pse_332.001 Für das Werten von Dichtungen sind gewisse Voraussetzungen pse_332.002 nötig. Dazu gehört vor allem eine bestimmte Beschaffenheit pse_332.003 des Wertträgers, in diesem Falle also des Gedichts. pse_332.004 Der Wert ist immer eine innere Qualität von etwas. pse_332.005 Daß er sich aber verwirklicht, dazu gehört ein Substrat, hier pse_332.006 also das Vorhandensein des Gedichts. Wir müssen die Eigenschaften pse_332.007 von Gedichten herausgreifen, die Bedingungen für pse_332.008 ein Werterlebnis sind: das sind etwa die Stilwerte, die Gesetzlichkeiten pse_332.009 des Aufbaus usw. Aber alle Wertmaßstäbe, die so pse_332.010 gefunden werden, können nie Werterlebnisse ersetzen, sie pse_332.011 können sie auch nicht unmittelbar auslösen, sie können nur pse_332.012 hinführen und das Wertungsvermögen bilden. Sondern umgekehrt pse_332.013 müssen wir immer wieder betonen, daß ein Werten pse_332.014 erst möglich ist aus einer Werterfahrung heraus. Das Eindringen pse_332.015 in den Text ist eine weitere wichtige Voraussetzung. pse_332.016 Nur gründliches Studieren des Aufbaus, der Stilzüge, der pse_332.017 Zusammenhänge usw. kann in die Kunst des Gedichtes pse_332.018 hineinführen. Wenn wir sie in all ihren Zügen erfaßt haben, pse_332.019 dürfen wir sagen, daß wir die Bedingungen begriffen haben, pse_332.020 die für ein Werterleben am Gedicht grundlegend, die also pse_332.021 auch für den Wert an ihm unerläßlich sind. Aber das Eindringen pse_332.022 in den Text ist selber wieder an Voraussetzungen gebunden, pse_332.023 die oft verkannt werden. Es ist falsch, wenn man glaubt, pse_332.024 ohne Voraussetzungen die interpretierende Versenkung in pse_332.025 den Text leisten zu können. Das Wichtigste sind allgemeine pse_332.026 Kenntnisse über Art, Wesen und Formen einer Dichtung. Das pse_332.027 fängt schon ganz einfach damit an, daß ich wissen muß, was pse_332.028 ein Gedicht ist. Man wendet gegen den Wert allgemeiner pse_332.029 Einsichten in bestimmte Formen und Stilzüge ein, daß im pse_332.030 Spezialfall diese Einsichten doch nicht stimmen. Wie kann pse_332.031 ich aber wissen, daß sie in diesem Fall nicht stimmen, wenn pse_332.032 ich eben diesen allgemeinen Zug nicht kenne? Erst auf dem pse_332.033 Hintergrund solcher allgemeinen Einsichten kann ich das pse_332.034 Besondere und Einmalige eines bestimmten Zuges einer pse_332.035 Dichtung erst recht in seinem Dasein, in seiner Entstehung pse_332.036 und seinem Sinn im Ganzen erfassen. Grundsätze des Wertens pse_332.037 sind auch deshalb nötig, weil sonst der Willkür des Interpretierens pse_332.038 Tür und Tor geöffnet wäre. Versuche, in die oft noch
pse_332.001 Für das Werten von Dichtungen sind gewisse Voraussetzungen pse_332.002 nötig. Dazu gehört vor allem eine bestimmte Beschaffenheit pse_332.003 des Wertträgers, in diesem Falle also des Gedichts. pse_332.004 Der Wert ist immer eine innere Qualität von etwas. pse_332.005 Daß er sich aber verwirklicht, dazu gehört ein Substrat, hier pse_332.006 also das Vorhandensein des Gedichts. Wir müssen die Eigenschaften pse_332.007 von Gedichten herausgreifen, die Bedingungen für pse_332.008 ein Werterlebnis sind: das sind etwa die Stilwerte, die Gesetzlichkeiten pse_332.009 des Aufbaus usw. Aber alle Wertmaßstäbe, die so pse_332.010 gefunden werden, können nie Werterlebnisse ersetzen, sie pse_332.011 können sie auch nicht unmittelbar auslösen, sie können nur pse_332.012 hinführen und das Wertungsvermögen bilden. Sondern umgekehrt pse_332.013 müssen wir immer wieder betonen, daß ein Werten pse_332.014 erst möglich ist aus einer Werterfahrung heraus. Das Eindringen pse_332.015 in den Text ist eine weitere wichtige Voraussetzung. pse_332.016 Nur gründliches Studieren des Aufbaus, der Stilzüge, der pse_332.017 Zusammenhänge usw. kann in die Kunst des Gedichtes pse_332.018 hineinführen. Wenn wir sie in all ihren Zügen erfaßt haben, pse_332.019 dürfen wir sagen, daß wir die Bedingungen begriffen haben, pse_332.020 die für ein Werterleben am Gedicht grundlegend, die also pse_332.021 auch für den Wert an ihm unerläßlich sind. Aber das Eindringen pse_332.022 in den Text ist selber wieder an Voraussetzungen gebunden, pse_332.023 die oft verkannt werden. Es ist falsch, wenn man glaubt, pse_332.024 ohne Voraussetzungen die interpretierende Versenkung in pse_332.025 den Text leisten zu können. Das Wichtigste sind allgemeine pse_332.026 Kenntnisse über Art, Wesen und Formen einer Dichtung. Das pse_332.027 fängt schon ganz einfach damit an, daß ich wissen muß, was pse_332.028 ein Gedicht ist. Man wendet gegen den Wert allgemeiner pse_332.029 Einsichten in bestimmte Formen und Stilzüge ein, daß im pse_332.030 Spezialfall diese Einsichten doch nicht stimmen. Wie kann pse_332.031 ich aber wissen, daß sie in diesem Fall nicht stimmen, wenn pse_332.032 ich eben diesen allgemeinen Zug nicht kenne? Erst auf dem pse_332.033 Hintergrund solcher allgemeinen Einsichten kann ich das pse_332.034 Besondere und Einmalige eines bestimmten Zuges einer pse_332.035 Dichtung erst recht in seinem Dasein, in seiner Entstehung pse_332.036 und seinem Sinn im Ganzen erfassen. Grundsätze des Wertens pse_332.037 sind auch deshalb nötig, weil sonst der Willkür des Interpretierens pse_332.038 Tür und Tor geöffnet wäre. Versuche, in die oft noch
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des Wertträgers, in diesem Falle also des Gedichts. pse_332.004
Der Wert ist immer eine innere Qualität von etwas. pse_332.005
Daß er sich aber verwirklicht, dazu gehört ein Substrat, hier pse_332.006
also das Vorhandensein des Gedichts. Wir müssen die Eigenschaften pse_332.007
von Gedichten herausgreifen, die Bedingungen für pse_332.008
ein Werterlebnis sind: das sind etwa die Stilwerte, die Gesetzlichkeiten pse_332.009
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gefunden werden, können nie Werterlebnisse ersetzen, sie pse_332.011
können sie auch nicht unmittelbar auslösen, sie können nur pse_332.012
hinführen und das Wertungsvermögen bilden. Sondern umgekehrt pse_332.013
müssen wir immer wieder betonen, daß ein Werten pse_332.014
erst möglich ist aus einer Werterfahrung heraus. Das Eindringen pse_332.015
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Nur gründliches Studieren des Aufbaus, der Stilzüge, der pse_332.017
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auch für den Wert an ihm unerläßlich sind. Aber das Eindringen pse_332.022
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die oft verkannt werden. Es ist falsch, wenn man glaubt, pse_332.024
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den Text leisten zu können. Das Wichtigste sind allgemeine pse_332.026
Kenntnisse über Art, Wesen und Formen einer Dichtung. Das pse_332.027
fängt schon ganz einfach damit an, daß ich wissen muß, was pse_332.028
ein Gedicht ist. Man wendet gegen den Wert allgemeiner pse_332.029
Einsichten in bestimmte Formen und Stilzüge ein, daß im pse_332.030
Spezialfall diese Einsichten doch nicht stimmen. Wie kann pse_332.031
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Hintergrund solcher allgemeinen Einsichten kann ich das pse_332.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/348>, abgerufen am 24.11.2024.
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