pse_019.001 etwas über die Eigenart der Dichtung aussagen. Die Unterschiede pse_019.002 zwischen Dichtung und den sog. bildenden Künsten pse_019.003 (Malerei, Plastik, Baukunst) sind augenfällig. Lehrreich ist es pse_019.004 in dieser Hinsicht, Gemälde mit Dichtungen zu vergleichen, pse_019.005 aus denen sie eine Episode nehmen, oder Gedichte, die ein pse_019.006 Werk der bildenden Kunst in dichterische Kunst umzuformen pse_019.007 versuchen (z. B. manche Gedichte Rilkes). Besonders aber muß pse_019.008 auf eines hingewiesen werden. Wenn vom Erscheinen des pse_019.009 ästhetischen Gegenstandes, vom Bildhaften und dann besonders pse_019.010 von der Anschaulichkeit gesprochen wird, so sind das pse_019.011 Begriffe, die sofort einleuchten in bezug auf die bildenden pse_019.012 Künste. Man hat sie für die Ästhetik auch von der Betrachtung pse_019.013 dieser Künste gewonnen. Man muß sich schon für die pse_019.014 Musik, besonders aber für die Dichtung, vom Wörtlichen pse_019.015 dieser Begriffe lösen, wenn sie noch etwas sagen sollen. Denn pse_019.016 niemals ist etwa bloß im Akustischen, im Lautwerden von pse_019.017 Sprache allein das Ästhetische gegeben. Die Sprachklänge, pse_019.018 die Lautungen sind zwar, wie wir noch sehen werden, sehr pse_019.019 wichtig für die Dichtung, aber aus ihnen allein ist unmöglich pse_019.020 das Künstlerische in der Dichtung zu begründen. Sollen diese pse_019.021 Begriffe allgemein für den ästhetischen Gegenstand gelten, pse_019.022 dann muß ihnen ein weiterer Sinn unterlegt werden. Der pse_019.023 gewöhnliche Begriff des Anschaulichen ist für die Dichtung pse_019.024 nicht ohne weiteres brauchbar, auch wenn man damit nicht pse_019.025 nur das durch das Sehen Gegebene meint, sondern alles, was pse_019.026 unmittelbar durch die Sinne überhaupt vermittelt wird. Mit pse_019.027 beidem reichen wir nie ans Wesentliche der Dichtung heran. pse_019.028 Aber auch das Verhältnis zur Musik ist für uns sehr lehrreich. pse_019.029 Man weiß, daß beide Künste oft zusammentreffen. Aber pse_019.030 gerade dabei zeigt sich, daß ihr Zusammenwirken nur in pse_019.031 seltenen Fällen ganz rein und erfreulich ist, vielleicht am pse_019.032 ehesten beim schlichten Lied. Man weiß von der Fragwürdigkeit pse_019.033 rücksichtsloser Programmusik. Und das Problem der pse_019.034 Oper ist noch nie völlig gelöst, man denke an so verschiedene pse_019.035 Werke wie den "Don Giovanni", den "Fidelio", den "Tristan" pse_019.036 und den "Rosenkavalier". Das Problem steckt eben darin, pse_019.037 wie Dramatik, mitteilbare Inhalte als Grundlage für Wortgebilde pse_019.038 und Musik zusammenwirken sollen. Auch bei großen
pse_019.001 etwas über die Eigenart der Dichtung aussagen. Die Unterschiede pse_019.002 zwischen Dichtung und den sog. bildenden Künsten pse_019.003 (Malerei, Plastik, Baukunst) sind augenfällig. Lehrreich ist es pse_019.004 in dieser Hinsicht, Gemälde mit Dichtungen zu vergleichen, pse_019.005 aus denen sie eine Episode nehmen, oder Gedichte, die ein pse_019.006 Werk der bildenden Kunst in dichterische Kunst umzuformen pse_019.007 versuchen (z. B. manche Gedichte Rilkes). Besonders aber muß pse_019.008 auf eines hingewiesen werden. Wenn vom Erscheinen des pse_019.009 ästhetischen Gegenstandes, vom Bildhaften und dann besonders pse_019.010 von der Anschaulichkeit gesprochen wird, so sind das pse_019.011 Begriffe, die sofort einleuchten in bezug auf die bildenden pse_019.012 Künste. Man hat sie für die Ästhetik auch von der Betrachtung pse_019.013 dieser Künste gewonnen. Man muß sich schon für die pse_019.014 Musik, besonders aber für die Dichtung, vom Wörtlichen pse_019.015 dieser Begriffe lösen, wenn sie noch etwas sagen sollen. Denn pse_019.016 niemals ist etwa bloß im Akustischen, im Lautwerden von pse_019.017 Sprache allein das Ästhetische gegeben. Die Sprachklänge, pse_019.018 die Lautungen sind zwar, wie wir noch sehen werden, sehr pse_019.019 wichtig für die Dichtung, aber aus ihnen allein ist unmöglich pse_019.020 das Künstlerische in der Dichtung zu begründen. Sollen diese pse_019.021 Begriffe allgemein für den ästhetischen Gegenstand gelten, pse_019.022 dann muß ihnen ein weiterer Sinn unterlegt werden. Der pse_019.023 gewöhnliche Begriff des Anschaulichen ist für die Dichtung pse_019.024 nicht ohne weiteres brauchbar, auch wenn man damit nicht pse_019.025 nur das durch das Sehen Gegebene meint, sondern alles, was pse_019.026 unmittelbar durch die Sinne überhaupt vermittelt wird. Mit pse_019.027 beidem reichen wir nie ans Wesentliche der Dichtung heran. pse_019.028 Aber auch das Verhältnis zur Musik ist für uns sehr lehrreich. pse_019.029 Man weiß, daß beide Künste oft zusammentreffen. Aber pse_019.030 gerade dabei zeigt sich, daß ihr Zusammenwirken nur in pse_019.031 seltenen Fällen ganz rein und erfreulich ist, vielleicht am pse_019.032 ehesten beim schlichten Lied. Man weiß von der Fragwürdigkeit pse_019.033 rücksichtsloser Programmusik. Und das Problem der pse_019.034 Oper ist noch nie völlig gelöst, man denke an so verschiedene pse_019.035 Werke wie den »Don Giovanni«, den »Fidelio«, den »Tristan« pse_019.036 und den »Rosenkavalier«. Das Problem steckt eben darin, pse_019.037 wie Dramatik, mitteilbare Inhalte als Grundlage für Wortgebilde pse_019.038 und Musik zusammenwirken sollen. Auch bei großen
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etwas über die Eigenart der Dichtung aussagen. Die Unterschiede pse_019.002
zwischen Dichtung und den sog. bildenden Künsten pse_019.003
(Malerei, Plastik, Baukunst) sind augenfällig. Lehrreich ist es pse_019.004
in dieser Hinsicht, Gemälde mit Dichtungen zu vergleichen, pse_019.005
aus denen sie eine Episode nehmen, oder Gedichte, die ein pse_019.006
Werk der bildenden Kunst in dichterische Kunst umzuformen pse_019.007
versuchen (z. B. manche Gedichte Rilkes). Besonders aber muß pse_019.008
auf eines hingewiesen werden. Wenn vom Erscheinen des pse_019.009
ästhetischen Gegenstandes, vom Bildhaften und dann besonders pse_019.010
von der Anschaulichkeit gesprochen wird, so sind das pse_019.011
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Künste. Man hat sie für die Ästhetik auch von der Betrachtung pse_019.013
dieser Künste gewonnen. Man muß sich schon für die pse_019.014
Musik, besonders aber für die Dichtung, vom Wörtlichen pse_019.015
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dann muß ihnen ein weiterer Sinn unterlegt werden. Der pse_019.023
gewöhnliche Begriff des Anschaulichen ist für die Dichtung pse_019.024
nicht ohne weiteres brauchbar, auch wenn man damit nicht pse_019.025
nur das durch das Sehen Gegebene meint, sondern alles, was pse_019.026
unmittelbar durch die Sinne überhaupt vermittelt wird. Mit pse_019.027
beidem reichen wir nie ans Wesentliche der Dichtung heran. pse_019.028
Aber auch das Verhältnis zur Musik ist für uns sehr lehrreich. pse_019.029
Man weiß, daß beide Künste oft zusammentreffen. Aber pse_019.030
gerade dabei zeigt sich, daß ihr Zusammenwirken nur in pse_019.031
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und den »Rosenkavalier«. Das Problem steckt eben darin, pse_019.037
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und Musik zusammenwirken sollen. Auch bei großen
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/35>, abgerufen am 24.11.2024.
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