pse_180.001 Daß gerade in das Lautungsmäßige der Sprache Gemüthaftes pse_180.002 einformbar ist, daß also hier besondere Stilmöglichkeiten pse_180.003 liegen, ist immer schon erkannt worden. Oft hat man pse_180.004 diese Seite am Stil sogar gegenüber den Möglichkeiten des pse_180.005 Gehalts und Sinnes überbetont. Es handelt sich aber bei diesem pse_180.006 Gemüthaften der Lautung nicht um Modifikationen an der pse_180.007 Lautung, die sich durch augenblickliche Gefühlslagen oder pse_180.008 -wallungen des Sprechers ergeben, sondern um die Frage: pse_180.009 wie wird auch in der Lautung eine innerste Haltung dauernd pse_180.010 gestaltet?
pse_180.011 Eine erste sprachkünstlerische Frage ist die Lautungssymbolik.pse_180.012 Wir fragen, ob im Wort als der Gestaltung eines Erfahrungsstückes, pse_180.013 also am Gehalt des Wortes auch dessen pse_180.014 Lautung einen sinn-errichtenden Anteil hat. Ernst Jünger pse_180.015 führt im "Lob der Vokale" folgende Verse an:
pse_180.016
Nulla unda
Deutsche Übersetzung:
Keine Quelle
Tam profunda
So tief und schnelle
Quam vis amoris
Als der Liebe
Furibunda.
Reißende Welle.
pse_180.020 Da wird in der Übersetzung nicht nur der Lautungseindruck pse_180.021 anders, sondern auch der Stimmungsgehalt. Also hat das pse_180.022 Lautliche hier an der Sinngestaltung einen Anteil. Freilich pse_180.023 muß man mit größter Vorsicht vorgehen, denn gerade da pse_180.024 sind der Willkür und subjektiven Phantasterei Tür und Tor pse_180.025 geöffnet.
pse_180.026 Aber der Zusammenhang von Laut und Sinn läßt sich pse_180.027 begründen: jeder Akt der sprachlichen Welterfassung erfolgt pse_180.028 aus einer bestimmten Grundeinstellung, von der auch die pse_180.029 Bewegungsreaktionen gesteuert werden; diese treten im pse_180.030 Laut in Erscheinung. Die Lautung ist also eine Reaktion auf pse_180.031 ein Gegenüber (deutlich im Schreckensruf), aber auch ein pse_180.032 Vernehmbarwerden des Gegenüber in einem Symbol, den pse_180.033 sogenannten Lautgebärden (wenn ein Kind auf einen Gegenstand pse_180.034 zeigt und ihn benennt). Also können auch in der Lautung pse_180.035 Gemütskräfte gestaltet werden. Aber im Lauf der Ökonomisierung pse_180.036 der Sprache werden diese Kräfte weitgehend pse_180.037 ausgeschaltet; um festzustellen, daß zweimal zwei vier ist,
pse_180.001 Daß gerade in das Lautungsmäßige der Sprache Gemüthaftes pse_180.002 einformbar ist, daß also hier besondere Stilmöglichkeiten pse_180.003 liegen, ist immer schon erkannt worden. Oft hat man pse_180.004 diese Seite am Stil sogar gegenüber den Möglichkeiten des pse_180.005 Gehalts und Sinnes überbetont. Es handelt sich aber bei diesem pse_180.006 Gemüthaften der Lautung nicht um Modifikationen an der pse_180.007 Lautung, die sich durch augenblickliche Gefühlslagen oder pse_180.008 -wallungen des Sprechers ergeben, sondern um die Frage: pse_180.009 wie wird auch in der Lautung eine innerste Haltung dauernd pse_180.010 gestaltet?
pse_180.011 Eine erste sprachkünstlerische Frage ist die Lautungssymbolik.pse_180.012 Wir fragen, ob im Wort als der Gestaltung eines Erfahrungsstückes, pse_180.013 also am Gehalt des Wortes auch dessen pse_180.014 Lautung einen sinn-errichtenden Anteil hat. Ernst Jünger pse_180.015 führt im »Lob der Vokale« folgende Verse an:
pse_180.016
Nulla unda
Deutsche Übersetzung:
Keine Quelle
Tam profunda
So tief und schnelle
Quam vis amoris
Als der Liebe
Furibunda.
Reißende Welle.
pse_180.020 Da wird in der Übersetzung nicht nur der Lautungseindruck pse_180.021 anders, sondern auch der Stimmungsgehalt. Also hat das pse_180.022 Lautliche hier an der Sinngestaltung einen Anteil. Freilich pse_180.023 muß man mit größter Vorsicht vorgehen, denn gerade da pse_180.024 sind der Willkür und subjektiven Phantasterei Tür und Tor pse_180.025 geöffnet.
pse_180.026 Aber der Zusammenhang von Laut und Sinn läßt sich pse_180.027 begründen: jeder Akt der sprachlichen Welterfassung erfolgt pse_180.028 aus einer bestimmten Grundeinstellung, von der auch die pse_180.029 Bewegungsreaktionen gesteuert werden; diese treten im pse_180.030 Laut in Erscheinung. Die Lautung ist also eine Reaktion auf pse_180.031 ein Gegenüber (deutlich im Schreckensruf), aber auch ein pse_180.032 Vernehmbarwerden des Gegenüber in einem Symbol, den pse_180.033 sogenannten Lautgebärden (wenn ein Kind auf einen Gegenstand pse_180.034 zeigt und ihn benennt). Also können auch in der Lautung pse_180.035 Gemütskräfte gestaltet werden. Aber im Lauf der Ökonomisierung pse_180.036 der Sprache werden diese Kräfte weitgehend pse_180.037 ausgeschaltet; um festzustellen, daß zweimal zwei vier ist,
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Daß gerade in das Lautungsmäßige der Sprache Gemüthaftes pse_180.002
einformbar ist, daß also hier besondere Stilmöglichkeiten pse_180.003
liegen, ist immer schon erkannt worden. Oft hat man pse_180.004
diese Seite am Stil sogar gegenüber den Möglichkeiten des pse_180.005
Gehalts und Sinnes überbetont. Es handelt sich aber bei diesem pse_180.006
Gemüthaften der Lautung nicht um Modifikationen an der pse_180.007
Lautung, die sich durch augenblickliche Gefühlslagen oder pse_180.008
-wallungen des Sprechers ergeben, sondern um die Frage: pse_180.009
wie wird auch in der Lautung eine innerste Haltung dauernd pse_180.010
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pse_180.011
Eine erste sprachkünstlerische Frage ist die Lautungssymbolik. pse_180.012
Wir fragen, ob im Wort als der Gestaltung eines Erfahrungsstückes, pse_180.013
also am Gehalt des Wortes auch dessen pse_180.014
Lautung einen sinn-errichtenden Anteil hat. Ernst Jünger pse_180.015
führt im »Lob der Vokale« folgende Verse an:
pse_180.016
Nulla unda Deutsche Übersetzung: Keine Quelle
Tam profunda So tief und schnelle
Quam vis amoris Als der Liebe
Furibunda. Reißende Welle.
pse_180.020
Da wird in der Übersetzung nicht nur der Lautungseindruck pse_180.021
anders, sondern auch der Stimmungsgehalt. Also hat das pse_180.022
Lautliche hier an der Sinngestaltung einen Anteil. Freilich pse_180.023
muß man mit größter Vorsicht vorgehen, denn gerade da pse_180.024
sind der Willkür und subjektiven Phantasterei Tür und Tor pse_180.025
geöffnet.
pse_180.026
Aber der Zusammenhang von Laut und Sinn läßt sich pse_180.027
begründen: jeder Akt der sprachlichen Welterfassung erfolgt pse_180.028
aus einer bestimmten Grundeinstellung, von der auch die pse_180.029
Bewegungsreaktionen gesteuert werden; diese treten im pse_180.030
Laut in Erscheinung. Die Lautung ist also eine Reaktion auf pse_180.031
ein Gegenüber (deutlich im Schreckensruf), aber auch ein pse_180.032
Vernehmbarwerden des Gegenüber in einem Symbol, den pse_180.033
sogenannten Lautgebärden (wenn ein Kind auf einen Gegenstand pse_180.034
zeigt und ihn benennt). Also können auch in der Lautung pse_180.035
Gemütskräfte gestaltet werden. Aber im Lauf der Ökonomisierung pse_180.036
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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