_445.010
sich alle kulturelle Leistung in mannigfacher Weise aus. pse_445.011
Theoretisches Tun trennt sich vom praktischen und von pse_445.012
ästhetischer Schau, und endlich sondern sich die einzelnen pse_445.013
Wissensgebiete bis zur Spezialisierung, die heute ein ernstes pse_445.014
Kulturproblem darstellt. Daher mag es auch kommen, daß pse_445.015
in jungen Epochen Lehrdichtung häufiger und selbstverständlicher pse_445.016
ist als in späten, daß also heute diese Gattung pse_445.017
vielfach abgelehnt wird. Was gleichsam von der ehemaligen pse_445.018
höheren Einheit übriggeblieben ist, ist die künstlerisch wertvolle pse_445.019
Sachprosa, wie wir sie in stilistisch meisterhaften Vorträgen, pse_445.020
in manchen Geschichtswerken und philosophischen pse_445.021
Schriften finden können.

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Vom modernen Standpunkt aus wird man also wohl kaum pse_445.023
genötigt sein, in der Poetik eine eigene Gattung Didaktik aufzustellen, pse_445.024
weil sie eben in der tatsächlichen dichterischen Produktion pse_445.025
als eigengesetzliches Gebilde nicht mehr vorkommt. pse_445.026
Überblickt man aber, so gut es gehen mag, die gesamten pse_445.027
Möglichkeiten dichterischen Schaffens, wie sie sich in den pse_445.028
einzelnen geschichtlichen Epochen zeigen, aber so, daß man pse_445.029
eben die wesentlichen Formen herausarbeitet, dann dürfte die pse_445.030
Didaktik doch einen Platz in der Poetik beanspruchen. Hier pse_445.031
erkennen wir klar, daß die Frage der Gattungen sehr verwickelt pse_445.032
ist, daß es sogar möglich ist, daß ganze Gattungen pse_445.033
aussterben. Das scheint weitgehend bei der Lehrdichtung der pse_445.034
Fall zu sein. Man hat es auch manchmal bei der Lyrik behauptet, pse_445.035
wohl kaum mit Recht. Zugleich ergibt eine solche pse_445.036
Feststellung aber auch, daß die allmähliche Ausbildung neuer pse_445.037
Gattungen durchaus möglich ist: entweder durch Aussonderung pse_445.038
und Verselbständigung mancher Sonderformen oder

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höheren Einheit übriggeblieben ist, ist die künstlerisch wertvolle pse_445.019
Sachprosa, wie wir sie in stilistisch meisterhaften Vorträgen, pse_445.020
in manchen Geschichtswerken und philosophischen pse_445.021
Schriften finden können.

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Vom modernen Standpunkt aus wird man also wohl kaum pse_445.023
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Möglichkeiten dichterischen Schaffens, wie sie sich in den pse_445.028
einzelnen geschichtlichen Epochen zeigen, aber so, daß man pse_445.029
eben die wesentlichen Formen herausarbeitet, dann dürfte die pse_445.030
Didaktik doch einen Platz in der Poetik beanspruchen. Hier pse_445.031
erkennen wir klar, daß die Frage der Gattungen sehr verwickelt pse_445.032
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aussterben. Das scheint weitgehend bei der Lehrdichtung der pse_445.034
Fall zu sein. Man hat es auch manchmal bei der Lyrik behauptet, pse_445.035
wohl kaum mit Recht. Zugleich ergibt eine solche pse_445.036
Feststellung aber auch, daß die allmähliche Ausbildung neuer pse_445.037
Gattungen durchaus möglich ist: entweder durch Aussonderung pse_445.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/461>, abgerufen am 22.11.2024.