pse_120.001 Verehrung bestimmter Künstler und die Vertiefung (nicht pse_120.002 bloß wissenschaftlicher Art) in ihre Werke dagegenhalten: pse_120.003 Mozart, Bach, Goethe, Hölderlin, Stifter?
pse_120.004 Das Groteske weist Übergänge in andere Haltungen auf. pse_120.005 Die zum Komischen sind ohne weiteres verständlich. Die pse_120.006 Widersprüchlichkeit, die Fallhöhe und gewisse Gestalten, die pse_120.007 komisch wirken, etwa die antiken Faune und Satyrn, führen pse_120.008 gerade ins Groteske hinein. Sogar zum Humor bestehen Beziehungen. pse_120.009 Beide Haltungen entspringen einem gewissen pse_120.010 Maß von Gesundheit und Lebenskraft, sie können daher aufeinanderstoßen. pse_120.011 Und sobald die grotesken Motive in eine pse_120.012 gewisse Distanz geraten, kann ihr Gewimmel von der Höhe pse_120.013 herab Heiterkeit erregen. Das Verrückte, das Verschrobene pse_120.014 wird klein, verliert das Bedrängende, und es kommt zum pse_120.015 heiteren Darüberschweben. Auch zur Tragik führen Wege. pse_120.016 Das Zerbrechen der menschlichen Ordnung, die wir im pse_120.017 Tragischen erleben, kann auch völlige Verfremdung werden. pse_120.018 Umgekehrt kann das Versagen der physischen Weltordnung, pse_120.019 wie es sich in den Motiven des Grotesken äußert, tiefe tragische pse_120.020 Erschütterung auslösen.
pse_120.021 V pse_120.022 DAS WELTBILD DER DICHTUNG
pse_120.023 Wir haben im ersten Teil (S. 47-52) die Frage erörtert, wie pse_120.024 Dichtung mit den geistigen Ordnungsleistungen (Religion, pse_120.025 Metaphysik, Weltanschauung, Sittlichkeit im Rahmen von pse_120.026 Welterfassung, Weltordnung und Weltgestaltung) zusammenhängt. pse_120.027 Wenn wir nochmals, nun unter anderen Gesichtspunkten, pse_120.028 die Frage nach dem Weltbild in der Dichtung aufgreifen, pse_120.029 so muß an das Grundsätzliche von früher erinnert pse_120.030 werden. Dichter sind nicht gleichgültig gegen Letztes in der pse_120.031 Weltordnung, weil auch sie die Tiefe der Welt erleben. In pse_120.032 Dichtungen öffnet sich diese Tiefe aber nicht als Erkenntnis,
pse_120.001 Verehrung bestimmter Künstler und die Vertiefung (nicht pse_120.002 bloß wissenschaftlicher Art) in ihre Werke dagegenhalten: pse_120.003 Mozart, Bach, Goethe, Hölderlin, Stifter?
pse_120.004 Das Groteske weist Übergänge in andere Haltungen auf. pse_120.005 Die zum Komischen sind ohne weiteres verständlich. Die pse_120.006 Widersprüchlichkeit, die Fallhöhe und gewisse Gestalten, die pse_120.007 komisch wirken, etwa die antiken Faune und Satyrn, führen pse_120.008 gerade ins Groteske hinein. Sogar zum Humor bestehen Beziehungen. pse_120.009 Beide Haltungen entspringen einem gewissen pse_120.010 Maß von Gesundheit und Lebenskraft, sie können daher aufeinanderstoßen. pse_120.011 Und sobald die grotesken Motive in eine pse_120.012 gewisse Distanz geraten, kann ihr Gewimmel von der Höhe pse_120.013 herab Heiterkeit erregen. Das Verrückte, das Verschrobene pse_120.014 wird klein, verliert das Bedrängende, und es kommt zum pse_120.015 heiteren Darüberschweben. Auch zur Tragik führen Wege. pse_120.016 Das Zerbrechen der menschlichen Ordnung, die wir im pse_120.017 Tragischen erleben, kann auch völlige Verfremdung werden. pse_120.018 Umgekehrt kann das Versagen der physischen Weltordnung, pse_120.019 wie es sich in den Motiven des Grotesken äußert, tiefe tragische pse_120.020 Erschütterung auslösen.
pse_120.021 V pse_120.022 DAS WELTBILD DER DICHTUNG
pse_120.023 Wir haben im ersten Teil (S. 47–52) die Frage erörtert, wie pse_120.024 Dichtung mit den geistigen Ordnungsleistungen (Religion, pse_120.025 Metaphysik, Weltanschauung, Sittlichkeit im Rahmen von pse_120.026 Welterfassung, Weltordnung und Weltgestaltung) zusammenhängt. pse_120.027 Wenn wir nochmals, nun unter anderen Gesichtspunkten, pse_120.028 die Frage nach dem Weltbild in der Dichtung aufgreifen, pse_120.029 so muß an das Grundsätzliche von früher erinnert pse_120.030 werden. Dichter sind nicht gleichgültig gegen Letztes in der pse_120.031 Weltordnung, weil auch sie die Tiefe der Welt erleben. In pse_120.032 Dichtungen öffnet sich diese Tiefe aber nicht als Erkenntnis,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0136"n="120"/><lbn="pse_120.001"/>
Verehrung bestimmter Künstler und die Vertiefung (nicht <lbn="pse_120.002"/>
bloß wissenschaftlicher Art) in ihre Werke dagegenhalten: <lbn="pse_120.003"/>
Mozart, Bach, Goethe, Hölderlin, Stifter?</p><p><lbn="pse_120.004"/>
Das Groteske weist Übergänge in andere Haltungen auf. <lbn="pse_120.005"/>
Die zum Komischen sind ohne weiteres verständlich. Die <lbn="pse_120.006"/>
Widersprüchlichkeit, die Fallhöhe und gewisse Gestalten, die <lbn="pse_120.007"/>
komisch wirken, etwa die antiken Faune und Satyrn, führen <lbn="pse_120.008"/>
gerade ins Groteske hinein. Sogar zum Humor bestehen Beziehungen. <lbn="pse_120.009"/>
Beide Haltungen entspringen einem gewissen <lbn="pse_120.010"/>
Maß von Gesundheit und Lebenskraft, sie können daher aufeinanderstoßen. <lbn="pse_120.011"/>
Und sobald die grotesken Motive in eine <lbn="pse_120.012"/>
gewisse Distanz geraten, kann ihr Gewimmel von der Höhe <lbn="pse_120.013"/>
herab Heiterkeit erregen. Das Verrückte, das Verschrobene <lbn="pse_120.014"/>
wird klein, verliert das Bedrängende, und es kommt zum <lbn="pse_120.015"/>
heiteren Darüberschweben. Auch zur Tragik führen Wege. <lbn="pse_120.016"/>
Das Zerbrechen der menschlichen Ordnung, die wir im <lbn="pse_120.017"/>
Tragischen erleben, kann auch völlige Verfremdung werden. <lbn="pse_120.018"/>
Umgekehrt kann das Versagen der physischen Weltordnung, <lbn="pse_120.019"/>
wie es sich in den Motiven des Grotesken äußert, tiefe tragische <lbn="pse_120.020"/>
Erschütterung auslösen.</p></div></div><divn="2"><lbn="pse_120.021"/><head><hirendition="#c">V <lbn="pse_120.022"/><hirendition="#g">DAS WELTBILD DER DICHTUNG</hi></hi></head><p><lbn="pse_120.023"/>
Wir haben im ersten Teil (S. 47–52) die Frage erörtert, wie <lbn="pse_120.024"/>
Dichtung mit den geistigen Ordnungsleistungen (Religion, <lbn="pse_120.025"/>
Metaphysik, Weltanschauung, Sittlichkeit im Rahmen von <lbn="pse_120.026"/>
Welterfassung, Weltordnung und Weltgestaltung) zusammenhängt. <lbn="pse_120.027"/>
Wenn wir nochmals, nun unter anderen Gesichtspunkten, <lbn="pse_120.028"/>
die Frage nach dem Weltbild in der Dichtung aufgreifen, <lbn="pse_120.029"/>
so muß an das Grundsätzliche von früher erinnert <lbn="pse_120.030"/>
werden. Dichter sind nicht gleichgültig gegen Letztes in der <lbn="pse_120.031"/>
Weltordnung, weil auch sie die Tiefe der Welt erleben. In <lbn="pse_120.032"/>
Dichtungen öffnet sich diese Tiefe aber nicht als Erkenntnis,
</p></div></div></body></text></TEI>
[120/0136]
pse_120.001
Verehrung bestimmter Künstler und die Vertiefung (nicht pse_120.002
bloß wissenschaftlicher Art) in ihre Werke dagegenhalten: pse_120.003
Mozart, Bach, Goethe, Hölderlin, Stifter?
pse_120.004
Das Groteske weist Übergänge in andere Haltungen auf. pse_120.005
Die zum Komischen sind ohne weiteres verständlich. Die pse_120.006
Widersprüchlichkeit, die Fallhöhe und gewisse Gestalten, die pse_120.007
komisch wirken, etwa die antiken Faune und Satyrn, führen pse_120.008
gerade ins Groteske hinein. Sogar zum Humor bestehen Beziehungen. pse_120.009
Beide Haltungen entspringen einem gewissen pse_120.010
Maß von Gesundheit und Lebenskraft, sie können daher aufeinanderstoßen. pse_120.011
Und sobald die grotesken Motive in eine pse_120.012
gewisse Distanz geraten, kann ihr Gewimmel von der Höhe pse_120.013
herab Heiterkeit erregen. Das Verrückte, das Verschrobene pse_120.014
wird klein, verliert das Bedrängende, und es kommt zum pse_120.015
heiteren Darüberschweben. Auch zur Tragik führen Wege. pse_120.016
Das Zerbrechen der menschlichen Ordnung, die wir im pse_120.017
Tragischen erleben, kann auch völlige Verfremdung werden. pse_120.018
Umgekehrt kann das Versagen der physischen Weltordnung, pse_120.019
wie es sich in den Motiven des Grotesken äußert, tiefe tragische pse_120.020
Erschütterung auslösen.
pse_120.021
V pse_120.022
DAS WELTBILD DER DICHTUNG pse_120.023
Wir haben im ersten Teil (S. 47–52) die Frage erörtert, wie pse_120.024
Dichtung mit den geistigen Ordnungsleistungen (Religion, pse_120.025
Metaphysik, Weltanschauung, Sittlichkeit im Rahmen von pse_120.026
Welterfassung, Weltordnung und Weltgestaltung) zusammenhängt. pse_120.027
Wenn wir nochmals, nun unter anderen Gesichtspunkten, pse_120.028
die Frage nach dem Weltbild in der Dichtung aufgreifen, pse_120.029
so muß an das Grundsätzliche von früher erinnert pse_120.030
werden. Dichter sind nicht gleichgültig gegen Letztes in der pse_120.031
Weltordnung, weil auch sie die Tiefe der Welt erleben. In pse_120.032
Dichtungen öffnet sich diese Tiefe aber nicht als Erkenntnis,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/136>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.