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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte, pse_431.002
Ging in ewigem Gefechte pse_431.003
Einst Alcid des Lebens schwere Bahn, pse_431.004
Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen, pse_431.005
Stürzte sich, die Freunde zu befreien, pse_431.006
Lebend in des Totenschiffers Kahn. pse_431.007
Alle Plagen, alle Erdenlasten pse_431.008
Wälzt der unversöhnten Göttin List pse_431.009
Auf die willgen Schultern des Verhaßten, pse_431.010
Bis sein Lauf geendigt ist --
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Bis der Gott, des Irdischen entkleidet, pse_431.012
Flammend sich vom Menschen scheidet pse_431.013
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt. pse_431.014
Froh des neuen, ungewohnten Schwebens, pse_431.015
Fließt er aufwärts, und des Erdenlebens pse_431.016
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt. pse_431.017
Des Olympus Harmonien empfangen pse_431.018
Den Verklärten in Kronions Saal, pse_431.019
Und die Göttin mit den Rosenwangen pse_431.020
Reicht ihm lächelnd den Pokal.

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Nun aber bietet die Gedankenlyrik tatsächlich Schwierigkeiten, pse_431.022
die zu ernsten Gefahren für das Dichterische führen. pse_431.023
Die Prägung gedanklicher Zusammenhänge verlangt an sich pse_431.024
schon geistige Anspannung. Auch der Denker und der Wissenschaftler pse_431.025
muß um die richtige und beste sprachliche Darstellungsweise pse_431.026
ringen. Wenn nun jemand es damit bewenden pse_431.027
läßt und dem Gedachten nur ein metrisches Mäntelchen umhängt pse_431.028
und gezwungene Reime hineinflickt, dann entsteht pse_431.029
kein Gedicht, sondern eine versifizierte Abhandlung. Da das pse_431.030
so häufig der Fall ist, kam auch die Gedankenlyrik so oft in pse_431.031
Verruf. Die sprachlich-dichterische Gestaltung ist die entscheidende pse_431.032
Leistung. Sie zeigt sich in der Umformung alles pse_431.033
Gedanklichen, alles Sachdarstellerischen in reine Sprachkunst. pse_431.034
Die einzelnen Stilkräfte müssen in ihrer Fügung und in pse_431.035
ihrem Zusammenwirken aus sich heraus das dichterische Gebilde pse_431.036
aufbauen. Anrufe und Ausrufe führen schon aus der pse_431.037
rationalen Darstellung heraus. Wesentlich ist auch die Dynamik pse_431.038
der Redebewegung, am wichtigsten aber ist die Gestaltung pse_431.039
durch das sprachliche Bild. Alle diese stilistischen Kräfte pse_431.040
selber aber könnten nur zu rhetorischer Umhüllung und Verbrämung pse_431.041
führen, wenn sie nicht wirklich Gestaltung innerer

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Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte, pse_431.002
Ging in ewigem Gefechte pse_431.003
Einst Alcid des Lebens schwere Bahn, pse_431.004
Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen, pse_431.005
Stürzte sich, die Freunde zu befreien, pse_431.006
Lebend in des Totenschiffers Kahn. pse_431.007
Alle Plagen, alle Erdenlasten pse_431.008
Wälzt der unversöhnten Göttin List pse_431.009
Auf die willgen Schultern des Verhaßten, pse_431.010
Bis sein Lauf geendigt ist —
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Bis der Gott, des Irdischen entkleidet, pse_431.012
Flammend sich vom Menschen scheidet pse_431.013
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt. pse_431.014
Froh des neuen, ungewohnten Schwebens, pse_431.015
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Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt. pse_431.017
Des Olympus Harmonien empfangen pse_431.018
Den Verklärten in Kronions Saal, pse_431.019
Und die Göttin mit den Rosenwangen pse_431.020
Reicht ihm lächelnd den Pokal.

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Nun aber bietet die Gedankenlyrik tatsächlich Schwierigkeiten, pse_431.022
die zu ernsten Gefahren für das Dichterische führen. pse_431.023
Die Prägung gedanklicher Zusammenhänge verlangt an sich pse_431.024
schon geistige Anspannung. Auch der Denker und der Wissenschaftler pse_431.025
muß um die richtige und beste sprachliche Darstellungsweise pse_431.026
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läßt und dem Gedachten nur ein metrisches Mäntelchen umhängt pse_431.028
und gezwungene Reime hineinflickt, dann entsteht pse_431.029
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Die einzelnen Stilkräfte müssen in ihrer Fügung und in pse_431.035
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[431/0447] pse_431.001 Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte, pse_431.002 Ging in ewigem Gefechte pse_431.003 Einst Alcid des Lebens schwere Bahn, pse_431.004 Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen, pse_431.005 Stürzte sich, die Freunde zu befreien, pse_431.006 Lebend in des Totenschiffers Kahn. pse_431.007 Alle Plagen, alle Erdenlasten pse_431.008 Wälzt der unversöhnten Göttin List pse_431.009 Auf die willgen Schultern des Verhaßten, pse_431.010 Bis sein Lauf geendigt ist — pse_431.011 Bis der Gott, des Irdischen entkleidet, pse_431.012 Flammend sich vom Menschen scheidet pse_431.013 Und des Äthers leichte Lüfte trinkt. pse_431.014 Froh des neuen, ungewohnten Schwebens, pse_431.015 Fließt er aufwärts, und des Erdenlebens pse_431.016 Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt. pse_431.017 Des Olympus Harmonien empfangen pse_431.018 Den Verklärten in Kronions Saal, pse_431.019 Und die Göttin mit den Rosenwangen pse_431.020 Reicht ihm lächelnd den Pokal. pse_431.021 Nun aber bietet die Gedankenlyrik tatsächlich Schwierigkeiten, pse_431.022 die zu ernsten Gefahren für das Dichterische führen. pse_431.023 Die Prägung gedanklicher Zusammenhänge verlangt an sich pse_431.024 schon geistige Anspannung. Auch der Denker und der Wissenschaftler pse_431.025 muß um die richtige und beste sprachliche Darstellungsweise pse_431.026 ringen. Wenn nun jemand es damit bewenden pse_431.027 läßt und dem Gedachten nur ein metrisches Mäntelchen umhängt pse_431.028 und gezwungene Reime hineinflickt, dann entsteht pse_431.029 kein Gedicht, sondern eine versifizierte Abhandlung. Da das pse_431.030 so häufig der Fall ist, kam auch die Gedankenlyrik so oft in pse_431.031 Verruf. Die sprachlich-dichterische Gestaltung ist die entscheidende pse_431.032 Leistung. Sie zeigt sich in der Umformung alles pse_431.033 Gedanklichen, alles Sachdarstellerischen in reine Sprachkunst. pse_431.034 Die einzelnen Stilkräfte müssen in ihrer Fügung und in pse_431.035 ihrem Zusammenwirken aus sich heraus das dichterische Gebilde pse_431.036 aufbauen. Anrufe und Ausrufe führen schon aus der pse_431.037 rationalen Darstellung heraus. Wesentlich ist auch die Dynamik pse_431.038 der Redebewegung, am wichtigsten aber ist die Gestaltung pse_431.039 durch das sprachliche Bild. Alle diese stilistischen Kräfte pse_431.040 selber aber könnten nur zu rhetorischer Umhüllung und Verbrämung pse_431.041 führen, wenn sie nicht wirklich Gestaltung innerer

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/447>, abgerufen am 25.11.2024.