pse_234.001 Strophe wirken sprachliche Bilder und eine bestimmte Satzdynamik pse_234.002 zusammen. Dem über drei Verse ausgespannten pse_234.003 Wenn-Satz, der an sich immer anspannend wirkt, folgt pse_234.004 scharf ein knapper Hauptsatz: im fallenden Rhythmus stumpf pse_234.005 schließend. Diese klare und angespannte Satzbewegung zerfließt pse_234.006 in den zwei nächsten Strophen, sie löst sich auf. In den pse_234.007 sprachlichen Bildern fällt die Wiederholung des Wortes pse_234.008 "Traum" an Versanfängen auf; das wiederholt sich in der pse_234.009 dritten Strophe, diese Aufdringlichkeit bekommt den Charakter pse_234.010 eines leise verhaltenen Ausrufs, zuerst kaum angedeutet in pse_234.011 der zweiten Strophe, deutlicher in der dritten mit dem Wort pse_234.012 "Wahn". So erhält das Gedicht einen stilhaften Ablauf: aus pse_234.013 dem scharf gespannten Satzbau des Anfangs wird ein Auflösen pse_234.014 der klaren Satzbewegung, aber im selben Grad ringt sich pse_234.015 ein Ausruf leise durch, ein menschliches Inneres wird vernehmbar. pse_234.016 Das Ganze aber ist von sprachlichen Bildern durchzogen pse_234.017 und erhält dadurch Geschlossenheit. Aber auch durch pse_234.018 die Tatsache, daß der Schlußvers die Form des Anfangsverses pse_234.019 hat, schließt er nur ab und spannt nicht an. Stimmung und pse_234.020 Geschlossenheit werden nun im Aufbau der sprachlichen pse_234.021 Bilder besonders eindringlich. Die Eindruckswörter fehlen pse_234.022 ganz, Gegenstands- und Vorgangswörter bestimmen das Gedicht. pse_234.023 Es wird also nichts ausgemalt, keine persönliche Stellungnahme pse_234.024 zur Welt gestaltet. Von den fünf Vorgangswörtern pse_234.025 heißen vier: verrinnen, fallen, hinblättern, vergehen. pse_234.026 Ein Lebensvorgang ist also nur angedeutet, aber in der Stimmung pse_234.027 eindringlich: das Vergehen. Die Gegenstandswörter pse_234.028 nun wiederholen sich in bestimmter Weise immer wieder: pse_234.029 Rosen, Traum, Stunden, Wahn vor allem. Sie geleiten eine pse_234.030 eigenartige Stimmung durchs Gedicht. Denn mit Ausnahme pse_234.031 von Rosen, Strauch und Stunden fehlt den Gegenstandswörtern pse_234.032 ein klar umrissener Gehalt: Entblättern, Traum, pse_234.033 Dauer, Wechsel, Wahn, Steigen, Fallen, Schweigen haben pse_234.034 etwas Weites, dessen Grenzen nicht scharf ziehbar sind. Dazu pse_234.035 kommt die große Zahl der substantivierten Infinitive, allein pse_234.036 vier in der letzten Strophe: in ihnen verbindet sich mit dem pse_234.037 Umgrenzungscharakter des eigentlichen Gegenstandswortes pse_234.038 der Vorgangscharakter des Verbums, also wieder eine Art
pse_234.001 Strophe wirken sprachliche Bilder und eine bestimmte Satzdynamik pse_234.002 zusammen. Dem über drei Verse ausgespannten pse_234.003 Wenn-Satz, der an sich immer anspannend wirkt, folgt pse_234.004 scharf ein knapper Hauptsatz: im fallenden Rhythmus stumpf pse_234.005 schließend. Diese klare und angespannte Satzbewegung zerfließt pse_234.006 in den zwei nächsten Strophen, sie löst sich auf. In den pse_234.007 sprachlichen Bildern fällt die Wiederholung des Wortes pse_234.008 »Traum« an Versanfängen auf; das wiederholt sich in der pse_234.009 dritten Strophe, diese Aufdringlichkeit bekommt den Charakter pse_234.010 eines leise verhaltenen Ausrufs, zuerst kaum angedeutet in pse_234.011 der zweiten Strophe, deutlicher in der dritten mit dem Wort pse_234.012 »Wahn«. So erhält das Gedicht einen stilhaften Ablauf: aus pse_234.013 dem scharf gespannten Satzbau des Anfangs wird ein Auflösen pse_234.014 der klaren Satzbewegung, aber im selben Grad ringt sich pse_234.015 ein Ausruf leise durch, ein menschliches Inneres wird vernehmbar. pse_234.016 Das Ganze aber ist von sprachlichen Bildern durchzogen pse_234.017 und erhält dadurch Geschlossenheit. Aber auch durch pse_234.018 die Tatsache, daß der Schlußvers die Form des Anfangsverses pse_234.019 hat, schließt er nur ab und spannt nicht an. Stimmung und pse_234.020 Geschlossenheit werden nun im Aufbau der sprachlichen pse_234.021 Bilder besonders eindringlich. Die Eindruckswörter fehlen pse_234.022 ganz, Gegenstands- und Vorgangswörter bestimmen das Gedicht. pse_234.023 Es wird also nichts ausgemalt, keine persönliche Stellungnahme pse_234.024 zur Welt gestaltet. Von den fünf Vorgangswörtern pse_234.025 heißen vier: verrinnen, fallen, hinblättern, vergehen. pse_234.026 Ein Lebensvorgang ist also nur angedeutet, aber in der Stimmung pse_234.027 eindringlich: das Vergehen. Die Gegenstandswörter pse_234.028 nun wiederholen sich in bestimmter Weise immer wieder: pse_234.029 Rosen, Traum, Stunden, Wahn vor allem. Sie geleiten eine pse_234.030 eigenartige Stimmung durchs Gedicht. Denn mit Ausnahme pse_234.031 von Rosen, Strauch und Stunden fehlt den Gegenstandswörtern pse_234.032 ein klar umrissener Gehalt: Entblättern, Traum, pse_234.033 Dauer, Wechsel, Wahn, Steigen, Fallen, Schweigen haben pse_234.034 etwas Weites, dessen Grenzen nicht scharf ziehbar sind. Dazu pse_234.035 kommt die große Zahl der substantivierten Infinitive, allein pse_234.036 vier in der letzten Strophe: in ihnen verbindet sich mit dem pse_234.037 Umgrenzungscharakter des eigentlichen Gegenstandswortes pse_234.038 der Vorgangscharakter des Verbums, also wieder eine Art
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0250"n="234"/><lbn="pse_234.001"/>
Strophe wirken sprachliche Bilder und eine bestimmte Satzdynamik <lbn="pse_234.002"/>
zusammen. Dem über drei Verse ausgespannten <lbn="pse_234.003"/>
Wenn-Satz, der an sich immer anspannend wirkt, folgt <lbn="pse_234.004"/>
scharf ein knapper Hauptsatz: im fallenden Rhythmus stumpf <lbn="pse_234.005"/>
schließend. Diese klare und angespannte Satzbewegung zerfließt <lbn="pse_234.006"/>
in den zwei nächsten Strophen, sie löst sich auf. In den <lbn="pse_234.007"/>
sprachlichen Bildern fällt die Wiederholung des Wortes <lbn="pse_234.008"/>
»Traum« an Versanfängen auf; das wiederholt sich in der <lbn="pse_234.009"/>
dritten Strophe, diese Aufdringlichkeit bekommt den Charakter <lbn="pse_234.010"/>
eines leise verhaltenen Ausrufs, zuerst kaum angedeutet in <lbn="pse_234.011"/>
der zweiten Strophe, deutlicher in der dritten mit dem Wort <lbn="pse_234.012"/>
»Wahn«. So erhält das Gedicht einen stilhaften Ablauf: aus <lbn="pse_234.013"/>
dem scharf gespannten Satzbau des Anfangs wird ein Auflösen <lbn="pse_234.014"/>
der klaren Satzbewegung, aber im selben Grad ringt sich <lbn="pse_234.015"/>
ein Ausruf leise durch, ein menschliches Inneres wird vernehmbar. <lbn="pse_234.016"/>
Das Ganze aber ist von sprachlichen Bildern durchzogen <lbn="pse_234.017"/>
und erhält dadurch Geschlossenheit. Aber auch durch <lbn="pse_234.018"/>
die Tatsache, daß der Schlußvers die Form des Anfangsverses <lbn="pse_234.019"/>
hat, schließt er nur ab und spannt nicht an. Stimmung und <lbn="pse_234.020"/>
Geschlossenheit werden nun im Aufbau der sprachlichen <lbn="pse_234.021"/>
Bilder besonders eindringlich. Die Eindruckswörter fehlen <lbn="pse_234.022"/>
ganz, Gegenstands- und Vorgangswörter bestimmen das Gedicht. <lbn="pse_234.023"/>
Es wird also nichts ausgemalt, keine persönliche Stellungnahme <lbn="pse_234.024"/>
zur Welt gestaltet. Von den fünf Vorgangswörtern <lbn="pse_234.025"/>
heißen vier: verrinnen, fallen, hinblättern, vergehen. <lbn="pse_234.026"/>
Ein Lebensvorgang ist also nur angedeutet, aber in der Stimmung <lbn="pse_234.027"/>
eindringlich: das Vergehen. Die Gegenstandswörter <lbn="pse_234.028"/>
nun wiederholen sich in bestimmter Weise immer wieder: <lbn="pse_234.029"/>
Rosen, Traum, Stunden, Wahn vor allem. Sie geleiten eine <lbn="pse_234.030"/>
eigenartige Stimmung durchs Gedicht. Denn mit Ausnahme <lbn="pse_234.031"/>
von Rosen, Strauch und Stunden fehlt den Gegenstandswörtern <lbn="pse_234.032"/>
ein klar umrissener Gehalt: Entblättern, Traum, <lbn="pse_234.033"/>
Dauer, Wechsel, Wahn, Steigen, Fallen, Schweigen haben <lbn="pse_234.034"/>
etwas Weites, dessen Grenzen nicht scharf ziehbar sind. Dazu <lbn="pse_234.035"/>
kommt die große Zahl der substantivierten Infinitive, allein <lbn="pse_234.036"/>
vier in der letzten Strophe: in ihnen verbindet sich mit dem <lbn="pse_234.037"/>
Umgrenzungscharakter des eigentlichen Gegenstandswortes <lbn="pse_234.038"/>
der Vorgangscharakter des Verbums, also wieder eine Art
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[234/0250]
pse_234.001
Strophe wirken sprachliche Bilder und eine bestimmte Satzdynamik pse_234.002
zusammen. Dem über drei Verse ausgespannten pse_234.003
Wenn-Satz, der an sich immer anspannend wirkt, folgt pse_234.004
scharf ein knapper Hauptsatz: im fallenden Rhythmus stumpf pse_234.005
schließend. Diese klare und angespannte Satzbewegung zerfließt pse_234.006
in den zwei nächsten Strophen, sie löst sich auf. In den pse_234.007
sprachlichen Bildern fällt die Wiederholung des Wortes pse_234.008
»Traum« an Versanfängen auf; das wiederholt sich in der pse_234.009
dritten Strophe, diese Aufdringlichkeit bekommt den Charakter pse_234.010
eines leise verhaltenen Ausrufs, zuerst kaum angedeutet in pse_234.011
der zweiten Strophe, deutlicher in der dritten mit dem Wort pse_234.012
»Wahn«. So erhält das Gedicht einen stilhaften Ablauf: aus pse_234.013
dem scharf gespannten Satzbau des Anfangs wird ein Auflösen pse_234.014
der klaren Satzbewegung, aber im selben Grad ringt sich pse_234.015
ein Ausruf leise durch, ein menschliches Inneres wird vernehmbar. pse_234.016
Das Ganze aber ist von sprachlichen Bildern durchzogen pse_234.017
und erhält dadurch Geschlossenheit. Aber auch durch pse_234.018
die Tatsache, daß der Schlußvers die Form des Anfangsverses pse_234.019
hat, schließt er nur ab und spannt nicht an. Stimmung und pse_234.020
Geschlossenheit werden nun im Aufbau der sprachlichen pse_234.021
Bilder besonders eindringlich. Die Eindruckswörter fehlen pse_234.022
ganz, Gegenstands- und Vorgangswörter bestimmen das Gedicht. pse_234.023
Es wird also nichts ausgemalt, keine persönliche Stellungnahme pse_234.024
zur Welt gestaltet. Von den fünf Vorgangswörtern pse_234.025
heißen vier: verrinnen, fallen, hinblättern, vergehen. pse_234.026
Ein Lebensvorgang ist also nur angedeutet, aber in der Stimmung pse_234.027
eindringlich: das Vergehen. Die Gegenstandswörter pse_234.028
nun wiederholen sich in bestimmter Weise immer wieder: pse_234.029
Rosen, Traum, Stunden, Wahn vor allem. Sie geleiten eine pse_234.030
eigenartige Stimmung durchs Gedicht. Denn mit Ausnahme pse_234.031
von Rosen, Strauch und Stunden fehlt den Gegenstandswörtern pse_234.032
ein klar umrissener Gehalt: Entblättern, Traum, pse_234.033
Dauer, Wechsel, Wahn, Steigen, Fallen, Schweigen haben pse_234.034
etwas Weites, dessen Grenzen nicht scharf ziehbar sind. Dazu pse_234.035
kommt die große Zahl der substantivierten Infinitive, allein pse_234.036
vier in der letzten Strophe: in ihnen verbindet sich mit dem pse_234.037
Umgrenzungscharakter des eigentlichen Gegenstandswortes pse_234.038
der Vorgangscharakter des Verbums, also wieder eine Art
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/250>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.