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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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auswirken. Wir greifen als wesentliche heraus: die durchgehende pse_263.002
Bewegung, das System der verschiedenen Wiederholungen, pse_263.003
die Ausgewogenheit der Glieder, endlich Raum pse_263.004
und Rahmung.

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1. Die durchgehende Bewegung schafft im zeitlichen Ablauf pse_263.006
des dichterischen Kunstwerks die Einheit. An sich ist die pse_263.007
innere und dann in der Form gestaltete Bewegung in allen pse_263.008
Künsten eine der stärksten Kräfte, die aus dem Innersten pse_263.009
kommen. Wie mannigfach diese Bewegung sein kann, zeigen pse_263.010
die beiden großen Werke der deutschen Musik: Bachs Matthäuspassion pse_263.011
und Wagners "Tristan". Auch in der Dichtung pse_263.012
kann man gerade an der Verschiedenheit der Bewegung stiltypologische pse_263.013
Unterscheidungen anknüpfen. In der Dichtung pse_263.014
kommt nun zu der aus der Seele des Schöpfers als eines Menschen pse_263.015
erwachsenden Bewegung noch die durch das Wesen pse_263.016
der Sprache gegebene. Das in den Sprachkunstwerken eingeformte pse_263.017
Zeiterlebnis hängt damit zusammen. Die durchgehende pse_263.018
Bewegung durch eine Dichtung hat verschiedene pse_263.019
Verlaufsarten. Viele Erzählungen sind in ihrem Ablauflückenlos. pse_263.020
Das heißt: ein Glied ist ans andere sinnvoll angeknüpft; pse_263.021
so entsteht eine streng logische Reihe, die pausenlos abläuft. pse_263.022
Dieser Ablauf muß nicht rational durchdacht sein, er kann pse_263.023
auch stimmungshaft fließen und dabei dieselbe Lückenlosigkeit pse_263.024
aufweisen. Homers Epik zeigt das besonders. Man beobachte, pse_263.025
wie die Glieder vom kleinsten, vom einzelnen sprachlichen pse_263.026
Bild an, bis zu den größten durch eine Fülle von Bindewörtern pse_263.027
aneinandergefügt sind, eine Fülle, die kaum jemals in pse_263.028
der Übersetzung wiedergegeben werden kann. Kein Glied pse_263.029
hängt so in der Luft, jedes ist in seinem Stellenwert genau bestimmt. pse_263.030
Ähnliche Lückenlosigkeit zeigt auch der Barockroman, pse_263.031
wo gerade die rationale Verknüpftheit besonders deutlich ist. pse_263.032
Auch die Lyrik kann diese Form zeigen. Schillers Gedankenlyrik pse_263.033
formt den unaufhörlichen Fluß nicht nur durch den weitschwingenden, pse_263.034
mächtig tragenden Rhythmus, sondern auch pse_263.035
durch den streng durchdachten Ablauf der Bilder. Ganz pse_263.036
anders ist die durchgehende Bewegung, wenn Glieder stark pse_263.037
für sich herausgestellt sind, wenn zwischen ihnen gleichsam pse_263.038
ein Raum ausgespart wird. Der Aufbau wird sprunghaft.

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Ähnliche Lückenlosigkeit zeigt auch der Barockroman, pse_263.031
wo gerade die rationale Verknüpftheit besonders deutlich ist. pse_263.032
Auch die Lyrik kann diese Form zeigen. Schillers Gedankenlyrik pse_263.033
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mächtig tragenden Rhythmus, sondern auch pse_263.035
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/279>, abgerufen am 25.11.2024.