pse_282.001 Organismen um Wachstum, bei Kunstwerken um sogenannte pse_282.002 Integration handelt, d. h. um das Zusammenfügen von Gliedern pse_282.003 aus überwölbenden Prinzipien, die geistiger Art sind.
pse_282.004 In der Überlegung, welcher Art nun wirklich die Ganzheit pse_282.005 einer Dichtung ist, vergißt man allzuleicht, daß ja nicht alle pse_282.006 Dichtungen gleich gebaut sind. In der Struktur der einzelnen pse_282.007 Dichtungen kann man in dieser Hinsicht auch verschiedene pse_282.008 Typen erkennen. Sie sind bis zu einem gewissen Grade vorgebildet pse_282.009 in den Typen, die einst Walzel in bezug auf die Gesamtstruktur pse_282.010 von Dichtungen aufgestellt hat: eine statischromanische pse_282.011 Form, die gleichsam den gesamten Gehalt aus pse_282.012 dem flutenden Leben in abstrakt-geistige Räume hinaufhebt. pse_282.013 Hier könnte man mit Vorsicht den Ausdruck Konstruktion pse_282.014 gebrauchen, ohne für Dichtung gleich einen Unwert damit pse_282.015 zu verbinden. Es handelt sich nicht um die Art der Entstehung pse_282.016 und Ausführung der Dichtung, sondern um die Aufbauart pse_282.017 des vollendeten Werks. Es erscheint als streng durchdachtes pse_282.018 Gebilde. Die einzelnen Glieder sind in beinahe rationaler pse_282.019 Weise eingebaut und haben ihren strengen Sinn im Ganzen. pse_282.020 Die Fügung ist auch sprachlich insofern erkennbar, als bestimmte pse_282.021 Worte die geistigen, ja sogar die logischen Beziehungen pse_282.022 festhalten. Symmetrie und Bauweise nach Zahlenverhältnissen, pse_282.023 wie wir sie früher erwähnt haben, gehören auch pse_282.024 hieher. Da gibt es keine Unklarheit, keine Verschwommenheit, pse_282.025 kaum unmerkliche Übergänge. Solche Bauweise, die in pse_282.026 den Worten Konstruktion und Komposition angedeutet ist, pse_282.027 hat ihre hohen Werte. Es entsteht der Eindruck der Klarheit, pse_282.028 Überschau, Genauigkeit. In diesem strengen Rahmen können pse_282.029 dann die künstlerischen Einzelheiten, die Bilder, auch die pse_282.030 anderen Stilkräfte eindeutig wirken. Es ist die Bauweise, die pse_282.031 wir aus den großen lateinischen Klassikern kennen, aus der pse_282.032 tragedie classique der Franzosen, auch noch aus Voltaire. Aber pse_282.033 auch Schillers Dramenform, besonders etwa in der "Maria pse_282.034 Stuart" und in der "Braut von Messina" hat diese klar geprägte, pse_282.035 festgefügte Form. Züge davon zeigen sich in Stifters Romanen, pse_282.036 vor allem aber in den Romanen Thomas Manns. Auch die pse_282.037 Barockromane erkennen wir heute als Vertreter dieser Form: pse_282.038 sie weisen einen bis ins letzte durchdachten und durchkonstruierten
pse_282.001 Organismen um Wachstum, bei Kunstwerken um sogenannte pse_282.002 Integration handelt, d. h. um das Zusammenfügen von Gliedern pse_282.003 aus überwölbenden Prinzipien, die geistiger Art sind.
pse_282.004 In der Überlegung, welcher Art nun wirklich die Ganzheit pse_282.005 einer Dichtung ist, vergißt man allzuleicht, daß ja nicht alle pse_282.006 Dichtungen gleich gebaut sind. In der Struktur der einzelnen pse_282.007 Dichtungen kann man in dieser Hinsicht auch verschiedene pse_282.008 Typen erkennen. Sie sind bis zu einem gewissen Grade vorgebildet pse_282.009 in den Typen, die einst Walzel in bezug auf die Gesamtstruktur pse_282.010 von Dichtungen aufgestellt hat: eine statischromanische pse_282.011 Form, die gleichsam den gesamten Gehalt aus pse_282.012 dem flutenden Leben in abstrakt-geistige Räume hinaufhebt. pse_282.013 Hier könnte man mit Vorsicht den Ausdruck Konstruktion pse_282.014 gebrauchen, ohne für Dichtung gleich einen Unwert damit pse_282.015 zu verbinden. Es handelt sich nicht um die Art der Entstehung pse_282.016 und Ausführung der Dichtung, sondern um die Aufbauart pse_282.017 des vollendeten Werks. Es erscheint als streng durchdachtes pse_282.018 Gebilde. Die einzelnen Glieder sind in beinahe rationaler pse_282.019 Weise eingebaut und haben ihren strengen Sinn im Ganzen. pse_282.020 Die Fügung ist auch sprachlich insofern erkennbar, als bestimmte pse_282.021 Worte die geistigen, ja sogar die logischen Beziehungen pse_282.022 festhalten. Symmetrie und Bauweise nach Zahlenverhältnissen, pse_282.023 wie wir sie früher erwähnt haben, gehören auch pse_282.024 hieher. Da gibt es keine Unklarheit, keine Verschwommenheit, pse_282.025 kaum unmerkliche Übergänge. Solche Bauweise, die in pse_282.026 den Worten Konstruktion und Komposition angedeutet ist, pse_282.027 hat ihre hohen Werte. Es entsteht der Eindruck der Klarheit, pse_282.028 Überschau, Genauigkeit. In diesem strengen Rahmen können pse_282.029 dann die künstlerischen Einzelheiten, die Bilder, auch die pse_282.030 anderen Stilkräfte eindeutig wirken. Es ist die Bauweise, die pse_282.031 wir aus den großen lateinischen Klassikern kennen, aus der pse_282.032 tragédie classique der Franzosen, auch noch aus Voltaire. Aber pse_282.033 auch Schillers Dramenform, besonders etwa in der »Maria pse_282.034 Stuart« und in der »Braut von Messina« hat diese klar geprägte, pse_282.035 festgefügte Form. Züge davon zeigen sich in Stifters Romanen, pse_282.036 vor allem aber in den Romanen Thomas Manns. Auch die pse_282.037 Barockromane erkennen wir heute als Vertreter dieser Form: pse_282.038 sie weisen einen bis ins letzte durchdachten und durchkonstruierten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0298"n="282"/><lbn="pse_282.001"/>
Organismen um Wachstum, bei Kunstwerken um sogenannte <lbn="pse_282.002"/>
Integration handelt, d. h. um das Zusammenfügen von Gliedern <lbn="pse_282.003"/>
aus überwölbenden Prinzipien, die geistiger Art sind.</p><p><lbn="pse_282.004"/>
In der Überlegung, welcher Art nun wirklich die Ganzheit <lbn="pse_282.005"/>
einer Dichtung ist, vergißt man allzuleicht, daß ja nicht alle <lbn="pse_282.006"/>
Dichtungen gleich gebaut sind. In der Struktur der einzelnen <lbn="pse_282.007"/>
Dichtungen kann man in dieser Hinsicht auch verschiedene <lbn="pse_282.008"/>
Typen erkennen. Sie sind bis zu einem gewissen Grade vorgebildet <lbn="pse_282.009"/>
in den Typen, die einst Walzel in bezug auf die Gesamtstruktur <lbn="pse_282.010"/>
von Dichtungen aufgestellt hat: eine statischromanische <lbn="pse_282.011"/>
Form, die gleichsam den gesamten Gehalt aus <lbn="pse_282.012"/>
dem flutenden Leben in abstrakt-geistige Räume hinaufhebt. <lbn="pse_282.013"/>
Hier könnte man mit Vorsicht den Ausdruck Konstruktion <lbn="pse_282.014"/>
gebrauchen, ohne für Dichtung gleich einen Unwert damit <lbn="pse_282.015"/>
zu verbinden. Es handelt sich nicht um die Art der Entstehung <lbn="pse_282.016"/>
und Ausführung der Dichtung, sondern um die Aufbauart <lbn="pse_282.017"/>
des vollendeten Werks. Es erscheint als streng durchdachtes <lbn="pse_282.018"/>
Gebilde. Die einzelnen Glieder sind in beinahe rationaler <lbn="pse_282.019"/>
Weise eingebaut und haben ihren strengen Sinn im Ganzen. <lbn="pse_282.020"/>
Die Fügung ist auch sprachlich insofern erkennbar, als bestimmte <lbn="pse_282.021"/>
Worte die geistigen, ja sogar die logischen Beziehungen <lbn="pse_282.022"/>
festhalten. Symmetrie und Bauweise nach Zahlenverhältnissen, <lbn="pse_282.023"/>
wie wir sie früher erwähnt haben, gehören auch <lbn="pse_282.024"/>
hieher. Da gibt es keine Unklarheit, keine Verschwommenheit, <lbn="pse_282.025"/>
kaum unmerkliche Übergänge. Solche Bauweise, die in <lbn="pse_282.026"/>
den Worten Konstruktion und Komposition angedeutet ist, <lbn="pse_282.027"/>
hat ihre hohen Werte. Es entsteht der Eindruck der Klarheit, <lbn="pse_282.028"/>
Überschau, Genauigkeit. In diesem strengen Rahmen können <lbn="pse_282.029"/>
dann die künstlerischen Einzelheiten, die Bilder, auch die <lbn="pse_282.030"/>
anderen Stilkräfte eindeutig wirken. Es ist die Bauweise, die <lbn="pse_282.031"/>
wir aus den großen lateinischen Klassikern kennen, aus der <lbn="pse_282.032"/>
tragédie classique der Franzosen, auch noch aus Voltaire. Aber <lbn="pse_282.033"/>
auch Schillers Dramenform, besonders etwa in der »Maria <lbn="pse_282.034"/>
Stuart« und in der »Braut von Messina« hat diese klar geprägte, <lbn="pse_282.035"/>
festgefügte Form. Züge davon zeigen sich in Stifters Romanen, <lbn="pse_282.036"/>
vor allem aber in den Romanen Thomas Manns. Auch die <lbn="pse_282.037"/>
Barockromane erkennen wir heute als Vertreter dieser Form: <lbn="pse_282.038"/>
sie weisen einen bis ins letzte durchdachten und durchkonstruierten
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[282/0298]
pse_282.001
Organismen um Wachstum, bei Kunstwerken um sogenannte pse_282.002
Integration handelt, d. h. um das Zusammenfügen von Gliedern pse_282.003
aus überwölbenden Prinzipien, die geistiger Art sind.
pse_282.004
In der Überlegung, welcher Art nun wirklich die Ganzheit pse_282.005
einer Dichtung ist, vergißt man allzuleicht, daß ja nicht alle pse_282.006
Dichtungen gleich gebaut sind. In der Struktur der einzelnen pse_282.007
Dichtungen kann man in dieser Hinsicht auch verschiedene pse_282.008
Typen erkennen. Sie sind bis zu einem gewissen Grade vorgebildet pse_282.009
in den Typen, die einst Walzel in bezug auf die Gesamtstruktur pse_282.010
von Dichtungen aufgestellt hat: eine statischromanische pse_282.011
Form, die gleichsam den gesamten Gehalt aus pse_282.012
dem flutenden Leben in abstrakt-geistige Räume hinaufhebt. pse_282.013
Hier könnte man mit Vorsicht den Ausdruck Konstruktion pse_282.014
gebrauchen, ohne für Dichtung gleich einen Unwert damit pse_282.015
zu verbinden. Es handelt sich nicht um die Art der Entstehung pse_282.016
und Ausführung der Dichtung, sondern um die Aufbauart pse_282.017
des vollendeten Werks. Es erscheint als streng durchdachtes pse_282.018
Gebilde. Die einzelnen Glieder sind in beinahe rationaler pse_282.019
Weise eingebaut und haben ihren strengen Sinn im Ganzen. pse_282.020
Die Fügung ist auch sprachlich insofern erkennbar, als bestimmte pse_282.021
Worte die geistigen, ja sogar die logischen Beziehungen pse_282.022
festhalten. Symmetrie und Bauweise nach Zahlenverhältnissen, pse_282.023
wie wir sie früher erwähnt haben, gehören auch pse_282.024
hieher. Da gibt es keine Unklarheit, keine Verschwommenheit, pse_282.025
kaum unmerkliche Übergänge. Solche Bauweise, die in pse_282.026
den Worten Konstruktion und Komposition angedeutet ist, pse_282.027
hat ihre hohen Werte. Es entsteht der Eindruck der Klarheit, pse_282.028
Überschau, Genauigkeit. In diesem strengen Rahmen können pse_282.029
dann die künstlerischen Einzelheiten, die Bilder, auch die pse_282.030
anderen Stilkräfte eindeutig wirken. Es ist die Bauweise, die pse_282.031
wir aus den großen lateinischen Klassikern kennen, aus der pse_282.032
tragédie classique der Franzosen, auch noch aus Voltaire. Aber pse_282.033
auch Schillers Dramenform, besonders etwa in der »Maria pse_282.034
Stuart« und in der »Braut von Messina« hat diese klar geprägte, pse_282.035
festgefügte Form. Züge davon zeigen sich in Stifters Romanen, pse_282.036
vor allem aber in den Romanen Thomas Manns. Auch die pse_282.037
Barockromane erkennen wir heute als Vertreter dieser Form: pse_282.038
sie weisen einen bis ins letzte durchdachten und durchkonstruierten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/298>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.