pse_261.001 wenn man schon in diesen Trümmern die kunstvolle pse_261.002 Fügung erkennt. Die Bilder- und Stimmungsfolge des schon pse_261.003 oft herangezogenen "Über allen Gipfeln" zeigt diese Kunst pse_261.004 schon in 8 Versen: Vom Weiten der Landschaft über die pse_261.005 Wipfel des Waldes in dessen Inneres zu den Vögeln und endlich pse_261.006 in die Seele hinein, und von hier aus der sehnsuchtsvolle pse_261.007 Blick ins Kommende. Man spricht heute gern vom pse_261.008 Funktionalismus und meint damit die Tatsache, daß jeder pse_261.009 einzelne Teil einen Sinn, eine Aufgabe im Aufbau hat. Nur pse_261.010 darf man nicht vergessen, daß reiner Funktionalismus zu pse_261.011 ödem Mechanismus werden kann, wenn es nur mehr auf pse_261.012 diese Funktion ankommt und nicht auch auf den inneren pse_261.013 Gehalt der Teile selbst. "Die Vögelein ruhen im Walde" hat pse_261.014 nicht nur eine -- und zwar sehr einprägsame -- Funktion im pse_261.015 Ganzen des Gedichts, sondern ist an sich schon ein schönes pse_261.016 sprachliches Bild, das erfreut. Übrigens ist der Funktionalismus pse_261.017 keine moderne Entdeckung oder Forderung; schon Lessing pse_261.018 kennt ihn in Theorie und Praxis; man könnte seine Forderungen pse_261.019 so formulieren: jeder Teil hat eine Funktion zu pse_261.020 erfüllen; aber diese Erfüllung hat verdeckt zu geschehen; pse_261.021 jedes Glied hat womöglich mehrere Funktionen zu erfüllen. pse_261.022 Es ist selbstverständlich, daß Glieder selbst wieder gefügt pse_261.023 sind.
pse_261.024 Der Aufbau
pse_261.025 Bei der Betrachtung des Aufbaus einer Dichtung legen wir pse_261.026 zwei Gesichtspunkte an: wir prüfen zuerst die Möglichkeiten, pse_261.027 wie die einzelnen Glieder zur Ganzheit gebunden werden, pse_261.028 die Bindung, dann die Tatsachen, die eine Lockerung, ja pse_261.029 ein Zerreißen dieser Ganzheit herbeiführen können, die wir pse_261.030 mit Gespanntheit zusammenfassen.
pse_261.031 Bindung
pse_261.032 Die Bindung zur Ganzheit eines dichterischen Kunstwerks pse_261.033 kann verschieden sein: locker oder fest, geflochten oder gereiht. pse_261.034 Schon Schiller wußte um das erste Gegensatzpaar, wenn
pse_261.001 wenn man schon in diesen Trümmern die kunstvolle pse_261.002 Fügung erkennt. Die Bilder- und Stimmungsfolge des schon pse_261.003 oft herangezogenen »Über allen Gipfeln« zeigt diese Kunst pse_261.004 schon in 8 Versen: Vom Weiten der Landschaft über die pse_261.005 Wipfel des Waldes in dessen Inneres zu den Vögeln und endlich pse_261.006 in die Seele hinein, und von hier aus der sehnsuchtsvolle pse_261.007 Blick ins Kommende. Man spricht heute gern vom pse_261.008 Funktionalismus und meint damit die Tatsache, daß jeder pse_261.009 einzelne Teil einen Sinn, eine Aufgabe im Aufbau hat. Nur pse_261.010 darf man nicht vergessen, daß reiner Funktionalismus zu pse_261.011 ödem Mechanismus werden kann, wenn es nur mehr auf pse_261.012 diese Funktion ankommt und nicht auch auf den inneren pse_261.013 Gehalt der Teile selbst. »Die Vögelein ruhen im Walde« hat pse_261.014 nicht nur eine — und zwar sehr einprägsame — Funktion im pse_261.015 Ganzen des Gedichts, sondern ist an sich schon ein schönes pse_261.016 sprachliches Bild, das erfreut. Übrigens ist der Funktionalismus pse_261.017 keine moderne Entdeckung oder Forderung; schon Lessing pse_261.018 kennt ihn in Theorie und Praxis; man könnte seine Forderungen pse_261.019 so formulieren: jeder Teil hat eine Funktion zu pse_261.020 erfüllen; aber diese Erfüllung hat verdeckt zu geschehen; pse_261.021 jedes Glied hat womöglich mehrere Funktionen zu erfüllen. pse_261.022 Es ist selbstverständlich, daß Glieder selbst wieder gefügt pse_261.023 sind.
pse_261.024 Der Aufbau
pse_261.025 Bei der Betrachtung des Aufbaus einer Dichtung legen wir pse_261.026 zwei Gesichtspunkte an: wir prüfen zuerst die Möglichkeiten, pse_261.027 wie die einzelnen Glieder zur Ganzheit gebunden werden, pse_261.028 die Bindung, dann die Tatsachen, die eine Lockerung, ja pse_261.029 ein Zerreißen dieser Ganzheit herbeiführen können, die wir pse_261.030 mit Gespanntheit zusammenfassen.
pse_261.031 Bindung
pse_261.032 Die Bindung zur Ganzheit eines dichterischen Kunstwerks pse_261.033 kann verschieden sein: locker oder fest, geflochten oder gereiht. pse_261.034 Schon Schiller wußte um das erste Gegensatzpaar, wenn
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oft herangezogenen »Über allen Gipfeln« zeigt diese Kunst pse_261.004
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Wipfel des Waldes in dessen Inneres zu den Vögeln und endlich pse_261.006
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Funktionalismus und meint damit die Tatsache, daß jeder pse_261.009
einzelne Teil einen Sinn, eine Aufgabe im Aufbau hat. Nur pse_261.010
darf man nicht vergessen, daß reiner Funktionalismus zu pse_261.011
ödem Mechanismus werden kann, wenn es nur mehr auf pse_261.012
diese Funktion ankommt und nicht auch auf den inneren pse_261.013
Gehalt der Teile selbst. »Die Vögelein ruhen im Walde« hat pse_261.014
nicht nur eine — und zwar sehr einprägsame — Funktion im pse_261.015
Ganzen des Gedichts, sondern ist an sich schon ein schönes pse_261.016
sprachliches Bild, das erfreut. Übrigens ist der Funktionalismus pse_261.017
keine moderne Entdeckung oder Forderung; schon Lessing pse_261.018
kennt ihn in Theorie und Praxis; man könnte seine Forderungen pse_261.019
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jedes Glied hat womöglich mehrere Funktionen zu erfüllen. pse_261.022
Es ist selbstverständlich, daß Glieder selbst wieder gefügt pse_261.023
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Der Aufbau pse_261.025
Bei der Betrachtung des Aufbaus einer Dichtung legen wir pse_261.026
zwei Gesichtspunkte an: wir prüfen zuerst die Möglichkeiten, pse_261.027
wie die einzelnen Glieder zur Ganzheit gebunden werden, pse_261.028
die Bindung, dann die Tatsachen, die eine Lockerung, ja pse_261.029
ein Zerreißen dieser Ganzheit herbeiführen können, die wir pse_261.030
mit Gespanntheit zusammenfassen.
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Die Bindung zur Ganzheit eines dichterischen Kunstwerks pse_261.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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