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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Drängen und Ineinanderwogen, allso daß leise huschend pse_249.002
da und dort schäumige Wirbel dahinglitten sein, schnell, pse_249.003
schnell, als kuntens die dunkelen Ströme nit erwarten die pse_249.004
frohe Botschaft in die Mark zu tragen: Er ist nah! Wachet pse_249.005
auf!" Gegenüber unserer heutigen Sprache fallen auf: leichte pse_249.006
Umformungen des Lautungscharakters (die nicht einmal pse_249.007
historisch "echt" sein müssen), schlichte Gliederung, noch pse_249.008
keine feste Reihungsstruktur. So gestaltet der Dichter hier pse_249.009
nicht dieselbe Welt wie in der modernen Hochsprache, aber pse_249.010
es ist eine künstlerisch vollendete, geschlossene Sprachwelt. pse_249.011
Es öffnet sich eine Stilwelt der Vertraulichkeit, die zivilisierte pse_249.012
Haltung fällt weg, dagegen werden so alte aufgedeckt: pse_249.013
urtümliche Lebensverbundenheit, gefühlsverhangene Beziehung pse_249.014
zur Umwelt, echtes Stehn von Mensch zu Mensch.

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Der Dichter bemüht sich hier also, einen bestimmten, zeitlich pse_249.016
umgrenzbaren Stil für die Gestaltung einer persönlichen pse_249.017
Lebenserfahrung einzusetzen. Wir stoßen damit auf die Frage pse_249.018
nach dem Verhältnis von Persönlichkeitsstil und Epochenstil.

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Wir meinen damit zwei Arten stilhafter Sprachgestaltung, pse_249.020
die einander bis zu einem gewissen Grade gegenüberstehen. pse_249.021
Im Sprachkunstwerk ist nicht bloß ein Gebilde an sich geschaffen, pse_249.022
sondern es erwächst zugleich aus einem menschlichen pse_249.023
Inneren, ist Ausdruck eines Menschen. Die stilhafte Prägung pse_249.024
ist Ausdruck einer Persönlichkeit. Auch Epochen haben einen pse_249.025
bestimmten Charakter, haben innerste Haltungen. Insofern pse_249.026
auch diese im Sprachstil geprägt werden, können wir von pse_249.027
Epochenstil sprechen. Der Stil des 17. Jahrhunderts hebt sich pse_249.028
doch deutlich von dem der jungen Generation um Goethe ab, pse_249.029
der der Aufklärungszeit vom Expressionismus. Aber damit pse_249.030
beginnen bereits Schwierigkeiten. Ist die Sprache in den pse_249.031
Sonetten des Gryphius Beleg für Persönlichkeits- oder Epochenstil? pse_249.032
Wie paßt die schwungvolle Sprache Klopstocks in pse_249.033
die Aufklärungszeit? Wir können nur allgemein feststellen: pse_249.034
Dichter können sich in ihrer Sprache nicht verleugnen, auch pse_249.035
wenn sie noch so unpersönlich-sachlich gestalten wollen wie pse_249.036
etwa Benn oder teilweise Kafka. Was ihre Sprachkunst pse_249.037
charakterisiert oder erkennbar macht, ist eben die Tatsache, pse_249.038
daß sie aus innerster Haltung heraus sprachlich schaffen. Sie

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Drängen und Ineinanderwogen, allso daß leise huschend pse_249.002
da und dort schäumige Wirbel dahinglitten sein, schnell, pse_249.003
schnell, als kuntens die dunkelen Ströme nit erwarten die pse_249.004
frohe Botschaft in die Mark zu tragen: Er ist nah! Wachet pse_249.005
auf!« Gegenüber unserer heutigen Sprache fallen auf: leichte pse_249.006
Umformungen des Lautungscharakters (die nicht einmal pse_249.007
historisch »echt« sein müssen), schlichte Gliederung, noch pse_249.008
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nicht dieselbe Welt wie in der modernen Hochsprache, aber pse_249.010
es ist eine künstlerisch vollendete, geschlossene Sprachwelt. pse_249.011
Es öffnet sich eine Stilwelt der Vertraulichkeit, die zivilisierte pse_249.012
Haltung fällt weg, dagegen werden so alte aufgedeckt: pse_249.013
urtümliche Lebensverbundenheit, gefühlsverhangene Beziehung pse_249.014
zur Umwelt, echtes Stehn von Mensch zu Mensch.

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Der Dichter bemüht sich hier also, einen bestimmten, zeitlich pse_249.016
umgrenzbaren Stil für die Gestaltung einer persönlichen pse_249.017
Lebenserfahrung einzusetzen. Wir stoßen damit auf die Frage pse_249.018
nach dem Verhältnis von Persönlichkeitsstil und Epochenstil.

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Wir meinen damit zwei Arten stilhafter Sprachgestaltung, pse_249.020
die einander bis zu einem gewissen Grade gegenüberstehen. pse_249.021
Im Sprachkunstwerk ist nicht bloß ein Gebilde an sich geschaffen, pse_249.022
sondern es erwächst zugleich aus einem menschlichen pse_249.023
Inneren, ist Ausdruck eines Menschen. Die stilhafte Prägung pse_249.024
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bestimmten Charakter, haben innerste Haltungen. Insofern pse_249.026
auch diese im Sprachstil geprägt werden, können wir von pse_249.027
Epochenstil sprechen. Der Stil des 17. Jahrhunderts hebt sich pse_249.028
doch deutlich von dem der jungen Generation um Goethe ab, pse_249.029
der der Aufklärungszeit vom Expressionismus. Aber damit pse_249.030
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Sonetten des Gryphius Beleg für Persönlichkeits- oder Epochenstil? pse_249.032
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die Aufklärungszeit? Wir können nur allgemein feststellen: pse_249.034
Dichter können sich in ihrer Sprache nicht verleugnen, auch pse_249.035
wenn sie noch so unpersönlich-sachlich gestalten wollen wie pse_249.036
etwa Benn oder teilweise Kafka. Was ihre Sprachkunst pse_249.037
charakterisiert oder erkennbar macht, ist eben die Tatsache, pse_249.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/265>, abgerufen am 22.11.2024.