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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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kann, was da geformt wird, geben zu Verdeutlichung und Vertiefung pse_142.002
den Weg frei. Die dafür gebrauchten Ausdrücke bezeichnen pse_142.003
oft bei verschiedenen Forschern Verschiedenes. Wir pse_142.004
legen also ihre Bedeutung für dieses Buch fest. Der Stoff einer pse_142.005
Dichtung ist das außerdichterische Rohmaterial, die Ereignisse, pse_142.006
die Räume, die Personen, die irgendwie zur Dichtung pse_142.007
Anlaß gegeben haben (S. 66). Inhalt ist wohl das allgemeinste pse_142.008
Wort, es bedeutet im weitesten Sinne das, was in einem Gedicht pse_142.009
zu hören oder zu lesen ist. Die Handlung ist der Geschehniszusammenhang, pse_142.010
der in einer Dichtung gestaltet ist, pse_142.011
ihre Personen sind die sich dem Erlebenden vorstellende pse_142.012
Menschenwirklichkeit einer Dichtung. Wie aber der Dichter pse_142.013
diese Handlung durchführt, die Personen ihren Weg gehen pse_142.014
läßt, also der bereits geformte Stoff, ist die Fabel (S. 66). Ein pse_142.015
Stoffteil aber, der in der dichterischen Verarbeitung zu einer pse_142.016
treibenden, sinnvollen Kraft, zu einem bauenden Glied wird, pse_142.017
ist ein Motiv (S. 85). Formeln dagegen sind festgewordene, pse_142.018
immer wieder verwendbare sprachliche Prägungen in einer pse_142.019
Dichtung. Damit aber bleiben wir immer noch gleichsam in pse_142.020
einer ersten Schicht dessen, was in der Gestalt einer Dichtung pse_142.021
erscheint, sich uns offenbart. Wenn wir das Tiefere im Auge pse_142.022
haben, die Hintergründe, das Wesenhafte, das sich im Dichtwerk pse_142.023
uns enthüllt, dann meinen wir den Gehalt. Er umgreift pse_142.024
alles an Inhalt, Handlung, Personen, Motiven usw., soweit es pse_142.025
eben das Tiefere, Wesenhaftere offenbar werden läßt. Suchen pse_142.026
wir diesen Gehalt auf eine klare rationale Form zu bringen, pse_142.027
gleichsam in knappen Worten auszusprechen, so kann man das pse_142.028
die Idee der Dichtung nennen. Freilich, je mehr wir diese Idee pse_142.029
auf eine Formel bringen wollen, desto mehr entgeht uns pse_142.030
schon am Gehalt der wirklichen Dichtung, weil eben dieser pse_142.031
Gehalt nur in einer dichterischen Gestalt lebendig wird. Sonst pse_142.032
könnte man ja auf den Einfall kommen, die "Iphigenie" als pse_142.033
philosophische Abhandlung aufzuzäumen und die "Kritik pse_142.034
der reinen Vernunft" dichterisch darzustellen.

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Dem Gehalt stellt man, auch schon durch die lautliche pse_142.036
Prägung, die Gestalt als korrelativen Begriff gegenüber. In pse_142.037
ihr wird ja der Gehalt Wirklichkeit, in ihr tritt er uns gegenüber, pse_142.038
nur durch sie lebt er. Wir sind nun wieder im Bereich

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kann, was da geformt wird, geben zu Verdeutlichung und Vertiefung pse_142.002
den Weg frei. Die dafür gebrauchten Ausdrücke bezeichnen pse_142.003
oft bei verschiedenen Forschern Verschiedenes. Wir pse_142.004
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immer wieder verwendbare sprachliche Prägungen in einer pse_142.019
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erscheint, sich uns offenbart. Wenn wir das Tiefere im Auge pse_142.022
haben, die Hintergründe, das Wesenhafte, das sich im Dichtwerk pse_142.023
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eben das Tiefere, Wesenhaftere offenbar werden läßt. Suchen pse_142.026
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gleichsam in knappen Worten auszusprechen, so kann man das pse_142.028
die Idee der Dichtung nennen. Freilich, je mehr wir diese Idee pse_142.029
auf eine Formel bringen wollen, desto mehr entgeht uns pse_142.030
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Gehalt nur in einer dichterischen Gestalt lebendig wird. Sonst pse_142.032
könnte man ja auf den Einfall kommen, die »Iphigenie« als pse_142.033
philosophische Abhandlung aufzuzäumen und die »Kritik pse_142.034
der reinen Vernunft« dichterisch darzustellen.

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Dem Gehalt stellt man, auch schon durch die lautliche pse_142.036
Prägung, die Gestalt als korrelativen Begriff gegenüber. In pse_142.037
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[142/0158] pse_142.001 kann, was da geformt wird, geben zu Verdeutlichung und Vertiefung pse_142.002 den Weg frei. Die dafür gebrauchten Ausdrücke bezeichnen pse_142.003 oft bei verschiedenen Forschern Verschiedenes. Wir pse_142.004 legen also ihre Bedeutung für dieses Buch fest. Der Stoff einer pse_142.005 Dichtung ist das außerdichterische Rohmaterial, die Ereignisse, pse_142.006 die Räume, die Personen, die irgendwie zur Dichtung pse_142.007 Anlaß gegeben haben (S. 66). Inhalt ist wohl das allgemeinste pse_142.008 Wort, es bedeutet im weitesten Sinne das, was in einem Gedicht pse_142.009 zu hören oder zu lesen ist. Die Handlung ist der Geschehniszusammenhang, pse_142.010 der in einer Dichtung gestaltet ist, pse_142.011 ihre Personen sind die sich dem Erlebenden vorstellende pse_142.012 Menschenwirklichkeit einer Dichtung. Wie aber der Dichter pse_142.013 diese Handlung durchführt, die Personen ihren Weg gehen pse_142.014 läßt, also der bereits geformte Stoff, ist die Fabel (S. 66). Ein pse_142.015 Stoffteil aber, der in der dichterischen Verarbeitung zu einer pse_142.016 treibenden, sinnvollen Kraft, zu einem bauenden Glied wird, pse_142.017 ist ein Motiv (S. 85). Formeln dagegen sind festgewordene, pse_142.018 immer wieder verwendbare sprachliche Prägungen in einer pse_142.019 Dichtung. Damit aber bleiben wir immer noch gleichsam in pse_142.020 einer ersten Schicht dessen, was in der Gestalt einer Dichtung pse_142.021 erscheint, sich uns offenbart. Wenn wir das Tiefere im Auge pse_142.022 haben, die Hintergründe, das Wesenhafte, das sich im Dichtwerk pse_142.023 uns enthüllt, dann meinen wir den Gehalt. Er umgreift pse_142.024 alles an Inhalt, Handlung, Personen, Motiven usw., soweit es pse_142.025 eben das Tiefere, Wesenhaftere offenbar werden läßt. Suchen pse_142.026 wir diesen Gehalt auf eine klare rationale Form zu bringen, pse_142.027 gleichsam in knappen Worten auszusprechen, so kann man das pse_142.028 die Idee der Dichtung nennen. Freilich, je mehr wir diese Idee pse_142.029 auf eine Formel bringen wollen, desto mehr entgeht uns pse_142.030 schon am Gehalt der wirklichen Dichtung, weil eben dieser pse_142.031 Gehalt nur in einer dichterischen Gestalt lebendig wird. Sonst pse_142.032 könnte man ja auf den Einfall kommen, die »Iphigenie« als pse_142.033 philosophische Abhandlung aufzuzäumen und die »Kritik pse_142.034 der reinen Vernunft« dichterisch darzustellen. pse_142.035 Dem Gehalt stellt man, auch schon durch die lautliche pse_142.036 Prägung, die Gestalt als korrelativen Begriff gegenüber. In pse_142.037 ihr wird ja der Gehalt Wirklichkeit, in ihr tritt er uns gegenüber, pse_142.038 nur durch sie lebt er. Wir sind nun wieder im Bereich

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/158>, abgerufen am 24.11.2024.