pse_129.001 -- ohne den Blick zeitlich auf die Gegenwart einzuschränken, pse_129.002 was ja eine allgemeine Poetik nie tun darf -- nie pse_129.003 vergessen werden, daß in früher Zeit zum Beispiel die Helden- pse_129.004 und dann die Ritterdichtung, die doch beide aus der scharf pse_129.005 umgrenzten Sicht des Helden (z. B. Atlilied) oder des Ritters pse_129.006 (z. B. Iwein) erstanden sind, auch in die Hintergründe und pse_129.007 hohen Bereiche führen.
pse_129.008 Auch der Lebensraum kann eine Fülle von dichterischen pse_129.009 Erlebnissen auslösen. Schon die Natur ganz allgemein: vom pse_129.010 Blümlein bis zur ewigen Sternenwelt finden wir, besonders in pse_129.011 der Lyrik, immer wieder dichterische Antriebe. Aber auch die pse_129.012 moderne Lyrik in ihren verfremdenden und grotesken Zügen pse_129.013 ist geschaffen aus schweren und beängstigenden Blicken in die pse_129.014 Unheimlichkeiten und Rätsel der Natur um uns. Man denke pse_129.015 an Garcia Lorca, an Ungaretti, an Saint-John Perse, an Benn. pse_129.016 Enger ist schon der Blick auf die Landschaft, aber auch sie gestattet pse_129.017 Blicke ins Dauernde, Ewige. Die Meeresgewalten in pse_129.018 Storms "Schimmelreiter", der Zauber der mitteldeutschen pse_129.019 Wälder, etwa im "Glasperlenspiel" Hesses, und die Unberührtheit pse_129.020 und Erhabenheit des Hochgebirges in Stifters Dichtungen. pse_129.021 Wenn dazu das Gefühl der Geborgenheit kommt, dann wird pse_129.022 es die Heimat. Selten wird die Großstadt als Heimat empfunden, pse_129.023 meist die kleinere oder das Dorf mit ihrer Umwelt. pse_129.024 Wieder zeigen große Dichter die Möglichkeiten eines tiefen pse_129.025 Weltbildes in solcher Dichtung: Gotthelfs Gestaltung des pse_129.026 Emmentals, Kellers Schweizer Heimatlandschaft, besonders pse_129.027 im "Grünen Heinrich", Stifters Gestaltungen, aber auch ein pse_129.028 Gedicht wie Storms "Die Stadt"; sie alle verweisen uns ins pse_129.029 Innere und öffnen vom Engen einen Blick in die Tiefe. Freilich pse_129.030 kann gerade die Heimatdichtung zur Enge führen und pse_129.031 den Blick in die Tiefen verschließen. Das war das Schicksal pse_129.032 der Heimatkunst am Ende des 19. Jahrhunderts. Herausgewachsen pse_129.033 aus dem Widerspruch zu den Gefahren der Großstadt, pse_129.034 hat sie dann später bloß die gemütliche Enge zu ihrem pse_129.035 Lebensbereich gemacht. Aber von ihr aus dürfen Landschaft pse_129.036 und Heimat in ihren dichterischen Möglichkeiten nicht beurteilt pse_129.037 werden. Daß auch das wirbelnde Leben der Großstadt pse_129.038 ein unendlich reicher Lebensraum ist, der dichterische Blicke
pse_129.001 — ohne den Blick zeitlich auf die Gegenwart einzuschränken, pse_129.002 was ja eine allgemeine Poetik nie tun darf — nie pse_129.003 vergessen werden, daß in früher Zeit zum Beispiel die Helden- pse_129.004 und dann die Ritterdichtung, die doch beide aus der scharf pse_129.005 umgrenzten Sicht des Helden (z. B. Atlilied) oder des Ritters pse_129.006 (z. B. Iwein) erstanden sind, auch in die Hintergründe und pse_129.007 hohen Bereiche führen.
pse_129.008 Auch der Lebensraum kann eine Fülle von dichterischen pse_129.009 Erlebnissen auslösen. Schon die Natur ganz allgemein: vom pse_129.010 Blümlein bis zur ewigen Sternenwelt finden wir, besonders in pse_129.011 der Lyrik, immer wieder dichterische Antriebe. Aber auch die pse_129.012 moderne Lyrik in ihren verfremdenden und grotesken Zügen pse_129.013 ist geschaffen aus schweren und beängstigenden Blicken in die pse_129.014 Unheimlichkeiten und Rätsel der Natur um uns. Man denke pse_129.015 an García Lorca, an Ungaretti, an Saint-John Perse, an Benn. pse_129.016 Enger ist schon der Blick auf die Landschaft, aber auch sie gestattet pse_129.017 Blicke ins Dauernde, Ewige. Die Meeresgewalten in pse_129.018 Storms »Schimmelreiter«, der Zauber der mitteldeutschen pse_129.019 Wälder, etwa im »Glasperlenspiel« Hesses, und die Unberührtheit pse_129.020 und Erhabenheit des Hochgebirges in Stifters Dichtungen. pse_129.021 Wenn dazu das Gefühl der Geborgenheit kommt, dann wird pse_129.022 es die Heimat. Selten wird die Großstadt als Heimat empfunden, pse_129.023 meist die kleinere oder das Dorf mit ihrer Umwelt. pse_129.024 Wieder zeigen große Dichter die Möglichkeiten eines tiefen pse_129.025 Weltbildes in solcher Dichtung: Gotthelfs Gestaltung des pse_129.026 Emmentals, Kellers Schweizer Heimatlandschaft, besonders pse_129.027 im »Grünen Heinrich«, Stifters Gestaltungen, aber auch ein pse_129.028 Gedicht wie Storms »Die Stadt«; sie alle verweisen uns ins pse_129.029 Innere und öffnen vom Engen einen Blick in die Tiefe. Freilich pse_129.030 kann gerade die Heimatdichtung zur Enge führen und pse_129.031 den Blick in die Tiefen verschließen. Das war das Schicksal pse_129.032 der Heimatkunst am Ende des 19. Jahrhunderts. Herausgewachsen pse_129.033 aus dem Widerspruch zu den Gefahren der Großstadt, pse_129.034 hat sie dann später bloß die gemütliche Enge zu ihrem pse_129.035 Lebensbereich gemacht. Aber von ihr aus dürfen Landschaft pse_129.036 und Heimat in ihren dichterischen Möglichkeiten nicht beurteilt pse_129.037 werden. Daß auch das wirbelnde Leben der Großstadt pse_129.038 ein unendlich reicher Lebensraum ist, der dichterische Blicke
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vergessen werden, daß in früher Zeit zum Beispiel die Helden- pse_129.004
und dann die Ritterdichtung, die doch beide aus der scharf pse_129.005
umgrenzten Sicht des Helden (z. B. Atlilied) oder des Ritters pse_129.006
(z. B. Iwein) erstanden sind, auch in die Hintergründe und pse_129.007
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Auch der Lebensraum kann eine Fülle von dichterischen pse_129.009
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Blümlein bis zur ewigen Sternenwelt finden wir, besonders in pse_129.011
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ist geschaffen aus schweren und beängstigenden Blicken in die pse_129.014
Unheimlichkeiten und Rätsel der Natur um uns. Man denke pse_129.015
an García Lorca, an Ungaretti, an Saint-John Perse, an Benn. pse_129.016
Enger ist schon der Blick auf die Landschaft, aber auch sie gestattet pse_129.017
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Storms »Schimmelreiter«, der Zauber der mitteldeutschen pse_129.019
Wälder, etwa im »Glasperlenspiel« Hesses, und die Unberührtheit pse_129.020
und Erhabenheit des Hochgebirges in Stifters Dichtungen. pse_129.021
Wenn dazu das Gefühl der Geborgenheit kommt, dann wird pse_129.022
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meist die kleinere oder das Dorf mit ihrer Umwelt. pse_129.024
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kann gerade die Heimatdichtung zur Enge führen und pse_129.031
den Blick in die Tiefen verschließen. Das war das Schicksal pse_129.032
der Heimatkunst am Ende des 19. Jahrhunderts. Herausgewachsen pse_129.033
aus dem Widerspruch zu den Gefahren der Großstadt, pse_129.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/145>, abgerufen am 21.11.2024.
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