pse_098.001 Übersteigerung, Vereinseitigung und Wertunsicherheit, pse_098.002 wenn der Begriff des Helden auch verfälscht werden kann, pse_098.003 besteht doch kein Anlaß, über Heldendichtung den Stab zu pse_098.004 brechen. Die Helden einer Ilias, einer Edda, eines Cid liegen pse_098.005 über kleinlichem Mäklertum. Auch der Märtyrer ist in seiner pse_098.006 übermenschlichen Unbedingtheit für höchste Werte ein pse_098.007 Held.
pse_098.008 Aber diese Überlegungen führen auch dazu, verschiedene pse_098.009 Arten des Erhabenen zu erkennen; einige seien herausgegriffen: pse_098.010 die innere Größe (eines Sokrates oder Seneca); das pse_098.011 Ernste, Feierliche, Überragende, Tiefsinnige (etwa in Dantes pse_098.012 Divina Commedia), das in sich Geschlossene, Vollkommene pse_098.013 (des Parthenon, der Sixtinischen Kapelle); das Überlegene, pse_098.014 das Imponierende, Begeisternde (Schlußsatz der Neunten), pse_098.015 das Ungeheure, Gewaltige, Furchtbare (Naturmächte, Macbeth). pse_098.016 Hier setzt aber etwas Neues an: das Erschütternde. Und pse_098.017 mit ihm kommen wir in weitere Bereiche des Ernstes.
pse_098.018 Man kann den ewigen Kreislauf des Lebens, in dem jedes pse_098.019 einzelne Ereignis unbedeutend wird und alles in diesem Kreis pse_098.020 wiederkehrt, durchaus mit tiefem Ernst erfassen. Wenn aber pse_098.021 das Leben als ein fortlaufendes erfaßt wird, wenn immer neue pse_098.022 Situationen den Menschen an den Abgrund führen, entsteht pse_098.023 eine große Unruhe aus dem Ernst. Wird diese Unruhe gesteigert, pse_098.024 so kann die Erschütterung entstehen.
pse_098.025 Wenn diese Haltung der Erschütterung maßgebend ist für pse_098.026 die Bildung einer Weltsicht, so bekommt die Welt eine pse_098.027 eigenartige Färbung, in der manches als entscheidend heraustritt, pse_098.028 anderes ganz in den Hintergrund. Wir betreten den pse_098.029 Raum des Tragischen und der Tragik.
pse_098.030 Er gehört zu den vielbehandelten in der Geschichte der pse_098.031 Poetik, auch stoßen sich hier und folgen einander die mannigfachsten pse_098.032 und oft entgegengesetztesten Auffassungen. Wir pse_098.033 werden erkennen, daß Tragisches nicht nur in der Tragödie pse_098.034 gestaltet wird, sondern auch in anderen Dichtungen. Wir pse_098.035 heben also diese Weltauffassung so gut wie möglich von der pse_098.036 reinen Tragödiendichtung ab, bleiben uns aber immer bewußt, pse_098.037 daß Tragik am reinsten und ausschließlichsten in der Kunstform pse_098.038 der Tragödie lebt. Es wird also manches aus dem Fragenkreis
pse_098.001 Übersteigerung, Vereinseitigung und Wertunsicherheit, pse_098.002 wenn der Begriff des Helden auch verfälscht werden kann, pse_098.003 besteht doch kein Anlaß, über Heldendichtung den Stab zu pse_098.004 brechen. Die Helden einer Ilias, einer Edda, eines Cid liegen pse_098.005 über kleinlichem Mäklertum. Auch der Märtyrer ist in seiner pse_098.006 übermenschlichen Unbedingtheit für höchste Werte ein pse_098.007 Held.
pse_098.008 Aber diese Überlegungen führen auch dazu, verschiedene pse_098.009 Arten des Erhabenen zu erkennen; einige seien herausgegriffen: pse_098.010 die innere Größe (eines Sokrates oder Seneca); das pse_098.011 Ernste, Feierliche, Überragende, Tiefsinnige (etwa in Dantes pse_098.012 Divina Commedia), das in sich Geschlossene, Vollkommene pse_098.013 (des Parthenon, der Sixtinischen Kapelle); das Überlegene, pse_098.014 das Imponierende, Begeisternde (Schlußsatz der Neunten), pse_098.015 das Ungeheure, Gewaltige, Furchtbare (Naturmächte, Macbeth). pse_098.016 Hier setzt aber etwas Neues an: das Erschütternde. Und pse_098.017 mit ihm kommen wir in weitere Bereiche des Ernstes.
pse_098.018 Man kann den ewigen Kreislauf des Lebens, in dem jedes pse_098.019 einzelne Ereignis unbedeutend wird und alles in diesem Kreis pse_098.020 wiederkehrt, durchaus mit tiefem Ernst erfassen. Wenn aber pse_098.021 das Leben als ein fortlaufendes erfaßt wird, wenn immer neue pse_098.022 Situationen den Menschen an den Abgrund führen, entsteht pse_098.023 eine große Unruhe aus dem Ernst. Wird diese Unruhe gesteigert, pse_098.024 so kann die Erschütterung entstehen.
pse_098.025 Wenn diese Haltung der Erschütterung maßgebend ist für pse_098.026 die Bildung einer Weltsicht, so bekommt die Welt eine pse_098.027 eigenartige Färbung, in der manches als entscheidend heraustritt, pse_098.028 anderes ganz in den Hintergrund. Wir betreten den pse_098.029 Raum des Tragischen und der Tragik.
pse_098.030 Er gehört zu den vielbehandelten in der Geschichte der pse_098.031 Poetik, auch stoßen sich hier und folgen einander die mannigfachsten pse_098.032 und oft entgegengesetztesten Auffassungen. Wir pse_098.033 werden erkennen, daß Tragisches nicht nur in der Tragödie pse_098.034 gestaltet wird, sondern auch in anderen Dichtungen. Wir pse_098.035 heben also diese Weltauffassung so gut wie möglich von der pse_098.036 reinen Tragödiendichtung ab, bleiben uns aber immer bewußt, pse_098.037 daß Tragik am reinsten und ausschließlichsten in der Kunstform pse_098.038 der Tragödie lebt. Es wird also manches aus dem Fragenkreis
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besteht doch kein Anlaß, über Heldendichtung den Stab zu pse_098.004
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über kleinlichem Mäklertum. Auch der Märtyrer ist in seiner pse_098.006
übermenschlichen Unbedingtheit für höchste Werte ein pse_098.007
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Aber diese Überlegungen führen auch dazu, verschiedene pse_098.009
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die innere Größe (eines Sokrates oder Seneca); das pse_098.011
Ernste, Feierliche, Überragende, Tiefsinnige (etwa in Dantes pse_098.012
Divina Commedia), das in sich Geschlossene, Vollkommene pse_098.013
(des Parthenon, der Sixtinischen Kapelle); das Überlegene, pse_098.014
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Hier setzt aber etwas Neues an: das Erschütternde. Und pse_098.017
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Man kann den ewigen Kreislauf des Lebens, in dem jedes pse_098.019
einzelne Ereignis unbedeutend wird und alles in diesem Kreis pse_098.020
wiederkehrt, durchaus mit tiefem Ernst erfassen. Wenn aber pse_098.021
das Leben als ein fortlaufendes erfaßt wird, wenn immer neue pse_098.022
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Wenn diese Haltung der Erschütterung maßgebend ist für pse_098.026
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Er gehört zu den vielbehandelten in der Geschichte der pse_098.031
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und oft entgegengesetztesten Auffassungen. Wir pse_098.033
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gestaltet wird, sondern auch in anderen Dichtungen. Wir pse_098.035
heben also diese Weltauffassung so gut wie möglich von der pse_098.036
reinen Tragödiendichtung ab, bleiben uns aber immer bewußt, pse_098.037
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/114>, abgerufen am 24.11.2024.
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