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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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im Verhältnis der Glieder zueinander, in der Art dieser Glieder, pse_174.002
ob sie knapp und zahlreich sind, selber lang und daher pse_174.003
durchgegliedert oder ob vielgestufte Unterordnung oder pse_174.004
dauernde Nebenordnung innerhalb des Satzes bestimmend ist. pse_174.005
Bei den einen Sätzen wirkt mehr der rhythmische Ablauf, bei pse_174.006
den anderen mehr der reich entfaltete Aufbau. Es seien im pse_174.007
folgenden einige typische Möglichkeiten stilhafter langer pse_174.008
Sätze angedeutet. Beispiele für jeden Typus hier abzudrucken, pse_174.009
würde zu weit führen, es müssen Hinweise auf bezeichnende pse_174.010
Dichter genügen. 1. Das lyrische Ausschwingen eines großen pse_174.011
Vorgangs der Gefühlsberührtheit durch ein Gegenüber; Bewegung pse_174.012
und Fülle kennzeichnen solche Sätze, wir finden sie pse_174.013
besonders in den Oden und Hymnen Hölderlins. 2. Die ganze pse_174.014
dramatische Gegensätzlichkeit in einem erlebten Stück Welt pse_174.015
wird in einem einzigen Gestaltungsakt geformt; das sind die pse_174.016
berühmten langen Sätze Kleists, etwa die Erstürmung der pse_174.017
Tronkenburg im "Michael Kohlhaas" oder der erste Satz in pse_174.018
der "Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg". 3. Der pse_174.019
lange Satz stellt eine Bilderreihe dar. Dadurch, daß diese Reihe pse_174.020
in einem einzigen Gestaltungsvorgang abläuft, kommt eine pse_174.021
einheitliche Bewegung zustande, die die Einheit der Grundstimmung pse_174.022
durchklingen läßt. 4. Der lange Satz gestaltet pse_174.023
epische Breite und Fülle; in ihm ersteht ein Weltbild in der pse_174.024
Umfassenheit gereiften Erlebens: rhythmische Bewegung pse_174.025
und klare Durchformtheit wirken zusammen, um schon in pse_174.026
diesem Satzbau selbst das Weltbild gleichsam symbolisch darzustellen. pse_174.027
Die großen Sätze in Stifters Romanen sind Beispiele. pse_174.028
Eine besondere Form entwickelt sich, wenn dazu pse_174.029
noch eine Steigerung eingebaut wird, wenn der Rhythmus pse_174.030
gegen Ende intensiviert wird, der Satzbau selbst im Laufe des pse_174.031
Satzes einen Wandel durchmacht, wenn die Gefühlsträger pse_174.032
gegen Ende zahlreicher und gewichtiger werden. Diese Steigerung pse_174.033
kann auch durch Gleichlauf entstehen. So wenn pse_174.034
Stifter in einem Riesensatz der "Letzten Mappe" elfmal mit pse_174.035
Wenn-Sätzen einsetzt und dabei in jedem Wenn-Satz die pse_174.036
Bilder mächtiger werden und eine immer größere Fülle von pse_174.037
Gehalt ausbreiten; der Gleichlauf der Wenn-Sätze aber intensiviert pse_174.038
und bewahrt vor Zerfließen. 5. Ganz anders sind die

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im Verhältnis der Glieder zueinander, in der Art dieser Glieder, pse_174.002
ob sie knapp und zahlreich sind, selber lang und daher pse_174.003
durchgegliedert oder ob vielgestufte Unterordnung oder pse_174.004
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Bei den einen Sätzen wirkt mehr der rhythmische Ablauf, bei pse_174.006
den anderen mehr der reich entfaltete Aufbau. Es seien im pse_174.007
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Sätze angedeutet. Beispiele für jeden Typus hier abzudrucken, pse_174.009
würde zu weit führen, es müssen Hinweise auf bezeichnende pse_174.010
Dichter genügen. 1. Das lyrische Ausschwingen eines großen pse_174.011
Vorgangs der Gefühlsberührtheit durch ein Gegenüber; Bewegung pse_174.012
und Fülle kennzeichnen solche Sätze, wir finden sie pse_174.013
besonders in den Oden und Hymnen Hölderlins. 2. Die ganze pse_174.014
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wird in einem einzigen Gestaltungsakt geformt; das sind die pse_174.016
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Tronkenburg im »Michael Kohlhaas« oder der erste Satz in pse_174.018
der »Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg«. 3. Der pse_174.019
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in einem einzigen Gestaltungsvorgang abläuft, kommt eine pse_174.021
einheitliche Bewegung zustande, die die Einheit der Grundstimmung pse_174.022
durchklingen läßt. 4. Der lange Satz gestaltet pse_174.023
epische Breite und Fülle; in ihm ersteht ein Weltbild in der pse_174.024
Umfassenheit gereiften Erlebens: rhythmische Bewegung pse_174.025
und klare Durchformtheit wirken zusammen, um schon in pse_174.026
diesem Satzbau selbst das Weltbild gleichsam symbolisch darzustellen. pse_174.027
Die großen Sätze in Stifters Romanen sind Beispiele. pse_174.028
Eine besondere Form entwickelt sich, wenn dazu pse_174.029
noch eine Steigerung eingebaut wird, wenn der Rhythmus pse_174.030
gegen Ende intensiviert wird, der Satzbau selbst im Laufe des pse_174.031
Satzes einen Wandel durchmacht, wenn die Gefühlsträger pse_174.032
gegen Ende zahlreicher und gewichtiger werden. Diese Steigerung pse_174.033
kann auch durch Gleichlauf entstehen. So wenn pse_174.034
Stifter in einem Riesensatz der »Letzten Mappe« elfmal mit pse_174.035
Wenn-Sätzen einsetzt und dabei in jedem Wenn-Satz die pse_174.036
Bilder mächtiger werden und eine immer größere Fülle von pse_174.037
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[174/0190] pse_174.001 im Verhältnis der Glieder zueinander, in der Art dieser Glieder, pse_174.002 ob sie knapp und zahlreich sind, selber lang und daher pse_174.003 durchgegliedert oder ob vielgestufte Unterordnung oder pse_174.004 dauernde Nebenordnung innerhalb des Satzes bestimmend ist. pse_174.005 Bei den einen Sätzen wirkt mehr der rhythmische Ablauf, bei pse_174.006 den anderen mehr der reich entfaltete Aufbau. Es seien im pse_174.007 folgenden einige typische Möglichkeiten stilhafter langer pse_174.008 Sätze angedeutet. Beispiele für jeden Typus hier abzudrucken, pse_174.009 würde zu weit führen, es müssen Hinweise auf bezeichnende pse_174.010 Dichter genügen. 1. Das lyrische Ausschwingen eines großen pse_174.011 Vorgangs der Gefühlsberührtheit durch ein Gegenüber; Bewegung pse_174.012 und Fülle kennzeichnen solche Sätze, wir finden sie pse_174.013 besonders in den Oden und Hymnen Hölderlins. 2. Die ganze pse_174.014 dramatische Gegensätzlichkeit in einem erlebten Stück Welt pse_174.015 wird in einem einzigen Gestaltungsakt geformt; das sind die pse_174.016 berühmten langen Sätze Kleists, etwa die Erstürmung der pse_174.017 Tronkenburg im »Michael Kohlhaas« oder der erste Satz in pse_174.018 der »Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg«. 3. Der pse_174.019 lange Satz stellt eine Bilderreihe dar. Dadurch, daß diese Reihe pse_174.020 in einem einzigen Gestaltungsvorgang abläuft, kommt eine pse_174.021 einheitliche Bewegung zustande, die die Einheit der Grundstimmung pse_174.022 durchklingen läßt. 4. Der lange Satz gestaltet pse_174.023 epische Breite und Fülle; in ihm ersteht ein Weltbild in der pse_174.024 Umfassenheit gereiften Erlebens: rhythmische Bewegung pse_174.025 und klare Durchformtheit wirken zusammen, um schon in pse_174.026 diesem Satzbau selbst das Weltbild gleichsam symbolisch darzustellen. pse_174.027 Die großen Sätze in Stifters Romanen sind Beispiele. pse_174.028 Eine besondere Form entwickelt sich, wenn dazu pse_174.029 noch eine Steigerung eingebaut wird, wenn der Rhythmus pse_174.030 gegen Ende intensiviert wird, der Satzbau selbst im Laufe des pse_174.031 Satzes einen Wandel durchmacht, wenn die Gefühlsträger pse_174.032 gegen Ende zahlreicher und gewichtiger werden. Diese Steigerung pse_174.033 kann auch durch Gleichlauf entstehen. So wenn pse_174.034 Stifter in einem Riesensatz der »Letzten Mappe« elfmal mit pse_174.035 Wenn-Sätzen einsetzt und dabei in jedem Wenn-Satz die pse_174.036 Bilder mächtiger werden und eine immer größere Fülle von pse_174.037 Gehalt ausbreiten; der Gleichlauf der Wenn-Sätze aber intensiviert pse_174.038 und bewahrt vor Zerfließen. 5. Ganz anders sind die

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/190>, abgerufen am 25.11.2024.