pse_153.001 oder Lesers zu wirken. Das "delectare" ist hier deutlich. Wir pse_153.002 müssen uns klar sein, daß wir hier die Stilauffassung der pse_153.003 Dichtungslehre bis weit ins 18. Jahrhundert hinein vor uns pse_153.004 haben. Aber auch heute ist diese Auffassung noch durchaus pse_153.005 anzutreffen. Die wirkungsvolle Anwendung der sprachlichen pse_153.006 Schmuckformen, wie sie das System der Rhetorik schon im pse_153.007 späten Altertum ausgebildet hat, ist Stilkunst. Wir fragen uns, pse_153.008 was soll da unsere Auffassung, daß in der Sprachkunst eine pse_153.009 innere Haltung des Menschen sich offenbare? Hat eine solche pse_153.010 Stilauffassung für die ganze abendländische Epoche bis ins pse_153.011 späte 18. Jahrhundert einen Sinn oder nur für die knappen pse_153.012 letzten zwei Jahrhunderte? Da hilft uns die Bemerkung weiter, pse_153.013 die der spanische Fürst Don Juan Manuel um 1330 über pse_153.014 seine Erzählungssammlung "El conde Lucanor" machte: er pse_153.015 habe dieses Buch geschrieben, indem er es aus den schönsten pse_153.016 Worten zusammensetzte, die er finden konnte. Zweifellos pse_153.017 hätten die Ritterdichter des Mittelalters und die höfischen pse_153.018 Dichter des Barocks, aber schon die spätrömischen Dichter pse_153.019 dasselbe von ihren Dichtungen sagen können. Das geht gewiß pse_153.020 auf die "schöne", also aufs Gemüt in bestimmter Weise wirkende pse_153.021 Form der Dichtung. Aber prägt sich in solchem Wollen pse_153.022 nicht auch eine innere Haltung aus? Spüren wir da nicht, pse_153.023 daß diese Dichter aus einer ganz bestimmten Gemütslage, pse_153.024 eben als bewußte Dichter, schaffen? Prägt sich in den steiffeierlichen pse_153.025 Versen Weckherlins und den spielerischen Gedichten pse_153.026 Harsdörffers, in der immer wiederholten Kunst des pse_153.027 Reim- und Strophenbaus des älteren Reimar usw. nicht auch pse_153.028 eine bestimmte Haltung der Kultiviertheit, der Eleganz, der pse_153.029 Gehobenheit aus? Es ist kaum anzunehmen, daß diese Dichter pse_153.030 rein rationalistisch Schmuckformen zusammengefügt haben. pse_153.031 Es hat sich also weniger an der Dichtung als an der Betrachtungsweise pse_153.032 geändert. Freilich war diese Änderung dadurch pse_153.033 bedingt, daß seit dem Sturm und Drang, also allgemeiner: pse_153.034 seit den Anfängen der gesamteuropäischen Romantik in der pse_153.035 zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Dichten nicht mehr so pse_153.036 sehr im schönen sprachlichen Formen als im Gestalten innerer pse_153.037 Erlebnisse gesehen wurde. Es scheint also doch, daß pse_153.038 wir mit der hier dargelegten Stilauffassung auch die frühere
pse_153.001 oder Lesers zu wirken. Das »delectare« ist hier deutlich. Wir pse_153.002 müssen uns klar sein, daß wir hier die Stilauffassung der pse_153.003 Dichtungslehre bis weit ins 18. Jahrhundert hinein vor uns pse_153.004 haben. Aber auch heute ist diese Auffassung noch durchaus pse_153.005 anzutreffen. Die wirkungsvolle Anwendung der sprachlichen pse_153.006 Schmuckformen, wie sie das System der Rhetorik schon im pse_153.007 späten Altertum ausgebildet hat, ist Stilkunst. Wir fragen uns, pse_153.008 was soll da unsere Auffassung, daß in der Sprachkunst eine pse_153.009 innere Haltung des Menschen sich offenbare? Hat eine solche pse_153.010 Stilauffassung für die ganze abendländische Epoche bis ins pse_153.011 späte 18. Jahrhundert einen Sinn oder nur für die knappen pse_153.012 letzten zwei Jahrhunderte? Da hilft uns die Bemerkung weiter, pse_153.013 die der spanische Fürst Don Juan Manuel um 1330 über pse_153.014 seine Erzählungssammlung »El conde Lucanor« machte: er pse_153.015 habe dieses Buch geschrieben, indem er es aus den schönsten pse_153.016 Worten zusammensetzte, die er finden konnte. Zweifellos pse_153.017 hätten die Ritterdichter des Mittelalters und die höfischen pse_153.018 Dichter des Barocks, aber schon die spätrömischen Dichter pse_153.019 dasselbe von ihren Dichtungen sagen können. Das geht gewiß pse_153.020 auf die »schöne«, also aufs Gemüt in bestimmter Weise wirkende pse_153.021 Form der Dichtung. Aber prägt sich in solchem Wollen pse_153.022 nicht auch eine innere Haltung aus? Spüren wir da nicht, pse_153.023 daß diese Dichter aus einer ganz bestimmten Gemütslage, pse_153.024 eben als bewußte Dichter, schaffen? Prägt sich in den steiffeierlichen pse_153.025 Versen Weckherlins und den spielerischen Gedichten pse_153.026 Harsdörffers, in der immer wiederholten Kunst des pse_153.027 Reim- und Strophenbaus des älteren Reimar usw. nicht auch pse_153.028 eine bestimmte Haltung der Kultiviertheit, der Eleganz, der pse_153.029 Gehobenheit aus? Es ist kaum anzunehmen, daß diese Dichter pse_153.030 rein rationalistisch Schmuckformen zusammengefügt haben. pse_153.031 Es hat sich also weniger an der Dichtung als an der Betrachtungsweise pse_153.032 geändert. Freilich war diese Änderung dadurch pse_153.033 bedingt, daß seit dem Sturm und Drang, also allgemeiner: pse_153.034 seit den Anfängen der gesamteuropäischen Romantik in der pse_153.035 zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Dichten nicht mehr so pse_153.036 sehr im schönen sprachlichen Formen als im Gestalten innerer pse_153.037 Erlebnisse gesehen wurde. Es scheint also doch, daß pse_153.038 wir mit der hier dargelegten Stilauffassung auch die frühere
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oder Lesers zu wirken. Das »delectare« ist hier deutlich. Wir pse_153.002
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Dichtungslehre bis weit ins 18. Jahrhundert hinein vor uns pse_153.004
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Schmuckformen, wie sie das System der Rhetorik schon im pse_153.007
späten Altertum ausgebildet hat, ist Stilkunst. Wir fragen uns, pse_153.008
was soll da unsere Auffassung, daß in der Sprachkunst eine pse_153.009
innere Haltung des Menschen sich offenbare? Hat eine solche pse_153.010
Stilauffassung für die ganze abendländische Epoche bis ins pse_153.011
späte 18. Jahrhundert einen Sinn oder nur für die knappen pse_153.012
letzten zwei Jahrhunderte? Da hilft uns die Bemerkung weiter, pse_153.013
die der spanische Fürst Don Juan Manuel um 1330 über pse_153.014
seine Erzählungssammlung »El conde Lucanor« machte: er pse_153.015
habe dieses Buch geschrieben, indem er es aus den schönsten pse_153.016
Worten zusammensetzte, die er finden konnte. Zweifellos pse_153.017
hätten die Ritterdichter des Mittelalters und die höfischen pse_153.018
Dichter des Barocks, aber schon die spätrömischen Dichter pse_153.019
dasselbe von ihren Dichtungen sagen können. Das geht gewiß pse_153.020
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Gehobenheit aus? Es ist kaum anzunehmen, daß diese Dichter pse_153.030
rein rationalistisch Schmuckformen zusammengefügt haben. pse_153.031
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/169>, abgerufen am 24.11.2024.
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