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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Wenn eine oder mehrere Stilkräfte in dichter Folge sich pse_230.002
drängen, so entsteht der dichte Stil: beim jungen Goethe und pse_230.003
Schiller, bei Hölderlin, bei Broch. Auch da kann es besondere pse_230.004
Ausprägungen geben: breite Fülle, wie sie etwa im "Wallenstein" pse_230.005
oder in der "Iphigenie" wirkt, oder Aneinanderstoßen pse_230.006
harter und starker Gipfel wie bei Kleist oder den Expressionisten. pse_230.007
Im flachen Stil gibt es kein Drängen der Bilder, keine pse_230.008
Gefühlshitze; Anruf und Ausruf treten zurück. Große Beispiele pse_230.009
sind Lessings Ringparabel oder Stifter. Wie auch die folgenden pse_230.010
kann jede dieser Stilarten wertvoll sein, aber durch Übersteigerung pse_230.011
der Merkmale in den Bereich des Unwerts geraten.

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Die zweite Frage geht nach den Grundeinstellungen, die in pse_230.013
der sprachlichen Welterfassung entscheidend sind. Da gibt es pse_230.014
zwei Gegensatzpaare. 1. Die Welterfassung geschieht entweder pse_230.015
im unmittelbaren Begegnen mit dem Gegenüber in pse_230.016
immer neuen dichten Griffen oder aus einer dauernden pse_230.017
geistigen Haltung heraus: unmittelbarer oder enthobener Stil. pse_230.018
Wir haben bei der Reihung auf diese beiden Typen schon hingewiesen pse_230.019
und Beispiele gebracht: Kleist und Hölderlin auf der pse_230.020
einen, Goethes Altersdichtung auf der anderen Seite. 2. Die pse_230.021
Welterfassung geschieht aus einem noch undifferenzierten, pse_230.022
einheitlichen, großzügigen Gefühlsleben oder aus einem pse_230.023
differenzierten, mannigfaltigen: schlichter und entfalteter Stil. pse_230.024
Der schlichte Stil ist einfach, seine Worte haben einen weiten pse_230.025
Gefühlsbereich, die Wortfügung ist klar, der Rhythmus weit. pse_230.026
Die sprachlichen Bilder berühren einfache Menschen und alte pse_230.027
Schichten im Innern des Menschen. Das schönste Beispiel ist pse_230.028
die Erzählweise der Grimmschen Märchen. Der entfaltete Stil pse_230.029
ist reich gegliedert. Die Worte haben einen engen Gehalt, zumindest pse_230.030
im konkreten Zusammenhang, die sprachlichen Bilder pse_230.031
berühren hochgezüchtete Gemüter. Das reicht von der pse_230.032
Eigenart G. Kellers bis zu den modernen Romanschriftstellern, pse_230.033
die in immer neuen Ausdifferenzierungen das Innere pse_230.034
der Menschen bis in seine tiefsten Schichten vor uns ausbreiten: pse_230.035
Th. Mann, Proust, Musil, Virginia Woolf.

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Die dritte Frage ermöglicht drei Typenpaare. Sie geht auf pse_230.037
die grundlegenden Gemütshaltungen, die auch in sprachlicher pse_230.038
Gebildehaftigkeit festlegbar sind. 1. Einer harmonischen

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Wenn eine oder mehrere Stilkräfte in dichter Folge sich pse_230.002
drängen, so entsteht der dichte Stil: beim jungen Goethe und pse_230.003
Schiller, bei Hölderlin, bei Broch. Auch da kann es besondere pse_230.004
Ausprägungen geben: breite Fülle, wie sie etwa im »Wallenstein« pse_230.005
oder in der »Iphigenie« wirkt, oder Aneinanderstoßen pse_230.006
harter und starker Gipfel wie bei Kleist oder den Expressionisten. pse_230.007
Im flachen Stil gibt es kein Drängen der Bilder, keine pse_230.008
Gefühlshitze; Anruf und Ausruf treten zurück. Große Beispiele pse_230.009
sind Lessings Ringparabel oder Stifter. Wie auch die folgenden pse_230.010
kann jede dieser Stilarten wertvoll sein, aber durch Übersteigerung pse_230.011
der Merkmale in den Bereich des Unwerts geraten.

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Die zweite Frage geht nach den Grundeinstellungen, die in pse_230.013
der sprachlichen Welterfassung entscheidend sind. Da gibt es pse_230.014
zwei Gegensatzpaare. 1. Die Welterfassung geschieht entweder pse_230.015
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Wir haben bei der Reihung auf diese beiden Typen schon hingewiesen pse_230.019
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einen, Goethes Altersdichtung auf der anderen Seite. 2. Die pse_230.021
Welterfassung geschieht aus einem noch undifferenzierten, pse_230.022
einheitlichen, großzügigen Gefühlsleben oder aus einem pse_230.023
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Der schlichte Stil ist einfach, seine Worte haben einen weiten pse_230.025
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Schichten im Innern des Menschen. Das schönste Beispiel ist pse_230.028
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ist reich gegliedert. Die Worte haben einen engen Gehalt, zumindest pse_230.030
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berühren hochgezüchtete Gemüter. Das reicht von der pse_230.032
Eigenart G. Kellers bis zu den modernen Romanschriftstellern, pse_230.033
die in immer neuen Ausdifferenzierungen das Innere pse_230.034
der Menschen bis in seine tiefsten Schichten vor uns ausbreiten: pse_230.035
Th. Mann, Proust, Musil, Virginia Woolf.

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Die dritte Frage ermöglicht drei Typenpaare. Sie geht auf pse_230.037
die grundlegenden Gemütshaltungen, die auch in sprachlicher pse_230.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/246>, abgerufen am 23.11.2024.