pse_023.001 unserer Welt leisten wir in den höheren Formen der Sprache, pse_023.002 in den Sätzen und Satzzusammenhängen.
pse_023.003 Aber das ist nur die eine Seite. Wir deuten auch die Welt pse_023.004 in der Sprache. In den Worten umgrenzen wir nicht nur pse_023.005 Erfahrungsstücke zu Gegenständen, sondern formen auch pse_023.006 unsere Einstellung zu diesen Gegenständen mit hinein. Wenn pse_023.007 der Inder -- um das berühmte Beispiel Wilhelm Humboldts zu pse_023.008 bringen -- den Elefanten als den Zweizahnigen bezeichnet, so pse_023.009 hat er ein Merkmal, das ihm persönlich besonders wichtig pse_023.010 schien, zum Namen gemacht. Die Blume, die wir Deutsche pse_023.011 "Vergißmeinnicht" nennen, heißt beim Franzosen "myosotis", pse_023.012 d. h. Mausöhrchen. Da wird deutlich, daß -- mindestens im pse_023.013 Akt der Wortschöpfung -- ein ganz anderes Erleben bei der pse_023.014 Benennung mitwirkte, daß die Erfassung des Gegenstandes pse_023.015 aus ganz anderen innersten Haltungen geschah und daß diese pse_023.016 innerste Haltung, dieses Gemüthafte (Gemüt immer im Sinne pse_023.017 des innersten Wesens eines Menschen genommen) mit in den pse_023.018 Gehalt des Wortes eingegangen ist. Bei Worten wie Heimweh, pse_023.019 Meeresrauschen, Einöde, Sonnenstrahl fühlen wir alle, pse_023.020 daß da die Erlebnisweise mitwirkt. Die innere Teilnahme am pse_023.021 Erfassungsakt geht in das Wort mit ein. So hat Sprache immer pse_023.022 zwei Richtungen: wir richten uns mit ihr auf einen Gegenstand pse_023.023 unserer Erfahrungswelt (das können auch innere Vorgänge pse_023.024 sein), zugleich aber formen wir in sie auch die Wirkung pse_023.025 ein, die vom Gegenstand auf uns geht. Man kann also pse_023.026 wirklich sagen: "Sprache ist Vollzug der menschlichen Weltbegegnung, pse_023.027 der sich selbst erleuchtet" (Liebrucks). Indem wir pse_023.028 uns zur Sache verhalten, verhalten wir uns zugleich zu uns pse_023.029 selbst. Und in der Rede kommt dann noch als drittes die Richtung pse_023.030 auf den Angesprochenen, auf das Du hinzu.
pse_023.031 Der enge Zusammenhang von Welterfassung und Sprache pse_023.032 soll auf dem Gebiete des Wortschatzes noch durch eine pse_023.033 Beobachtung herausgearbeitet werden, durch die der sogenannten pse_023.034 Feldgliederung. Ein Erfahrungsbereich läßt sich in pse_023.035 verschiedener Weise aufgliedern: in wenige oder mehrere pse_023.036 Gegenstände, wobei aber jedesmal der ganze Bereich, aber pse_023.037 eben in verschieden großen Teilen berücksichtigt wird; oder pse_023.038 mehr von einem gemüthaften oder rationalen Standpunkt;
pse_023.001 unserer Welt leisten wir in den höheren Formen der Sprache, pse_023.002 in den Sätzen und Satzzusammenhängen.
pse_023.003 Aber das ist nur die eine Seite. Wir deuten auch die Welt pse_023.004 in der Sprache. In den Worten umgrenzen wir nicht nur pse_023.005 Erfahrungsstücke zu Gegenständen, sondern formen auch pse_023.006 unsere Einstellung zu diesen Gegenständen mit hinein. Wenn pse_023.007 der Inder — um das berühmte Beispiel Wilhelm Humboldts zu pse_023.008 bringen — den Elefanten als den Zweizahnigen bezeichnet, so pse_023.009 hat er ein Merkmal, das ihm persönlich besonders wichtig pse_023.010 schien, zum Namen gemacht. Die Blume, die wir Deutsche pse_023.011 »Vergißmeinnicht« nennen, heißt beim Franzosen »myosotis«, pse_023.012 d. h. Mausöhrchen. Da wird deutlich, daß — mindestens im pse_023.013 Akt der Wortschöpfung — ein ganz anderes Erleben bei der pse_023.014 Benennung mitwirkte, daß die Erfassung des Gegenstandes pse_023.015 aus ganz anderen innersten Haltungen geschah und daß diese pse_023.016 innerste Haltung, dieses Gemüthafte (Gemüt immer im Sinne pse_023.017 des innersten Wesens eines Menschen genommen) mit in den pse_023.018 Gehalt des Wortes eingegangen ist. Bei Worten wie Heimweh, pse_023.019 Meeresrauschen, Einöde, Sonnenstrahl fühlen wir alle, pse_023.020 daß da die Erlebnisweise mitwirkt. Die innere Teilnahme am pse_023.021 Erfassungsakt geht in das Wort mit ein. So hat Sprache immer pse_023.022 zwei Richtungen: wir richten uns mit ihr auf einen Gegenstand pse_023.023 unserer Erfahrungswelt (das können auch innere Vorgänge pse_023.024 sein), zugleich aber formen wir in sie auch die Wirkung pse_023.025 ein, die vom Gegenstand auf uns geht. Man kann also pse_023.026 wirklich sagen: »Sprache ist Vollzug der menschlichen Weltbegegnung, pse_023.027 der sich selbst erleuchtet« (Liebrucks). Indem wir pse_023.028 uns zur Sache verhalten, verhalten wir uns zugleich zu uns pse_023.029 selbst. Und in der Rede kommt dann noch als drittes die Richtung pse_023.030 auf den Angesprochenen, auf das Du hinzu.
pse_023.031 Der enge Zusammenhang von Welterfassung und Sprache pse_023.032 soll auf dem Gebiete des Wortschatzes noch durch eine pse_023.033 Beobachtung herausgearbeitet werden, durch die der sogenannten pse_023.034 Feldgliederung. Ein Erfahrungsbereich läßt sich in pse_023.035 verschiedener Weise aufgliedern: in wenige oder mehrere pse_023.036 Gegenstände, wobei aber jedesmal der ganze Bereich, aber pse_023.037 eben in verschieden großen Teilen berücksichtigt wird; oder pse_023.038 mehr von einem gemüthaften oder rationalen Standpunkt;
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unserer Welt leisten wir in den höheren Formen der Sprache, pse_023.002
in den Sätzen und Satzzusammenhängen.
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Aber das ist nur die eine Seite. Wir deuten auch die Welt pse_023.004
in der Sprache. In den Worten umgrenzen wir nicht nur pse_023.005
Erfahrungsstücke zu Gegenständen, sondern formen auch pse_023.006
unsere Einstellung zu diesen Gegenständen mit hinein. Wenn pse_023.007
der Inder — um das berühmte Beispiel Wilhelm Humboldts zu pse_023.008
bringen — den Elefanten als den Zweizahnigen bezeichnet, so pse_023.009
hat er ein Merkmal, das ihm persönlich besonders wichtig pse_023.010
schien, zum Namen gemacht. Die Blume, die wir Deutsche pse_023.011
»Vergißmeinnicht« nennen, heißt beim Franzosen »myosotis«, pse_023.012
d. h. Mausöhrchen. Da wird deutlich, daß — mindestens im pse_023.013
Akt der Wortschöpfung — ein ganz anderes Erleben bei der pse_023.014
Benennung mitwirkte, daß die Erfassung des Gegenstandes pse_023.015
aus ganz anderen innersten Haltungen geschah und daß diese pse_023.016
innerste Haltung, dieses Gemüthafte (Gemüt immer im Sinne pse_023.017
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Gehalt des Wortes eingegangen ist. Bei Worten wie Heimweh, pse_023.019
Meeresrauschen, Einöde, Sonnenstrahl fühlen wir alle, pse_023.020
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Erfassungsakt geht in das Wort mit ein. So hat Sprache immer pse_023.022
zwei Richtungen: wir richten uns mit ihr auf einen Gegenstand pse_023.023
unserer Erfahrungswelt (das können auch innere Vorgänge pse_023.024
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ein, die vom Gegenstand auf uns geht. Man kann also pse_023.026
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uns zur Sache verhalten, verhalten wir uns zugleich zu uns pse_023.029
selbst. Und in der Rede kommt dann noch als drittes die Richtung pse_023.030
auf den Angesprochenen, auf das Du hinzu.
pse_023.031
Der enge Zusammenhang von Welterfassung und Sprache pse_023.032
soll auf dem Gebiete des Wortschatzes noch durch eine pse_023.033
Beobachtung herausgearbeitet werden, durch die der sogenannten pse_023.034
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eben in verschieden großen Teilen berücksichtigt wird; oder pse_023.038
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/39>, abgerufen am 23.11.2024.
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