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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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der Gedichte zeigt da oft ganz streng durchdachte Anlageformen. pse_312.002
E. R. Curtius nennt eine solche das Summationsschema: pse_312.003
es werden bestimmte Feststellungen aneinander gereiht pse_312.004
und am Schluß in knapper Wiederholung der Aussagen pse_312.005
die Summe gezogen. Berühmt ist der Eingangsmonolog in pse_312.006
Calderons "Das Leben ist Traum." Aber es gibt auch in der pse_312.007
deutschen Literatur ein schönes Beispiel, Grillparzers "Abschied pse_312.008
von Gastein". In der ersten Strophe preist der Dichter pse_312.009
die schönen Tage von Gastein, wo ihm vergönnt war, von pse_312.010
den Qualen des Dichtens auszuruhen. Damit ist das Thema pse_312.011
angeschlagen: Dichten ist Leiden, gibt aber anderen Freude. pse_312.012
Das führt nun der Dichter in den drei Mittelstrophen an drei pse_312.013
Vergleichen aus: der vom Blitz getroffene Baum bietet ein pse_312.014
herrliches Schauspiel, das Leiden des Perlentieres bringt die pse_312.015
schöne Perle hervor, das Zerbrechen und Zerstäuben des pse_312.016
Wasserfalles erfreut in seinem Farbenspiel. Und nun folgt pse_312.017
in der letzten Strophe die Zusammenfassung:

pse_312.018
Der Dichter so: wenn auch vom Glück getragen, pse_312.019
Umjubelt von des Beifalls lautem Schall, pse_312.020
Er ist der welke Baum, vom Blitz geschlagen, pse_312.021
Das arme Muscheltier, der Wasserfall; pse_312.022
Was ihr für Lieder haltet, es sind Klagen, pse_312.023
Gesprochen in ein freudenleeres All, pse_312.024
Und Flammen, Perlen, Schmuck, die euch umschweben, pse_312.025
Gelöste Teile sinds von seinem Leben.
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Was dieses Schema von der klassischen Anlage unterscheidet, pse_312.027
ist die streng rationale Durchführung im Gehalt, in der festgehaltenen pse_312.028
Parallelität, in der logischen Verbindung und Einführung pse_312.029
der Zusammenfassung. Man spürt den Reiz und pse_312.030
die Freude am einwandfrei durchgeführten Schema.

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Zum Unterschied von der klassischen Gestaltungsform pse_312.032
wechselt der Manierismus die Gestaltungsebenen; er bewegt pse_312.033
sich auf allen dreien. Die Barockdichtungen manieristischer pse_312.034
Prägung sind meist erhaben, manche Gedichte, die durch ihre pse_312.035
Spitzfindigkeiten glänzen, sind sonst mittlerer Art, aber auch pse_312.036
auf die derbe Ebene steigt der Manierismus herunter, wenn pse_312.037
er die schon erwähnten Auswüchse gestaltet, wenn das Groteske pse_312.038
in bestimmten Formen vorbricht.

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der Gedichte zeigt da oft ganz streng durchdachte Anlageformen. pse_312.002
E. R. Curtius nennt eine solche das Summationsschema: pse_312.003
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von Gastein«. In der ersten Strophe preist der Dichter pse_312.009
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Wasserfalles erfreut in seinem Farbenspiel. Und nun folgt pse_312.017
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Der Dichter so: wenn auch vom Glück getragen, pse_312.019
Umjubelt von des Beifalls lautem Schall, pse_312.020
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Das arme Muscheltier, der Wasserfall; pse_312.022
Was ihr für Lieder haltet, es sind Klagen, pse_312.023
Gesprochen in ein freudenleeres All, pse_312.024
Und Flammen, Perlen, Schmuck, die euch umschweben, pse_312.025
Gelöste Teile sinds von seinem Leben.
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Was dieses Schema von der klassischen Anlage unterscheidet, pse_312.027
ist die streng rationale Durchführung im Gehalt, in der festgehaltenen pse_312.028
Parallelität, in der logischen Verbindung und Einführung pse_312.029
der Zusammenfassung. Man spürt den Reiz und pse_312.030
die Freude am einwandfrei durchgeführten Schema.

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Zum Unterschied von der klassischen Gestaltungsform pse_312.032
wechselt der Manierismus die Gestaltungsebenen; er bewegt pse_312.033
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[312/0328] pse_312.001 der Gedichte zeigt da oft ganz streng durchdachte Anlageformen. pse_312.002 E. R. Curtius nennt eine solche das Summationsschema: pse_312.003 es werden bestimmte Feststellungen aneinander gereiht pse_312.004 und am Schluß in knapper Wiederholung der Aussagen pse_312.005 die Summe gezogen. Berühmt ist der Eingangsmonolog in pse_312.006 Calderóns »Das Leben ist Traum.« Aber es gibt auch in der pse_312.007 deutschen Literatur ein schönes Beispiel, Grillparzers »Abschied pse_312.008 von Gastein«. In der ersten Strophe preist der Dichter pse_312.009 die schönen Tage von Gastein, wo ihm vergönnt war, von pse_312.010 den Qualen des Dichtens auszuruhen. Damit ist das Thema pse_312.011 angeschlagen: Dichten ist Leiden, gibt aber anderen Freude. pse_312.012 Das führt nun der Dichter in den drei Mittelstrophen an drei pse_312.013 Vergleichen aus: der vom Blitz getroffene Baum bietet ein pse_312.014 herrliches Schauspiel, das Leiden des Perlentieres bringt die pse_312.015 schöne Perle hervor, das Zerbrechen und Zerstäuben des pse_312.016 Wasserfalles erfreut in seinem Farbenspiel. Und nun folgt pse_312.017 in der letzten Strophe die Zusammenfassung: pse_312.018 Der Dichter so: wenn auch vom Glück getragen, pse_312.019 Umjubelt von des Beifalls lautem Schall, pse_312.020 Er ist der welke Baum, vom Blitz geschlagen, pse_312.021 Das arme Muscheltier, der Wasserfall; pse_312.022 Was ihr für Lieder haltet, es sind Klagen, pse_312.023 Gesprochen in ein freudenleeres All, pse_312.024 Und Flammen, Perlen, Schmuck, die euch umschweben, pse_312.025 Gelöste Teile sinds von seinem Leben. pse_312.026 Was dieses Schema von der klassischen Anlage unterscheidet, pse_312.027 ist die streng rationale Durchführung im Gehalt, in der festgehaltenen pse_312.028 Parallelität, in der logischen Verbindung und Einführung pse_312.029 der Zusammenfassung. Man spürt den Reiz und pse_312.030 die Freude am einwandfrei durchgeführten Schema. pse_312.031 Zum Unterschied von der klassischen Gestaltungsform pse_312.032 wechselt der Manierismus die Gestaltungsebenen; er bewegt pse_312.033 sich auf allen dreien. Die Barockdichtungen manieristischer pse_312.034 Prägung sind meist erhaben, manche Gedichte, die durch ihre pse_312.035 Spitzfindigkeiten glänzen, sind sonst mittlerer Art, aber auch pse_312.036 auf die derbe Ebene steigt der Manierismus herunter, wenn pse_312.037 er die schon erwähnten Auswüchse gestaltet, wenn das Groteske pse_312.038 in bestimmten Formen vorbricht.

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/328>, abgerufen am 22.11.2024.