pse_216.001 hinein immer wieder verwendet werden: Formeln der Bescheidenheit, pse_216.002 der Anrufung der Musen, des Schlusses, bestimmte pse_216.003 Vergleiche, etwa der Welt mit einem Buch usw. pse_216.004 Man bezeichnet solche inhaltlich geprägte Gebilde als topoi pse_216.005 (Einzahl: topos). Aber auch da genügt es nicht, sie einfach pse_216.006 festgestellt zu haben. Man muß, um dem Wert der Dichtung pse_216.007 gerecht zu werden, fragen, wie diese Topoi an der betreffenden pse_216.008 Stelle wirken, wie sie gerade hier wieder Leben gewinnen, pse_216.009 welchen Gehalt sie gerade an der bestimmten Stelle gestalten pse_216.010 helfen. Goethe beginnt den letzten Gesang von "Hermann und pse_216.011 Dorothea" mit folgenden Versen:
pse_216.012
Musen, die Ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt,pse_216.013 Auf dem Wege bisher den trefflichen Jüngling geleitet,pse_216.014 An die Brust ihm das Mädchen noch vor der Verlobungpse_216.015 gedrückt habt:pse_216.016 Helfet auch ferner den Bund des lieblichen Paares vollenden,pse_216.017 Teilet die Wolken sogleich, die über ihr Glück sichpse_216.018 heraufziehn!pse_216.019 Aber saget vor allem, was jetzt im Hause geschiehet.
pse_216.020
Also der Topos des Musenanrufs. Damit ist eine bestimmte, pse_216.021 tradierte Form festgestellt. Das Entscheidende aber ist, was pse_216.022 der Dichter gerade an dieser Stelle damit künstlerisch geleistet pse_216.023 hat. Der Anruf steht am Beginn des letzten Gesangs, nicht pse_216.024 am Beginn des Ganzen. Damit hebt er deutlich die Wichtigkeit pse_216.025 des Kommenden heraus und bereitet so den bedeutsamsten pse_216.026 und reichsten Gesang des Werkes vor. Zugleich vermag pse_216.027 er zusammenzufassen, was bisher geschehen, und das pse_216.028 wieder unter einem höheren Blickpunkt zu sehen. Endlich pse_216.029 wird die Feierlichkeit im letzten Vers beinahe ins Humorvolle pse_216.030 gewendet, und damit scheinen wirklich schon hier die drohenden pse_216.031 Wolken geteilt.
pse_216.032 Im Vergleich liegt eine Verbreiterung des sprachlichen Gestaltens pse_216.033 vor. Die Vergleichshaltung kann rational-wissenschaftlich pse_216.034 sein: Erfahrungsstücke werden infolge einer Ähnlichkeit pse_216.035 unter bestimmten Gesichtspunkten in Beziehung gesetzt. pse_216.036 Das aber trifft den künstlerischen Sinn des Vergleichs in pse_216.037 der Dichtung nicht. In der ästhetischen Vergleichshaltung pse_216.038 wird die Fülle eines Bereiches aus tiefer Seelenhaltung mit pse_216.039 einem anderen in Bezug gesetzt. Rationales kann mit
pse_216.001 hinein immer wieder verwendet werden: Formeln der Bescheidenheit, pse_216.002 der Anrufung der Musen, des Schlusses, bestimmte pse_216.003 Vergleiche, etwa der Welt mit einem Buch usw. pse_216.004 Man bezeichnet solche inhaltlich geprägte Gebilde als topoi pse_216.005 (Einzahl: topos). Aber auch da genügt es nicht, sie einfach pse_216.006 festgestellt zu haben. Man muß, um dem Wert der Dichtung pse_216.007 gerecht zu werden, fragen, wie diese Topoi an der betreffenden pse_216.008 Stelle wirken, wie sie gerade hier wieder Leben gewinnen, pse_216.009 welchen Gehalt sie gerade an der bestimmten Stelle gestalten pse_216.010 helfen. Goethe beginnt den letzten Gesang von »Hermann und pse_216.011 Dorothea« mit folgenden Versen:
pse_216.012
Musen, die Ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt,pse_216.013 Auf dem Wege bisher den trefflichen Jüngling geleitet,pse_216.014 An die Brust ihm das Mädchen noch vor der Verlobungpse_216.015 gedrückt habt:pse_216.016 Helfet auch ferner den Bund des lieblichen Paares vollenden,pse_216.017 Teilet die Wolken sogleich, die über ihr Glück sichpse_216.018 heraufziehn!pse_216.019 Aber saget vor allem, was jetzt im Hause geschiehet.
pse_216.020
Also der Topos des Musenanrufs. Damit ist eine bestimmte, pse_216.021 tradierte Form festgestellt. Das Entscheidende aber ist, was pse_216.022 der Dichter gerade an dieser Stelle damit künstlerisch geleistet pse_216.023 hat. Der Anruf steht am Beginn des letzten Gesangs, nicht pse_216.024 am Beginn des Ganzen. Damit hebt er deutlich die Wichtigkeit pse_216.025 des Kommenden heraus und bereitet so den bedeutsamsten pse_216.026 und reichsten Gesang des Werkes vor. Zugleich vermag pse_216.027 er zusammenzufassen, was bisher geschehen, und das pse_216.028 wieder unter einem höheren Blickpunkt zu sehen. Endlich pse_216.029 wird die Feierlichkeit im letzten Vers beinahe ins Humorvolle pse_216.030 gewendet, und damit scheinen wirklich schon hier die drohenden pse_216.031 Wolken geteilt.
pse_216.032 Im Vergleich liegt eine Verbreiterung des sprachlichen Gestaltens pse_216.033 vor. Die Vergleichshaltung kann rational-wissenschaftlich pse_216.034 sein: Erfahrungsstücke werden infolge einer Ähnlichkeit pse_216.035 unter bestimmten Gesichtspunkten in Beziehung gesetzt. pse_216.036 Das aber trifft den künstlerischen Sinn des Vergleichs in pse_216.037 der Dichtung nicht. In der ästhetischen Vergleichshaltung pse_216.038 wird die Fülle eines Bereiches aus tiefer Seelenhaltung mit pse_216.039 einem anderen in Bezug gesetzt. Rationales kann mit
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der Anrufung der Musen, des Schlusses, bestimmte pse_216.003
Vergleiche, etwa der Welt mit einem Buch usw. pse_216.004
Man bezeichnet solche inhaltlich geprägte Gebilde als topoi pse_216.005
(Einzahl: topos). Aber auch da genügt es nicht, sie einfach pse_216.006
festgestellt zu haben. Man muß, um dem Wert der Dichtung pse_216.007
gerecht zu werden, fragen, wie diese Topoi an der betreffenden pse_216.008
Stelle wirken, wie sie gerade hier wieder Leben gewinnen, pse_216.009
welchen Gehalt sie gerade an der bestimmten Stelle gestalten pse_216.010
helfen. Goethe beginnt den letzten Gesang von »Hermann und pse_216.011
Dorothea« mit folgenden Versen:
pse_216.012
Musen, die Ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt, pse_216.013
Auf dem Wege bisher den trefflichen Jüngling geleitet, pse_216.014
An die Brust ihm das Mädchen noch vor der Verlobung pse_216.015
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Helfet auch ferner den Bund des lieblichen Paares vollenden, pse_216.017
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heraufziehn! pse_216.019
Aber saget vor allem, was jetzt im Hause geschiehet.
pse_216.020
Also der Topos des Musenanrufs. Damit ist eine bestimmte, pse_216.021
tradierte Form festgestellt. Das Entscheidende aber ist, was pse_216.022
der Dichter gerade an dieser Stelle damit künstlerisch geleistet pse_216.023
hat. Der Anruf steht am Beginn des letzten Gesangs, nicht pse_216.024
am Beginn des Ganzen. Damit hebt er deutlich die Wichtigkeit pse_216.025
des Kommenden heraus und bereitet so den bedeutsamsten pse_216.026
und reichsten Gesang des Werkes vor. Zugleich vermag pse_216.027
er zusammenzufassen, was bisher geschehen, und das pse_216.028
wieder unter einem höheren Blickpunkt zu sehen. Endlich pse_216.029
wird die Feierlichkeit im letzten Vers beinahe ins Humorvolle pse_216.030
gewendet, und damit scheinen wirklich schon hier die drohenden pse_216.031
Wolken geteilt.
pse_216.032
Im Vergleich liegt eine Verbreiterung des sprachlichen Gestaltens pse_216.033
vor. Die Vergleichshaltung kann rational-wissenschaftlich pse_216.034
sein: Erfahrungsstücke werden infolge einer Ähnlichkeit pse_216.035
unter bestimmten Gesichtspunkten in Beziehung gesetzt. pse_216.036
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/232>, abgerufen am 24.11.2024.
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