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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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pse_190.001
Prinzip zu einer harmonischen Schmeidigung in pse_190.002
höchster Form drängt, führt das Prinzip der Hebung der pse_190.003
Sinnträger und damit die Möglichkeit der freien Senkungsfüllung pse_190.004
-- die Zahl der Senkungssilben ist nicht fest geregelt -- pse_190.005
zur Steigerung des sprachlichen Ausdrucks.

pse_190.006
Im Aufbau der metrisch gestalteten Gedichte bildet das pse_190.007
kleinste Glied der Takt: es ist die zeitlich gleiche Spanne von pse_190.008
Hebung zu Hebung. Daraus hat man die vier vorzüglichen pse_190.009
Taktarten herauskristallisiert: Trochäus (xx) und Jambus (xx) pse_190.010
mit einer Senkungssilbe, Daktylus (xxx) und Anapäst (xxx) pse_190.011
mit zweien. Neuerdings aber hat man erkannt, daß doch auch pse_190.012
eine andere Versgliederung durchklingt, die an zwei Versen pse_190.013
aus dem Parzenlied in der "Iphigenie" deutlich wird.

pse_190.014
Es fürchte die Götter das Menschengeschlecht; pse_190.015
sie halten die Herrschaft in ewigen Händen.
pse_190.016

Die taktmäßige Gliederung von Hebung zu Senkung wäre:

pse_190.017

   x / xxx / xxx / xxx / x / -- x / xxx / xxx / xxx / xx

pse_190.018

Sie kreuzt sich hier deutlich mit den Sinneinschnitten. Nach pse_190.019
diesen entsteht folgende Gliederung:

pse_190.020

   xxx / xxx / xxx / xx / -- xxx / xxx / xxxx / xx

pse_190.021

Man spürt ihr an, daß sie auch eine rhythmische Aussagekraft pse_190.022
hat. Man greift für diese Gliederung wieder auf den pse_190.023
Namen Versfuß zurück. Auf die mannigfachen Beziehungen pse_190.024
zwischen diesen beiden Prinzipien der Takt- und Versfußgliederung pse_190.025
können wir hier nicht eingehen. Aber man pse_190.026
erkennt, welche vielfältigen Möglichkeiten rhythmischer pse_190.027
Durchgliederung und rhythmischer Bewegung es gibt. Die pse_190.028
nächste Einheit ist der Vers. Die Metriker stellen fest, er bewege pse_190.029
sich in den Grenzen zwischen 2 und 16 Takten. Entscheidender pse_190.030
ist hier das Druckbild, weil es Willen und Gestaltungsgrundsatz pse_190.031
des Dichters zeigt. Ich verweise auf den pse_190.032
ersten Vers der Patmoshymne. Sobald allerdings ein metrisches pse_190.033
Schema zugrunde gelegt wird, prägt sich bald der Eindruck pse_190.034
einer bestimmten Länge ein, und nun wird der Vers selbst zum pse_190.035
festen Glied der gesamtrhythmischen Gestaltung. Die Länge pse_190.036
der Verse ist von bestimmter künstlerischer Wirkung. Man

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Prinzip zu einer harmonischen Schmeidigung in pse_190.002
höchster Form drängt, führt das Prinzip der Hebung der pse_190.003
Sinnträger und damit die Möglichkeit der freien Senkungsfüllung pse_190.004
— die Zahl der Senkungssilben ist nicht fest geregelt — pse_190.005
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pse_190.006
Im Aufbau der metrisch gestalteten Gedichte bildet das pse_190.007
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Hebung zu Hebung. Daraus hat man die vier vorzüglichen pse_190.009
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aus dem Parzenlied in der »Iphigenie« deutlich wird.

pse_190.014
Es fürchte die Götter das Menschengeschlecht; pse_190.015
sie halten die Herrschaft in ewigen Händen.
pse_190.016

Die taktmäßige Gliederung von Hebung zu Senkung wäre:

pse_190.017

   x / x́xx / x́xx / x́xx / x́ / — x / x́xx / x́xx / x́xx / x́x

pse_190.018

Sie kreuzt sich hier deutlich mit den Sinneinschnitten. Nach pse_190.019
diesen entsteht folgende Gliederung:

pse_190.020

   xx́x / xx́x / xx́x / xx́ / — xx́x / xx́x / xx́xx / x́x

pse_190.021

Man spürt ihr an, daß sie auch eine rhythmische Aussagekraft pse_190.022
hat. Man greift für diese Gliederung wieder auf den pse_190.023
Namen Versfuß zurück. Auf die mannigfachen Beziehungen pse_190.024
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Durchgliederung und rhythmischer Bewegung es gibt. Die pse_190.028
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[190/0206] pse_190.001 Prinzip zu einer harmonischen Schmeidigung in pse_190.002 höchster Form drängt, führt das Prinzip der Hebung der pse_190.003 Sinnträger und damit die Möglichkeit der freien Senkungsfüllung pse_190.004 — die Zahl der Senkungssilben ist nicht fest geregelt — pse_190.005 zur Steigerung des sprachlichen Ausdrucks. pse_190.006 Im Aufbau der metrisch gestalteten Gedichte bildet das pse_190.007 kleinste Glied der Takt: es ist die zeitlich gleiche Spanne von pse_190.008 Hebung zu Hebung. Daraus hat man die vier vorzüglichen pse_190.009 Taktarten herauskristallisiert: Trochäus (x́x) und Jambus (xx́) pse_190.010 mit einer Senkungssilbe, Daktylus (x́xx) und Anapäst (xxx́) pse_190.011 mit zweien. Neuerdings aber hat man erkannt, daß doch auch pse_190.012 eine andere Versgliederung durchklingt, die an zwei Versen pse_190.013 aus dem Parzenlied in der »Iphigenie« deutlich wird. pse_190.014 Es fürchte die Götter das Menschengeschlecht; pse_190.015 sie halten die Herrschaft in ewigen Händen. pse_190.016 Die taktmäßige Gliederung von Hebung zu Senkung wäre: pse_190.017 x / x́xx / x́xx / x́xx / x́ / — x / x́xx / x́xx / x́xx / x́x pse_190.018 Sie kreuzt sich hier deutlich mit den Sinneinschnitten. Nach pse_190.019 diesen entsteht folgende Gliederung: pse_190.020 xx́x / xx́x / xx́x / xx́ / — xx́x / xx́x / xx́xx / x́x pse_190.021 Man spürt ihr an, daß sie auch eine rhythmische Aussagekraft pse_190.022 hat. Man greift für diese Gliederung wieder auf den pse_190.023 Namen Versfuß zurück. Auf die mannigfachen Beziehungen pse_190.024 zwischen diesen beiden Prinzipien der Takt- und Versfußgliederung pse_190.025 können wir hier nicht eingehen. Aber man pse_190.026 erkennt, welche vielfältigen Möglichkeiten rhythmischer pse_190.027 Durchgliederung und rhythmischer Bewegung es gibt. Die pse_190.028 nächste Einheit ist der Vers. Die Metriker stellen fest, er bewege pse_190.029 sich in den Grenzen zwischen 2 und 16 Takten. Entscheidender pse_190.030 ist hier das Druckbild, weil es Willen und Gestaltungsgrundsatz pse_190.031 des Dichters zeigt. Ich verweise auf den pse_190.032 ersten Vers der Patmoshymne. Sobald allerdings ein metrisches pse_190.033 Schema zugrunde gelegt wird, prägt sich bald der Eindruck pse_190.034 einer bestimmten Länge ein, und nun wird der Vers selbst zum pse_190.035 festen Glied der gesamtrhythmischen Gestaltung. Die Länge pse_190.036 der Verse ist von bestimmter künstlerischer Wirkung. Man

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/206>, abgerufen am 23.11.2024.