pse_245.001 der sprachlichen Gestaltungen prägen sich eben die Geisteswelten, pse_245.002 so wie die Sprachen sind auch sie verschieden. Nur in pse_245.003 den äußersten Schichten des täglichen Verkehrs und der Zivilisation pse_245.004 besteht weitgehende Gleichheit. Aber je tiefer wir in pse_245.005 die Geisteswelten hineinschauen, je mehr wir die innersten pse_245.006 Antriebe, Erfassungsweisen und Haltungen betrachten, desto pse_245.007 mehr müssen wir erkennen, daß grundlegende Verschiedenheiten pse_245.008 bestehen. Das gilt daher am meisten für die Dichtungen, pse_245.009 die ja ganz aus diesen tiefsten Sprachprägungen leben. pse_245.010 Aber auch wenn wir aus diesen Tiefen nochmals an die sichtbareren pse_245.011 Bereiche emporsteigen, also zu den Gefühlen und pse_245.012 Stimmungen mehr oberflächlicher Art, sehen wir: je gefühlsbetonter pse_245.013 Sprachgebilde sind, desto schwerer sind sie zu übersetzen. pse_245.014 Denn auch die oberflächlichsten Gefühle noch sind pse_245.015 Ausstrahlungen aus jenen Tiefen, in denen sich die Haltung pse_245.016 bildet, die in der Sprachgestalt gebunden wird. Selbstverständlich pse_245.017 sind diese Unterschiede um so größer, je verschiedener pse_245.018 und fremder sich die Sprachen sind, während sie bei pse_245.019 nahverwandten eher überbrückt werden können. Die Unterschiede pse_245.020 der sprachlichen Weltbildgestaltung lassen sich in pse_245.021 bezug auf den dichterischen Sprachstil noch genauer bestimmen. pse_245.022 Nicht nur der Gehalt bestimmter, scheinbar ähnlicher pse_245.023 Worte ist verschieden, es gibt ja auch unübersetzbare Worte, pse_245.024 d. h. der Erfahrungsbereich oder die Erlebnisweise, in der er pse_245.025 sprachlich umgrenzt wird, oder beides ist in beiden Sprachen pse_245.026 verschieden. Man denke an "Gemüt", esprit, spleen usw. Auch pse_245.027 die scheinbar gleichen Formen in verschiedenen Sprachen pse_245.028 können stilhaft verschieden sein. Der etwa bei Trakl häufige pse_245.029 Einsatz von Formen wie "Abgelebtes" erinnert an das Slawische. pse_245.030 Aber im Deutschen sind solche Formen fremder, pse_245.031 daher weniger konventionalisiert, aber auch weniger eigengeartet. pse_245.032 Rilkes Ausdrücke wie "Das Blühen" erinnern an pse_245.033 Romanisches, sind im Deutschen weniger üblich, wirken daher pse_245.034 anders als in den romanischen Sprachen. Die Partizipia pse_245.035 des Präsens (gehend, singend) wirken im Deutschen eher pse_245.036 steif, im Englischen durchaus leichter. Sie haben also verschiedene pse_245.037 Stilwerte in beiden Sprachen. Auch die Schönheitsideale pse_245.038 sprachkünstlerischer Gestaltung sind in den nahverwandten
pse_245.001 der sprachlichen Gestaltungen prägen sich eben die Geisteswelten, pse_245.002 so wie die Sprachen sind auch sie verschieden. Nur in pse_245.003 den äußersten Schichten des täglichen Verkehrs und der Zivilisation pse_245.004 besteht weitgehende Gleichheit. Aber je tiefer wir in pse_245.005 die Geisteswelten hineinschauen, je mehr wir die innersten pse_245.006 Antriebe, Erfassungsweisen und Haltungen betrachten, desto pse_245.007 mehr müssen wir erkennen, daß grundlegende Verschiedenheiten pse_245.008 bestehen. Das gilt daher am meisten für die Dichtungen, pse_245.009 die ja ganz aus diesen tiefsten Sprachprägungen leben. pse_245.010 Aber auch wenn wir aus diesen Tiefen nochmals an die sichtbareren pse_245.011 Bereiche emporsteigen, also zu den Gefühlen und pse_245.012 Stimmungen mehr oberflächlicher Art, sehen wir: je gefühlsbetonter pse_245.013 Sprachgebilde sind, desto schwerer sind sie zu übersetzen. pse_245.014 Denn auch die oberflächlichsten Gefühle noch sind pse_245.015 Ausstrahlungen aus jenen Tiefen, in denen sich die Haltung pse_245.016 bildet, die in der Sprachgestalt gebunden wird. Selbstverständlich pse_245.017 sind diese Unterschiede um so größer, je verschiedener pse_245.018 und fremder sich die Sprachen sind, während sie bei pse_245.019 nahverwandten eher überbrückt werden können. Die Unterschiede pse_245.020 der sprachlichen Weltbildgestaltung lassen sich in pse_245.021 bezug auf den dichterischen Sprachstil noch genauer bestimmen. pse_245.022 Nicht nur der Gehalt bestimmter, scheinbar ähnlicher pse_245.023 Worte ist verschieden, es gibt ja auch unübersetzbare Worte, pse_245.024 d. h. der Erfahrungsbereich oder die Erlebnisweise, in der er pse_245.025 sprachlich umgrenzt wird, oder beides ist in beiden Sprachen pse_245.026 verschieden. Man denke an »Gemüt«, esprit, spleen usw. Auch pse_245.027 die scheinbar gleichen Formen in verschiedenen Sprachen pse_245.028 können stilhaft verschieden sein. Der etwa bei Trakl häufige pse_245.029 Einsatz von Formen wie »Abgelebtes« erinnert an das Slawische. pse_245.030 Aber im Deutschen sind solche Formen fremder, pse_245.031 daher weniger konventionalisiert, aber auch weniger eigengeartet. pse_245.032 Rilkes Ausdrücke wie »Das Blühen« erinnern an pse_245.033 Romanisches, sind im Deutschen weniger üblich, wirken daher pse_245.034 anders als in den romanischen Sprachen. Die Partizipia pse_245.035 des Präsens (gehend, singend) wirken im Deutschen eher pse_245.036 steif, im Englischen durchaus leichter. Sie haben also verschiedene pse_245.037 Stilwerte in beiden Sprachen. Auch die Schönheitsideale pse_245.038 sprachkünstlerischer Gestaltung sind in den nahverwandten
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die Geisteswelten hineinschauen, je mehr wir die innersten pse_245.006
Antriebe, Erfassungsweisen und Haltungen betrachten, desto pse_245.007
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Aber auch wenn wir aus diesen Tiefen nochmals an die sichtbareren pse_245.011
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bezug auf den dichterischen Sprachstil noch genauer bestimmen. pse_245.022
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Einsatz von Formen wie »Abgelebtes« erinnert an das Slawische. pse_245.030
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sprachkünstlerischer Gestaltung sind in den nahverwandten
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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