pse_406.001 der Außenwelt aufgefangene Gehalt, verbinden sich zu einer pse_406.002 Schöpfung von besonderer Intensität. Dabei ergibt sich eine pse_406.003 Gefahr: Worte, Bilder, Satzgebilde können auch in der Dichtung pse_406.004 der Verflachung anheimfallen. Wenn immer wieder pse_406.005 Worte aus einem bestimmten Gefühlszusammenhang gebraucht pse_406.006 werden, besteht die Gefahr der veräußerlichenden pse_406.007 Sentimentalität, der Verkitschung. Immer wieder Herz und pse_406.008 Schmerz, immer wieder Liebe, Sehnsucht, Frühlingslüftlein pse_406.009 und Mondesnacht: da verlieren die Worte die Innerlichkeit pse_406.010 und Gestimmtheit des Gehalts, sie werden zu Schablonen pse_406.011 oder zu rosarotem Kitsch. Es bedarf großer Dichter, wenn sie pse_406.012 trotz der Gefahr es vermögen, auch solchen Worten wieder pse_406.013 ihre echte Stimmung und ihren tiefen Gehalt zu geben. Hier pse_406.014 liegt auch die Gefahr, daß modernen Menschen die romantische pse_406.015 Lyrik oder Schillers Sprache verekelt sind -- wegen pse_406.016 ihrer Nachtreter. Da kann nur feine Einführung retten und pse_406.017 die Fähigkeit, von aller Verkitschung abzusehen. In dieser pse_406.018 Lage ist es auch begründet, daß viele Dichter unserer Zeit pse_406.019 von solchen Worten ganz absehen. Und wenn die als poetisch pse_406.020 etikettierten Worte nicht mehr brauchbar sind, so greifen sie pse_406.021 eben zur Alltagssprache. Neben Rilke, Benn, Brecht sind pse_406.022 vor allem angloamerikanische Dichter zu erwähnen: Auden, pse_406.023 T. S. Eliot und andere. Wenn nicht die Alltagssprache in pse_406.024 ihrer Nüchternheit eben auch eine bestimmte Gefühlslage, pse_406.025 die der Ernüchterung, der Blasiertheit, der hoffnungslosen pse_406.026 Verödung gestalten soll, dann steht der Dichter vor der Aufgabe, pse_406.027 auch den schon ganz verblaßten Gebrauchswörtern der pse_406.028 täglichen Rede das Leben wieder einzuhauchen, das sie einst pse_406.029 besessen haben. Hier spüren wir dann ganz die Bedeutung pse_406.030 der Aktualisierung.
pse_406.031 Schweigen scheint das Gegenteil von Fülle der Sprachkunst pse_406.032 zu sein. Aber auch Sparsamkeit kann künstlerisch wirken. pse_406.033 Knappheit gegenüber Gesprächigkeit bringt erst recht die pse_406.034 Werte der einzelnen Worte zum Schwingen. Fülle bedeutet pse_406.035 also nicht Wortreichtum, sondern Intensität, Vermeiden des pse_406.036 Leerlaufs. Besonders werden die Worte herausgehoben, wenn pse_406.037 die Satzbewegung scheinbar oder wirklich nicht weitergeführt pse_406.038 wird, wenn also der Satz ins Schweigen mündet.
pse_406.001 der Außenwelt aufgefangene Gehalt, verbinden sich zu einer pse_406.002 Schöpfung von besonderer Intensität. Dabei ergibt sich eine pse_406.003 Gefahr: Worte, Bilder, Satzgebilde können auch in der Dichtung pse_406.004 der Verflachung anheimfallen. Wenn immer wieder pse_406.005 Worte aus einem bestimmten Gefühlszusammenhang gebraucht pse_406.006 werden, besteht die Gefahr der veräußerlichenden pse_406.007 Sentimentalität, der Verkitschung. Immer wieder Herz und pse_406.008 Schmerz, immer wieder Liebe, Sehnsucht, Frühlingslüftlein pse_406.009 und Mondesnacht: da verlieren die Worte die Innerlichkeit pse_406.010 und Gestimmtheit des Gehalts, sie werden zu Schablonen pse_406.011 oder zu rosarotem Kitsch. Es bedarf großer Dichter, wenn sie pse_406.012 trotz der Gefahr es vermögen, auch solchen Worten wieder pse_406.013 ihre echte Stimmung und ihren tiefen Gehalt zu geben. Hier pse_406.014 liegt auch die Gefahr, daß modernen Menschen die romantische pse_406.015 Lyrik oder Schillers Sprache verekelt sind — wegen pse_406.016 ihrer Nachtreter. Da kann nur feine Einführung retten und pse_406.017 die Fähigkeit, von aller Verkitschung abzusehen. In dieser pse_406.018 Lage ist es auch begründet, daß viele Dichter unserer Zeit pse_406.019 von solchen Worten ganz absehen. Und wenn die als poetisch pse_406.020 etikettierten Worte nicht mehr brauchbar sind, so greifen sie pse_406.021 eben zur Alltagssprache. Neben Rilke, Benn, Brecht sind pse_406.022 vor allem angloamerikanische Dichter zu erwähnen: Auden, pse_406.023 T. S. Eliot und andere. Wenn nicht die Alltagssprache in pse_406.024 ihrer Nüchternheit eben auch eine bestimmte Gefühlslage, pse_406.025 die der Ernüchterung, der Blasiertheit, der hoffnungslosen pse_406.026 Verödung gestalten soll, dann steht der Dichter vor der Aufgabe, pse_406.027 auch den schon ganz verblaßten Gebrauchswörtern der pse_406.028 täglichen Rede das Leben wieder einzuhauchen, das sie einst pse_406.029 besessen haben. Hier spüren wir dann ganz die Bedeutung pse_406.030 der Aktualisierung.
pse_406.031 Schweigen scheint das Gegenteil von Fülle der Sprachkunst pse_406.032 zu sein. Aber auch Sparsamkeit kann künstlerisch wirken. pse_406.033 Knappheit gegenüber Gesprächigkeit bringt erst recht die pse_406.034 Werte der einzelnen Worte zum Schwingen. Fülle bedeutet pse_406.035 also nicht Wortreichtum, sondern Intensität, Vermeiden des pse_406.036 Leerlaufs. Besonders werden die Worte herausgehoben, wenn pse_406.037 die Satzbewegung scheinbar oder wirklich nicht weitergeführt pse_406.038 wird, wenn also der Satz ins Schweigen mündet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0422"n="406"/><lbn="pse_406.001"/>
der Außenwelt aufgefangene Gehalt, verbinden sich zu einer <lbn="pse_406.002"/>
Schöpfung von besonderer Intensität. Dabei ergibt sich eine <lbn="pse_406.003"/>
Gefahr: Worte, Bilder, Satzgebilde können auch in der Dichtung <lbn="pse_406.004"/>
der Verflachung anheimfallen. Wenn immer wieder <lbn="pse_406.005"/>
Worte aus einem bestimmten Gefühlszusammenhang gebraucht <lbn="pse_406.006"/>
werden, besteht die Gefahr der veräußerlichenden <lbn="pse_406.007"/>
Sentimentalität, der Verkitschung. Immer wieder Herz und <lbn="pse_406.008"/>
Schmerz, immer wieder Liebe, Sehnsucht, Frühlingslüftlein <lbn="pse_406.009"/>
und Mondesnacht: da verlieren die Worte die Innerlichkeit <lbn="pse_406.010"/>
und Gestimmtheit des Gehalts, sie werden zu Schablonen <lbn="pse_406.011"/>
oder zu rosarotem Kitsch. Es bedarf großer Dichter, wenn sie <lbn="pse_406.012"/>
trotz der Gefahr es vermögen, auch solchen Worten wieder <lbn="pse_406.013"/>
ihre echte Stimmung und ihren tiefen Gehalt zu geben. Hier <lbn="pse_406.014"/>
liegt auch die Gefahr, daß modernen Menschen die romantische <lbn="pse_406.015"/>
Lyrik oder Schillers Sprache verekelt sind — wegen <lbn="pse_406.016"/>
ihrer Nachtreter. Da kann nur feine Einführung retten und <lbn="pse_406.017"/>
die Fähigkeit, von aller Verkitschung abzusehen. In dieser <lbn="pse_406.018"/>
Lage ist es auch begründet, daß viele Dichter unserer Zeit <lbn="pse_406.019"/>
von solchen Worten ganz absehen. Und wenn die als poetisch <lbn="pse_406.020"/>
etikettierten Worte nicht mehr brauchbar sind, so greifen sie <lbn="pse_406.021"/>
eben zur Alltagssprache. Neben Rilke, Benn, Brecht sind <lbn="pse_406.022"/>
vor allem angloamerikanische Dichter zu erwähnen: Auden, <lbn="pse_406.023"/>
T. S. Eliot und andere. Wenn nicht die Alltagssprache in <lbn="pse_406.024"/>
ihrer Nüchternheit eben auch eine bestimmte Gefühlslage, <lbn="pse_406.025"/>
die der Ernüchterung, der Blasiertheit, der hoffnungslosen <lbn="pse_406.026"/>
Verödung gestalten soll, dann steht der Dichter vor der Aufgabe, <lbn="pse_406.027"/>
auch den schon ganz verblaßten Gebrauchswörtern der <lbn="pse_406.028"/>
täglichen Rede das Leben wieder einzuhauchen, das sie einst <lbn="pse_406.029"/>
besessen haben. Hier spüren wir dann ganz die Bedeutung <lbn="pse_406.030"/>
der Aktualisierung.</p><p><lbn="pse_406.031"/>
Schweigen scheint das Gegenteil von Fülle der Sprachkunst <lbn="pse_406.032"/>
zu sein. Aber auch Sparsamkeit kann künstlerisch wirken. <lbn="pse_406.033"/>
Knappheit gegenüber Gesprächigkeit bringt erst recht die <lbn="pse_406.034"/>
Werte der einzelnen Worte zum Schwingen. Fülle bedeutet <lbn="pse_406.035"/>
also nicht Wortreichtum, sondern Intensität, Vermeiden des <lbn="pse_406.036"/>
Leerlaufs. Besonders werden die Worte herausgehoben, wenn <lbn="pse_406.037"/>
die Satzbewegung scheinbar oder wirklich nicht weitergeführt <lbn="pse_406.038"/>
wird, wenn also der Satz ins Schweigen mündet.</p></div></div></div></body></text></TEI>
[406/0422]
pse_406.001
der Außenwelt aufgefangene Gehalt, verbinden sich zu einer pse_406.002
Schöpfung von besonderer Intensität. Dabei ergibt sich eine pse_406.003
Gefahr: Worte, Bilder, Satzgebilde können auch in der Dichtung pse_406.004
der Verflachung anheimfallen. Wenn immer wieder pse_406.005
Worte aus einem bestimmten Gefühlszusammenhang gebraucht pse_406.006
werden, besteht die Gefahr der veräußerlichenden pse_406.007
Sentimentalität, der Verkitschung. Immer wieder Herz und pse_406.008
Schmerz, immer wieder Liebe, Sehnsucht, Frühlingslüftlein pse_406.009
und Mondesnacht: da verlieren die Worte die Innerlichkeit pse_406.010
und Gestimmtheit des Gehalts, sie werden zu Schablonen pse_406.011
oder zu rosarotem Kitsch. Es bedarf großer Dichter, wenn sie pse_406.012
trotz der Gefahr es vermögen, auch solchen Worten wieder pse_406.013
ihre echte Stimmung und ihren tiefen Gehalt zu geben. Hier pse_406.014
liegt auch die Gefahr, daß modernen Menschen die romantische pse_406.015
Lyrik oder Schillers Sprache verekelt sind — wegen pse_406.016
ihrer Nachtreter. Da kann nur feine Einführung retten und pse_406.017
die Fähigkeit, von aller Verkitschung abzusehen. In dieser pse_406.018
Lage ist es auch begründet, daß viele Dichter unserer Zeit pse_406.019
von solchen Worten ganz absehen. Und wenn die als poetisch pse_406.020
etikettierten Worte nicht mehr brauchbar sind, so greifen sie pse_406.021
eben zur Alltagssprache. Neben Rilke, Benn, Brecht sind pse_406.022
vor allem angloamerikanische Dichter zu erwähnen: Auden, pse_406.023
T. S. Eliot und andere. Wenn nicht die Alltagssprache in pse_406.024
ihrer Nüchternheit eben auch eine bestimmte Gefühlslage, pse_406.025
die der Ernüchterung, der Blasiertheit, der hoffnungslosen pse_406.026
Verödung gestalten soll, dann steht der Dichter vor der Aufgabe, pse_406.027
auch den schon ganz verblaßten Gebrauchswörtern der pse_406.028
täglichen Rede das Leben wieder einzuhauchen, das sie einst pse_406.029
besessen haben. Hier spüren wir dann ganz die Bedeutung pse_406.030
der Aktualisierung.
pse_406.031
Schweigen scheint das Gegenteil von Fülle der Sprachkunst pse_406.032
zu sein. Aber auch Sparsamkeit kann künstlerisch wirken. pse_406.033
Knappheit gegenüber Gesprächigkeit bringt erst recht die pse_406.034
Werte der einzelnen Worte zum Schwingen. Fülle bedeutet pse_406.035
also nicht Wortreichtum, sondern Intensität, Vermeiden des pse_406.036
Leerlaufs. Besonders werden die Worte herausgehoben, wenn pse_406.037
die Satzbewegung scheinbar oder wirklich nicht weitergeführt pse_406.038
wird, wenn also der Satz ins Schweigen mündet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/422>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.