pse_428.001 lyrische Ich hier anregen, sind im großen die gleichen wie bei pse_428.002 der Ode. Aber die Ergriffenheit ist stärker, der innere Schwung pse_428.003 höher, Feierlichkeit und Erhabenheit sind die Grundgestimmtheit. pse_428.004 Aus dieser inneren Einstellung erwächst die Form. Die pse_428.005 freien Rhythmen, wie wir sie (S. 188 f.) betrachtet haben, kommen pse_428.006 der Hymne zu. Welche Spannweite und Mannigfaltigkeit pse_428.007 in den freien Rhythmen möglich ist, haben wir angedeutet, pse_428.008 und diese Möglichkeiten zeigen zugleich die der Hymne pse_428.009 an. Goethe und Hölderlin, jeder in seiner Art, sind die großen pse_428.010 Meister dieser lyrischen Art. Die Gehobenheit kann zu rauschhafter pse_428.011 Ekstase führen, zu einem Überwallen der Erhabenheit: pse_428.012 im Dithyrambus. Das Überwallen kann Umschlagen der pse_428.013 Stimmung ins Ironische, Satirische werden, also beinahe Parodie. pse_428.014 Das wirkt sich in den Dionysos-Dithyramben Nietzsches pse_428.015 aus. Neben dieser Linie der freien Rhythmik von Goethe pse_428.016 über Hölderlin zu Nietzsche -- natürlich keine geschichtliche, pse_428.017 sondern eine wesenhafte Linie -- gibt es zwei ruhigere Arten: pse_428.018 Hymnen in rhythmischer Prosa wie die "Hymnen an die pse_428.019 Nacht" von Novalis und manche Dichtungen Maler Müllers, pse_428.020 die unter dem Namen Idyllen in Umlauf sind: "Kreuznach" pse_428.021 und "Das Heidelberger Schloß", und Hymnen in Hexametern, pse_428.022 wie sie einige Göttinger und Hölderlin pflegten. Aber auch pse_428.023 hier bleibt das Ausschlaggebende: höchste innere Ergriffenheit, pse_428.024 Angespanntheit auf ein Hohes hin.
pse_428.025 d) Die Gedankenlyrik läßt sich nicht ohne weiteres in unsere pse_428.026 Ordnung und Übersicht der lyrischen Arten einfügen. pse_428.027 Denn alle bisherigen Arten mit Ausnahme des Liedes können pse_428.028 auch Gedankenlyrik sein. Das heißt, das Einteilungsprinzip pse_428.029 ist bei der Gedankenlyrik ein anderes. Bisher versuchten wir, pse_428.030 einen Überblick über die möglichen Arten der Lyrik dadurch pse_428.031 zu bekommen, daß wir die Variationen, die Entfaltungsmöglichkeiten pse_428.032 der Grundbestimmung: unmittelbares Welterleben, pse_428.033 aufsuchten: schlichtes Verschmelzen von Ich und Welt, pse_428.034 Gehobenheit dieses Verschmelzens, endlich die vielen Schattierungen pse_428.035 einer inneren Angespanntheit in diesem unmittelbaren pse_428.036 Welterleben. Durch solche Ausgliederungen der pse_428.037 Grundhaltung ist auch die künstlerische Gestaltung bestimmt. pse_428.038 So kommen wir nie zum Bereich der Gedankenlyrik, er ist
pse_428.001 lyrische Ich hier anregen, sind im großen die gleichen wie bei pse_428.002 der Ode. Aber die Ergriffenheit ist stärker, der innere Schwung pse_428.003 höher, Feierlichkeit und Erhabenheit sind die Grundgestimmtheit. pse_428.004 Aus dieser inneren Einstellung erwächst die Form. Die pse_428.005 freien Rhythmen, wie wir sie (S. 188 f.) betrachtet haben, kommen pse_428.006 der Hymne zu. Welche Spannweite und Mannigfaltigkeit pse_428.007 in den freien Rhythmen möglich ist, haben wir angedeutet, pse_428.008 und diese Möglichkeiten zeigen zugleich die der Hymne pse_428.009 an. Goethe und Hölderlin, jeder in seiner Art, sind die großen pse_428.010 Meister dieser lyrischen Art. Die Gehobenheit kann zu rauschhafter pse_428.011 Ekstase führen, zu einem Überwallen der Erhabenheit: pse_428.012 im Dithyrambus. Das Überwallen kann Umschlagen der pse_428.013 Stimmung ins Ironische, Satirische werden, also beinahe Parodie. pse_428.014 Das wirkt sich in den Dionysos-Dithyramben Nietzsches pse_428.015 aus. Neben dieser Linie der freien Rhythmik von Goethe pse_428.016 über Hölderlin zu Nietzsche — natürlich keine geschichtliche, pse_428.017 sondern eine wesenhafte Linie — gibt es zwei ruhigere Arten: pse_428.018 Hymnen in rhythmischer Prosa wie die »Hymnen an die pse_428.019 Nacht« von Novalis und manche Dichtungen Maler Müllers, pse_428.020 die unter dem Namen Idyllen in Umlauf sind: »Kreuznach« pse_428.021 und »Das Heidelberger Schloß«, und Hymnen in Hexametern, pse_428.022 wie sie einige Göttinger und Hölderlin pflegten. Aber auch pse_428.023 hier bleibt das Ausschlaggebende: höchste innere Ergriffenheit, pse_428.024 Angespanntheit auf ein Hohes hin.
pse_428.025 d) Die Gedankenlyrik läßt sich nicht ohne weiteres in unsere pse_428.026 Ordnung und Übersicht der lyrischen Arten einfügen. pse_428.027 Denn alle bisherigen Arten mit Ausnahme des Liedes können pse_428.028 auch Gedankenlyrik sein. Das heißt, das Einteilungsprinzip pse_428.029 ist bei der Gedankenlyrik ein anderes. Bisher versuchten wir, pse_428.030 einen Überblick über die möglichen Arten der Lyrik dadurch pse_428.031 zu bekommen, daß wir die Variationen, die Entfaltungsmöglichkeiten pse_428.032 der Grundbestimmung: unmittelbares Welterleben, pse_428.033 aufsuchten: schlichtes Verschmelzen von Ich und Welt, pse_428.034 Gehobenheit dieses Verschmelzens, endlich die vielen Schattierungen pse_428.035 einer inneren Angespanntheit in diesem unmittelbaren pse_428.036 Welterleben. Durch solche Ausgliederungen der pse_428.037 Grundhaltung ist auch die künstlerische Gestaltung bestimmt. pse_428.038 So kommen wir nie zum Bereich der Gedankenlyrik, er ist
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lyrische Ich hier anregen, sind im großen die gleichen wie bei pse_428.002
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freien Rhythmen, wie wir sie (S. 188 f.) betrachtet haben, kommen pse_428.006
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an. Goethe und Hölderlin, jeder in seiner Art, sind die großen pse_428.010
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Denn alle bisherigen Arten mit Ausnahme des Liedes können pse_428.028
auch Gedankenlyrik sein. Das heißt, das Einteilungsprinzip pse_428.029
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/444>, abgerufen am 22.11.2024.
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