pse_175.001 langen Sätze Th. Manns (Anfang des "Dr. Faustus", Anfang pse_175.002 des zweiten Abschnitts von "Tod in Venedig"): hier ist der pse_175.003 Bewegungsantrieb zur Sprachgestaltung nicht eine mächtige pse_175.004 Gefühlsbewegung, sondern das genaue, beinahe pedantische pse_175.005 Aufbauen einer rational durchdachten Konstruktion; wenn pse_175.006 das in eine zu weite Untergliederung zu führen droht, hilft pse_175.007 ein kleiner Neuansatz, in dem er zusammenfaßt, zurückgreift pse_175.008 und damit weiterführt: ... -- "ich bitte wieder ansetzen pse_175.009 zu dürfen ..." Auch in solchem Bau wirkt sich eine bestimmte pse_175.010 innerste Haltung aus, die des bewußten Ringens um Fülle und pse_175.011 Überlegtheit zugleich. 6. Wieder einen anderen Charakter pse_175.012 haben die langen Sätze Kafkas. Das Vorgangswort tritt zurück, pse_175.013 kleine Glieder werden ineinandergekeilt, durch Häufung, pse_175.014 durch wiederholte Wenn-Sätze, durch dauernd eingeschobene pse_175.015 Überlegungen entsteht zwar eine deutlich abrollende Bewegung, pse_175.016 aber es fehlt Spannung und Steigerung: der Eindruck pse_175.017 des Leerlaufs drängt sich auf, der Satzbau wird Symbol des pse_175.018 Gehalts: an kein Ziel kommen. 7. Eine letzte Form sei noch pse_175.019 herausgehoben: die langen Sätze in Brochs "Tod des Vergil". pse_175.020 Intellektualität und Lyrismus stehen hier oft schroff nebeneinander, pse_175.021 aber sie suchen einen Satzrhythmus zu schaffen, der pse_175.022 die Sprache ins rein Dichterische hinüberführt, die Sprache pse_175.023 mündet gleichsam in den Lebensrhythmus ein: breit, pse_175.024 schwingend, ruhelos, mit starken Steigerungen (auch durch pse_175.025 die Aufeinanderfolge der Bilder), oft bis in die Formen des pse_175.026 Hexameters und Pentameters. Diese ungeheuere fortlaufende pse_175.027 Bewegung ist aber klar gegliedert: durch Anaphern, Antithesen, pse_175.028 Wiederholungen. So entsteht oft eine bohrende, beinahe pse_175.029 betäubende Wirkung.
pse_175.030 Die reichen Möglichkeiten der kurzen und der langen pse_175.031 Sätze, weiterhin solche, die durch ihre mannigfache Verbindung pse_175.032 entstehen, haben alle den künstlerischen Sinn, daß auch pse_175.033 im Ablauf und Bau dieser Sprachvorgänge selbst die in ihnen pse_175.034 errichtete geistige Welt in ihrer Art lebendig wird, daß zugleich pse_175.035 eine innerste Haltung, aus der gerade eine solche Weltgestaltung pse_175.036 erwächst, in der Dynamik des Satzes Gestalt wird.
pse_175.037 Auch die Satzarten enthalten künstlerische Werte. Vor pse_175.038 allem die, die nicht aus dem Wunsch nach Mitteilung hervorgehen,
pse_175.001 langen Sätze Th. Manns (Anfang des »Dr. Faustus«, Anfang pse_175.002 des zweiten Abschnitts von »Tod in Venedig«): hier ist der pse_175.003 Bewegungsantrieb zur Sprachgestaltung nicht eine mächtige pse_175.004 Gefühlsbewegung, sondern das genaue, beinahe pedantische pse_175.005 Aufbauen einer rational durchdachten Konstruktion; wenn pse_175.006 das in eine zu weite Untergliederung zu führen droht, hilft pse_175.007 ein kleiner Neuansatz, in dem er zusammenfaßt, zurückgreift pse_175.008 und damit weiterführt: ... — »ich bitte wieder ansetzen pse_175.009 zu dürfen ...« Auch in solchem Bau wirkt sich eine bestimmte pse_175.010 innerste Haltung aus, die des bewußten Ringens um Fülle und pse_175.011 Überlegtheit zugleich. 6. Wieder einen anderen Charakter pse_175.012 haben die langen Sätze Kafkas. Das Vorgangswort tritt zurück, pse_175.013 kleine Glieder werden ineinandergekeilt, durch Häufung, pse_175.014 durch wiederholte Wenn-Sätze, durch dauernd eingeschobene pse_175.015 Überlegungen entsteht zwar eine deutlich abrollende Bewegung, pse_175.016 aber es fehlt Spannung und Steigerung: der Eindruck pse_175.017 des Leerlaufs drängt sich auf, der Satzbau wird Symbol des pse_175.018 Gehalts: an kein Ziel kommen. 7. Eine letzte Form sei noch pse_175.019 herausgehoben: die langen Sätze in Brochs »Tod des Vergil«. pse_175.020 Intellektualität und Lyrismus stehen hier oft schroff nebeneinander, pse_175.021 aber sie suchen einen Satzrhythmus zu schaffen, der pse_175.022 die Sprache ins rein Dichterische hinüberführt, die Sprache pse_175.023 mündet gleichsam in den Lebensrhythmus ein: breit, pse_175.024 schwingend, ruhelos, mit starken Steigerungen (auch durch pse_175.025 die Aufeinanderfolge der Bilder), oft bis in die Formen des pse_175.026 Hexameters und Pentameters. Diese ungeheuere fortlaufende pse_175.027 Bewegung ist aber klar gegliedert: durch Anaphern, Antithesen, pse_175.028 Wiederholungen. So entsteht oft eine bohrende, beinahe pse_175.029 betäubende Wirkung.
pse_175.030 Die reichen Möglichkeiten der kurzen und der langen pse_175.031 Sätze, weiterhin solche, die durch ihre mannigfache Verbindung pse_175.032 entstehen, haben alle den künstlerischen Sinn, daß auch pse_175.033 im Ablauf und Bau dieser Sprachvorgänge selbst die in ihnen pse_175.034 errichtete geistige Welt in ihrer Art lebendig wird, daß zugleich pse_175.035 eine innerste Haltung, aus der gerade eine solche Weltgestaltung pse_175.036 erwächst, in der Dynamik des Satzes Gestalt wird.
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langen Sätze Th. Manns (Anfang des »Dr. Faustus«, Anfang pse_175.002
des zweiten Abschnitts von »Tod in Venedig«): hier ist der pse_175.003
Bewegungsantrieb zur Sprachgestaltung nicht eine mächtige pse_175.004
Gefühlsbewegung, sondern das genaue, beinahe pedantische pse_175.005
Aufbauen einer rational durchdachten Konstruktion; wenn pse_175.006
das in eine zu weite Untergliederung zu führen droht, hilft pse_175.007
ein kleiner Neuansatz, in dem er zusammenfaßt, zurückgreift pse_175.008
und damit weiterführt: ... — »ich bitte wieder ansetzen pse_175.009
zu dürfen ...« Auch in solchem Bau wirkt sich eine bestimmte pse_175.010
innerste Haltung aus, die des bewußten Ringens um Fülle und pse_175.011
Überlegtheit zugleich. 6. Wieder einen anderen Charakter pse_175.012
haben die langen Sätze Kafkas. Das Vorgangswort tritt zurück, pse_175.013
kleine Glieder werden ineinandergekeilt, durch Häufung, pse_175.014
durch wiederholte Wenn-Sätze, durch dauernd eingeschobene pse_175.015
Überlegungen entsteht zwar eine deutlich abrollende Bewegung, pse_175.016
aber es fehlt Spannung und Steigerung: der Eindruck pse_175.017
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Intellektualität und Lyrismus stehen hier oft schroff nebeneinander, pse_175.021
aber sie suchen einen Satzrhythmus zu schaffen, der pse_175.022
die Sprache ins rein Dichterische hinüberführt, die Sprache pse_175.023
mündet gleichsam in den Lebensrhythmus ein: breit, pse_175.024
schwingend, ruhelos, mit starken Steigerungen (auch durch pse_175.025
die Aufeinanderfolge der Bilder), oft bis in die Formen des pse_175.026
Hexameters und Pentameters. Diese ungeheuere fortlaufende pse_175.027
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Die reichen Möglichkeiten der kurzen und der langen pse_175.031
Sätze, weiterhin solche, die durch ihre mannigfache Verbindung pse_175.032
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/191>, abgerufen am 22.11.2024.
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