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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Das altgermanische Heldenlied ist dafür besonders bekannt, pse_264.002
aber auch viele Balladen. Nur die Höhepunkte werden herausgearbeitet, pse_264.003
das Dazwischenliegende fällt weg. Aber trotzdem pse_264.004
führt diese Sprunghaftigkeit nicht zum Zerreißen, es pse_264.005
entstehen nicht einzelne Brocken, sondern sie fügen sich auf pse_264.006
andere Weise wirkungsvoll zusammen. Wir beobachten es pse_264.007
an "Erlkönigs Tochter" von Herder. Die erste Strophe gibt pse_264.008
eine knappe Einleitung:

pse_264.009
Herr Oluf reitet spät und weit, pse_264.010
Zu bieten auf seine Hochzeitleut';
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die nächste springt zu einer neuen Szene ohne Übergang:

pse_264.012
Da tanzen die Elfen auf grünem Land, pse_264.013
Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.
pse_264.014

Nun folgt der sich steigernde Dialog zwischen beiden als pse_264.015
Höhepunkt. Dann kommt allerdings eine leichte Verknüpfung pse_264.016
der nächsten Szene:

pse_264.017
Und als er kam vor Hauses Tür ...
pse_264.018

Aber die letzte Szene steht wieder ganz für sich:

pse_264.019
Früh morgen und als es Tag kaum war, pse_264.020
Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.
pse_264.021

Trotz dieser Sprunghaftigkeit ist das Ganze doch einheitlich pse_264.022
bewegt. Jede Szene ist so stimmungsvoll und enthält so viele pse_264.023
Bezüge zum Früheren oder Späteren, daß sofort aus dieser pse_264.024
Stimmung und aus den Erwartungen und Rückblicken ein pse_264.025
Zusammenhang entsteht, nicht rationaler Art, sondern durch pse_264.026
Gehalt und Stimmung der einzelnen Szenen. Die durchgehende pse_264.027
Bewegung ist also nicht ruhig fließend, sondern pse_264.028
heftig bewegt, ein ständiges Auf und Ab.

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So bildet sich eine deutliche rhythmische Bewegung des pse_264.030
Ganzen. Sie zeigt dieselbe Art wie im Sprachrhythmus. Aber pse_264.031
der Rhythmus des ganzen Gedichts ist umfassender, er umgreift pse_264.032
außer der sprachlichen Struktur die Aufeinanderfolge pse_264.033
der Glieder, ihre Länge, das Tempo, Sprunghaftigkeit oder pse_264.034
leise Übergänge, starke Herausgehobenheit der Glieder durch pse_264.035
Sinn und Stimmung. Dabei entsteht eine bestimmte Spannung

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aber auch viele Balladen. Nur die Höhepunkte werden herausgearbeitet, pse_264.003
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Herr Oluf reitet spät und weit, pse_264.010
Zu bieten auf seine Hochzeitleut';
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die nächste springt zu einer neuen Szene ohne Übergang:

pse_264.012
Da tanzen die Elfen auf grünem Land, pse_264.013
Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.
pse_264.014

Nun folgt der sich steigernde Dialog zwischen beiden als pse_264.015
Höhepunkt. Dann kommt allerdings eine leichte Verknüpfung pse_264.016
der nächsten Szene:

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Und als er kam vor Hauses Tür ...
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Aber die letzte Szene steht wieder ganz für sich:

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Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.
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Trotz dieser Sprunghaftigkeit ist das Ganze doch einheitlich pse_264.022
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Bezüge zum Früheren oder Späteren, daß sofort aus dieser pse_264.024
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Ganzen. Sie zeigt dieselbe Art wie im Sprachrhythmus. Aber pse_264.031
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der Glieder, ihre Länge, das Tempo, Sprunghaftigkeit oder pse_264.034
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[264/0280] pse_264.001 Das altgermanische Heldenlied ist dafür besonders bekannt, pse_264.002 aber auch viele Balladen. Nur die Höhepunkte werden herausgearbeitet, pse_264.003 das Dazwischenliegende fällt weg. Aber trotzdem pse_264.004 führt diese Sprunghaftigkeit nicht zum Zerreißen, es pse_264.005 entstehen nicht einzelne Brocken, sondern sie fügen sich auf pse_264.006 andere Weise wirkungsvoll zusammen. Wir beobachten es pse_264.007 an »Erlkönigs Tochter« von Herder. Die erste Strophe gibt pse_264.008 eine knappe Einleitung: pse_264.009 Herr Oluf reitet spät und weit, pse_264.010 Zu bieten auf seine Hochzeitleut'; pse_264.011 die nächste springt zu einer neuen Szene ohne Übergang: pse_264.012 Da tanzen die Elfen auf grünem Land, pse_264.013 Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand. pse_264.014 Nun folgt der sich steigernde Dialog zwischen beiden als pse_264.015 Höhepunkt. Dann kommt allerdings eine leichte Verknüpfung pse_264.016 der nächsten Szene: pse_264.017 Und als er kam vor Hauses Tür ... pse_264.018 Aber die letzte Szene steht wieder ganz für sich: pse_264.019 Früh morgen und als es Tag kaum war, pse_264.020 Da kam die Braut mit der Hochzeitschar. pse_264.021 Trotz dieser Sprunghaftigkeit ist das Ganze doch einheitlich pse_264.022 bewegt. Jede Szene ist so stimmungsvoll und enthält so viele pse_264.023 Bezüge zum Früheren oder Späteren, daß sofort aus dieser pse_264.024 Stimmung und aus den Erwartungen und Rückblicken ein pse_264.025 Zusammenhang entsteht, nicht rationaler Art, sondern durch pse_264.026 Gehalt und Stimmung der einzelnen Szenen. Die durchgehende pse_264.027 Bewegung ist also nicht ruhig fließend, sondern pse_264.028 heftig bewegt, ein ständiges Auf und Ab. pse_264.029 So bildet sich eine deutliche rhythmische Bewegung des pse_264.030 Ganzen. Sie zeigt dieselbe Art wie im Sprachrhythmus. Aber pse_264.031 der Rhythmus des ganzen Gedichts ist umfassender, er umgreift pse_264.032 außer der sprachlichen Struktur die Aufeinanderfolge pse_264.033 der Glieder, ihre Länge, das Tempo, Sprunghaftigkeit oder pse_264.034 leise Übergänge, starke Herausgehobenheit der Glieder durch pse_264.035 Sinn und Stimmung. Dabei entsteht eine bestimmte Spannung

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/280>, abgerufen am 25.11.2024.