Echsen, mächtigen Flugs, kommen meerüberwärts,pse_397.002 Fangen tiefer dich ein, wenn du am Steuer sitzst.pse_397.003 In der Steile des Wegspse_397.004 Spürst dus hinter dem Motorsturm:
pse_397.005 Altes, Ältestes noch, Anruf aus Eisen, Öl,pse_397.006 Unvordenkliche Zeit, Anderes dir und fern,pse_397.007 Einsam nahegerückt nun,pse_397.008 Unbezähmt und zum Herzen dir.
pse_397.009 Starten Spiegel und Glas? Streuten den Meersand her,pse_397.010 Grau auf Lippe und Kinn. Schwarzer Olivenhainpse_397.011 Steht im Bunde, dein eignerpse_397.012 Augenbogen, die Stirn, die Hand.
pse_397.013 (W. Höllerer, Im Diesellärm)
pse_397.014
Ohne genau auf das Gedicht eingehen zu müssen, spüren wir pse_397.015 bis ins letzte aus allen Einzelheiten und aus dem Gesamtton pse_397.016 das Ergriffensein des Menschen von den Mächten der Gegenwart, pse_397.017 in denen Urältestes seinem Innern vernehmbar wird. pse_397.018 Hier ist gemüthafte Gestaltung unüberhörbar. Wie ist es im pse_397.019 knappen und scharfen Epigramm? Wir greifen einige Beispiele pse_397.020 aus Lessing heraus:
pse_397.021
Frau Trix besucht sehr oft den jungen Doktor Klette.pse_397.022 Argwohnet nichts! Ihr Mann liegt wirklich krank zu Bette.
pse_397.023 Es hat der Schuster Franz zum Dichter sich entzückt.pse_397.024 Was er als Schuster tat, das tut er noch: er flickt.
pse_397.025 Die gute Galatee! Man sagt, sie schwärz' ihr Haar;pse_397.026 Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war.
pse_397.027
Sie sind alle gleich gebaut: in einem ersten, längeren Teil wird pse_397.028 eine Spannung erregt, der zweite Teil schließt überraschend pse_397.029 ab und reizt zum Lachen. Wie das der Dichter möglich macht, pse_397.030 ist schon in diesen drei Sinnsprüchen jedesmal verschieden. pse_397.031 Auch hier liegt die Gestaltung eines unmittelbaren Welterlebens pse_397.032 vor. Der Sachverhalt wird von ganz bestimmter pse_397.033 Seite erfaßt: das ist das Persönliche. Diese bestimmte Erfassung pse_397.034 allein macht den pointierten Schluß möglich. In ihm bricht pse_397.035 die schon von Anfang an im stillen wirkende Haltung des pse_397.036 Dichters durch. Er spielt mit dem Ding (oder Menschen) und pse_397.037 stellt es bloß, indem er zuerst harmlos tut und dann plötzlich pse_397.038 spottet oder, wie im ersten Spruch umgekehrt, wo der Spott
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Echsen, mächtigen Flugs, kommen meerüberwärts,pse_397.002 Fangen tiefer dich ein, wenn du am Steuer sitzst.pse_397.003 In der Steile des Wegspse_397.004 Spürst dus hinter dem Motorsturm:
pse_397.005 Altes, Ältestes noch, Anruf aus Eisen, Öl,pse_397.006 Unvordenkliche Zeit, Anderes dir und fern,pse_397.007 Einsam nahegerückt nun,pse_397.008 Unbezähmt und zum Herzen dir.
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pse_397.013 (W. Höllerer, Im Diesellärm)
pse_397.014
Ohne genau auf das Gedicht eingehen zu müssen, spüren wir pse_397.015 bis ins letzte aus allen Einzelheiten und aus dem Gesamtton pse_397.016 das Ergriffensein des Menschen von den Mächten der Gegenwart, pse_397.017 in denen Urältestes seinem Innern vernehmbar wird. pse_397.018 Hier ist gemüthafte Gestaltung unüberhörbar. Wie ist es im pse_397.019 knappen und scharfen Epigramm? Wir greifen einige Beispiele pse_397.020 aus Lessing heraus:
pse_397.021
Frau Trix besucht sehr oft den jungen Doktor Klette.pse_397.022 Argwohnet nichts! Ihr Mann liegt wirklich krank zu Bette.
pse_397.023 Es hat der Schuster Franz zum Dichter sich entzückt.pse_397.024 Was er als Schuster tat, das tut er noch: er flickt.
pse_397.025 Die gute Galatee! Man sagt, sie schwärz' ihr Haar;pse_397.026 Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war.
pse_397.027
Sie sind alle gleich gebaut: in einem ersten, längeren Teil wird pse_397.028 eine Spannung erregt, der zweite Teil schließt überraschend pse_397.029 ab und reizt zum Lachen. Wie das der Dichter möglich macht, pse_397.030 ist schon in diesen drei Sinnsprüchen jedesmal verschieden. pse_397.031 Auch hier liegt die Gestaltung eines unmittelbaren Welterlebens pse_397.032 vor. Der Sachverhalt wird von ganz bestimmter pse_397.033 Seite erfaßt: das ist das Persönliche. Diese bestimmte Erfassung pse_397.034 allein macht den pointierten Schluß möglich. In ihm bricht pse_397.035 die schon von Anfang an im stillen wirkende Haltung des pse_397.036 Dichters durch. Er spielt mit dem Ding (oder Menschen) und pse_397.037 stellt es bloß, indem er zuerst harmlos tut und dann plötzlich pse_397.038 spottet oder, wie im ersten Spruch umgekehrt, wo der Spott
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In der Steile des Wegs pse_397.004
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Unvordenkliche Zeit, Anderes dir und fern, pse_397.007
Einsam nahegerückt nun, pse_397.008
Unbezähmt und zum Herzen dir.
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Starten Spiegel und Glas? Streuten den Meersand her, pse_397.010
Grau auf Lippe und Kinn. Schwarzer Olivenhain pse_397.011
Steht im Bunde, dein eigner pse_397.012
Augenbogen, die Stirn, die Hand.
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(W. Höllerer, Im Diesellärm)
pse_397.014
Ohne genau auf das Gedicht eingehen zu müssen, spüren wir pse_397.015
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in denen Urältestes seinem Innern vernehmbar wird. pse_397.018
Hier ist gemüthafte Gestaltung unüberhörbar. Wie ist es im pse_397.019
knappen und scharfen Epigramm? Wir greifen einige Beispiele pse_397.020
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pse_397.021
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Argwohnet nichts! Ihr Mann liegt wirklich krank zu Bette.
pse_397.023
Es hat der Schuster Franz zum Dichter sich entzückt. pse_397.024
Was er als Schuster tat, das tut er noch: er flickt.
pse_397.025
Die gute Galatee! Man sagt, sie schwärz' ihr Haar; pse_397.026
Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war.
pse_397.027
Sie sind alle gleich gebaut: in einem ersten, längeren Teil wird pse_397.028
eine Spannung erregt, der zweite Teil schließt überraschend pse_397.029
ab und reizt zum Lachen. Wie das der Dichter möglich macht, pse_397.030
ist schon in diesen drei Sinnsprüchen jedesmal verschieden. pse_397.031
Auch hier liegt die Gestaltung eines unmittelbaren Welterlebens pse_397.032
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Seite erfaßt: das ist das Persönliche. Diese bestimmte Erfassung pse_397.034
allein macht den pointierten Schluß möglich. In ihm bricht pse_397.035
die schon von Anfang an im stillen wirkende Haltung des pse_397.036
Dichters durch. Er spielt mit dem Ding (oder Menschen) und pse_397.037
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/413>, abgerufen am 25.11.2024.
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