pse_383.001 anzusehen. Nun tritt aber die künstlerische Formung hinzu. pse_383.002 Sobald erkennbar ist, daß auch der Primaner in der Sprache pse_383.003 und durch ihre Mittel aus dem Ergriffensein heraus ein Gebilde pse_383.004 für sich gestalten will, werden wir dem Produkt die pse_383.005 Bezeichnung nicht verwehren können. Nur spielen hier die pse_383.006 Unterschiede im Wert eine entscheidende Rolle: es gibt eben pse_383.007 gute und schlechte Gedichte.
pse_383.008 Versuch der Wesensumschreibung
pse_383.009 Wir erinnern uns zuerst an die verschiedenen Seiten, von pse_383.010 denen aus wir zu den Gattungen vorgedrungen sind, auf denen pse_383.011 wir schon in gewisser Weise auf Lyrisches gestoßen sind. pse_383.012 Zuerst haben wir das an der menschlichen Grundhaltung des pse_383.013 Verinnerns beobachtet. Aus dem Eintauchen in ein Stück pse_383.014 Welt und aus dem daraus folgenden Hereinziehen dieser pse_383.015 Welt in das Innere des Menschen haben wir die lyrische pse_383.016 Grundhaltung erkannt und gekennzeichnet. Die nächste pse_383.017 Richtung ging aus von den Grundformen sprachkünstlerischen pse_383.018 Gestaltens. Wir haben dabei das Singen herauszuheben. pse_383.019 Aus einer intensiven Gestimmtheit wächst dieses Singen pse_383.020 heraus, und im Ertönen befreit sich der Mensch gleichsam von pse_383.021 dem, was ihn ergreift; zugleich aber wird so das Herausgesungene pse_383.022 zu einer neuen Gestalt. Endlich ist daran zu erinnern, pse_383.023 daß die sprachkünstlerisch geformte Wirklichkeit unter pse_383.024 anderem auch aus dem unmittelbaren Ausdruck des Ergriffenwerdens pse_383.025 wachsen kann. Das alles sind Züge, die wir in den pse_383.026 lyrischen Arten vereint wiederfinden. Doch zeigt sich bereits pse_383.027 eine historische Beschränkung. Das Singen ist nicht die einzige pse_383.028 Möglichkeit lyrischen Gestaltens. Das Singen führt zur pse_383.029 Kunst der sprachlichen Lautungsgestaltung hin: die Sprachmusik, pse_383.030 der Rhythmus, die Klangwirkungen bilden für viele Gedichte pse_383.031 ein entscheidendes Kennzeichen ihrer künstlerischen Art. pse_383.032 Aber das ist nicht die einzige Möglichkeit der Lyrik. Ganz pse_383.033 andere treffen wir im Minnesang, im Barock, in der Moderne. pse_383.034 Da treten das rein Sangbare, der Stimmungszauber, pse_383.035 der durch einen schwingenden Rhythmus erzeugt wird,
pse_383.001 anzusehen. Nun tritt aber die künstlerische Formung hinzu. pse_383.002 Sobald erkennbar ist, daß auch der Primaner in der Sprache pse_383.003 und durch ihre Mittel aus dem Ergriffensein heraus ein Gebilde pse_383.004 für sich gestalten will, werden wir dem Produkt die pse_383.005 Bezeichnung nicht verwehren können. Nur spielen hier die pse_383.006 Unterschiede im Wert eine entscheidende Rolle: es gibt eben pse_383.007 gute und schlechte Gedichte.
pse_383.008 Versuch der Wesensumschreibung
pse_383.009 Wir erinnern uns zuerst an die verschiedenen Seiten, von pse_383.010 denen aus wir zu den Gattungen vorgedrungen sind, auf denen pse_383.011 wir schon in gewisser Weise auf Lyrisches gestoßen sind. pse_383.012 Zuerst haben wir das an der menschlichen Grundhaltung des pse_383.013 Verinnerns beobachtet. Aus dem Eintauchen in ein Stück pse_383.014 Welt und aus dem daraus folgenden Hereinziehen dieser pse_383.015 Welt in das Innere des Menschen haben wir die lyrische pse_383.016 Grundhaltung erkannt und gekennzeichnet. Die nächste pse_383.017 Richtung ging aus von den Grundformen sprachkünstlerischen pse_383.018 Gestaltens. Wir haben dabei das Singen herauszuheben. pse_383.019 Aus einer intensiven Gestimmtheit wächst dieses Singen pse_383.020 heraus, und im Ertönen befreit sich der Mensch gleichsam von pse_383.021 dem, was ihn ergreift; zugleich aber wird so das Herausgesungene pse_383.022 zu einer neuen Gestalt. Endlich ist daran zu erinnern, pse_383.023 daß die sprachkünstlerisch geformte Wirklichkeit unter pse_383.024 anderem auch aus dem unmittelbaren Ausdruck des Ergriffenwerdens pse_383.025 wachsen kann. Das alles sind Züge, die wir in den pse_383.026 lyrischen Arten vereint wiederfinden. Doch zeigt sich bereits pse_383.027 eine historische Beschränkung. Das Singen ist nicht die einzige pse_383.028 Möglichkeit lyrischen Gestaltens. Das Singen führt zur pse_383.029 Kunst der sprachlichen Lautungsgestaltung hin: die Sprachmusik, pse_383.030 der Rhythmus, die Klangwirkungen bilden für viele Gedichte pse_383.031 ein entscheidendes Kennzeichen ihrer künstlerischen Art. pse_383.032 Aber das ist nicht die einzige Möglichkeit der Lyrik. Ganz pse_383.033 andere treffen wir im Minnesang, im Barock, in der Moderne. pse_383.034 Da treten das rein Sangbare, der Stimmungszauber, pse_383.035 der durch einen schwingenden Rhythmus erzeugt wird,
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und durch ihre Mittel aus dem Ergriffensein heraus ein Gebilde pse_383.004
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Bezeichnung nicht verwehren können. Nur spielen hier die pse_383.006
Unterschiede im Wert eine entscheidende Rolle: es gibt eben pse_383.007
gute und schlechte Gedichte.
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Versuch der Wesensumschreibung pse_383.009
Wir erinnern uns zuerst an die verschiedenen Seiten, von pse_383.010
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wir schon in gewisser Weise auf Lyrisches gestoßen sind. pse_383.012
Zuerst haben wir das an der menschlichen Grundhaltung des pse_383.013
Verinnerns beobachtet. Aus dem Eintauchen in ein Stück pse_383.014
Welt und aus dem daraus folgenden Hereinziehen dieser pse_383.015
Welt in das Innere des Menschen haben wir die lyrische pse_383.016
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Aus einer intensiven Gestimmtheit wächst dieses Singen pse_383.020
heraus, und im Ertönen befreit sich der Mensch gleichsam von pse_383.021
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/399>, abgerufen am 25.11.2024.
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