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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Übersteigerung, Vereinseitigung und Wertunsicherheit, pse_098.002
wenn der Begriff des Helden auch verfälscht werden kann, pse_098.003
besteht doch kein Anlaß, über Heldendichtung den Stab zu pse_098.004
brechen. Die Helden einer Ilias, einer Edda, eines Cid liegen pse_098.005
über kleinlichem Mäklertum. Auch der Märtyrer ist in seiner pse_098.006
übermenschlichen Unbedingtheit für höchste Werte ein pse_098.007
Held.

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Aber diese Überlegungen führen auch dazu, verschiedene pse_098.009
Arten des Erhabenen zu erkennen; einige seien herausgegriffen: pse_098.010
die innere Größe (eines Sokrates oder Seneca); das pse_098.011
Ernste, Feierliche, Überragende, Tiefsinnige (etwa in Dantes pse_098.012
Divina Commedia), das in sich Geschlossene, Vollkommene pse_098.013
(des Parthenon, der Sixtinischen Kapelle); das Überlegene, pse_098.014
das Imponierende, Begeisternde (Schlußsatz der Neunten), pse_098.015
das Ungeheure, Gewaltige, Furchtbare (Naturmächte, Macbeth). pse_098.016
Hier setzt aber etwas Neues an: das Erschütternde. Und pse_098.017
mit ihm kommen wir in weitere Bereiche des Ernstes.

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Man kann den ewigen Kreislauf des Lebens, in dem jedes pse_098.019
einzelne Ereignis unbedeutend wird und alles in diesem Kreis pse_098.020
wiederkehrt, durchaus mit tiefem Ernst erfassen. Wenn aber pse_098.021
das Leben als ein fortlaufendes erfaßt wird, wenn immer neue pse_098.022
Situationen den Menschen an den Abgrund führen, entsteht pse_098.023
eine große Unruhe aus dem Ernst. Wird diese Unruhe gesteigert, pse_098.024
so kann die Erschütterung entstehen.

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Wenn diese Haltung der Erschütterung maßgebend ist für pse_098.026
die Bildung einer Weltsicht, so bekommt die Welt eine pse_098.027
eigenartige Färbung, in der manches als entscheidend heraustritt, pse_098.028
anderes ganz in den Hintergrund. Wir betreten den pse_098.029
Raum des Tragischen und der Tragik.

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Er gehört zu den vielbehandelten in der Geschichte der pse_098.031
Poetik, auch stoßen sich hier und folgen einander die mannigfachsten pse_098.032
und oft entgegengesetztesten Auffassungen. Wir pse_098.033
werden erkennen, daß Tragisches nicht nur in der Tragödie pse_098.034
gestaltet wird, sondern auch in anderen Dichtungen. Wir pse_098.035
heben also diese Weltauffassung so gut wie möglich von der pse_098.036
reinen Tragödiendichtung ab, bleiben uns aber immer bewußt, pse_098.037
daß Tragik am reinsten und ausschließlichsten in der Kunstform pse_098.038
der Tragödie lebt. Es wird also manches aus dem Fragenkreis

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über kleinlichem Mäklertum. Auch der Märtyrer ist in seiner pse_098.006
übermenschlichen Unbedingtheit für höchste Werte ein pse_098.007
Held.

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Aber diese Überlegungen führen auch dazu, verschiedene pse_098.009
Arten des Erhabenen zu erkennen; einige seien herausgegriffen: pse_098.010
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Divina Commedia), das in sich Geschlossene, Vollkommene pse_098.013
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Hier setzt aber etwas Neues an: das Erschütternde. Und pse_098.017
mit ihm kommen wir in weitere Bereiche des Ernstes.

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Man kann den ewigen Kreislauf des Lebens, in dem jedes pse_098.019
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wiederkehrt, durchaus mit tiefem Ernst erfassen. Wenn aber pse_098.021
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eine große Unruhe aus dem Ernst. Wird diese Unruhe gesteigert, pse_098.024
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Wenn diese Haltung der Erschütterung maßgebend ist für pse_098.026
die Bildung einer Weltsicht, so bekommt die Welt eine pse_098.027
eigenartige Färbung, in der manches als entscheidend heraustritt, pse_098.028
anderes ganz in den Hintergrund. Wir betreten den pse_098.029
Raum des Tragischen und der Tragik.

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Er gehört zu den vielbehandelten in der Geschichte der pse_098.031
Poetik, auch stoßen sich hier und folgen einander die mannigfachsten pse_098.032
und oft entgegengesetztesten Auffassungen. Wir pse_098.033
werden erkennen, daß Tragisches nicht nur in der Tragödie pse_098.034
gestaltet wird, sondern auch in anderen Dichtungen. Wir pse_098.035
heben also diese Weltauffassung so gut wie möglich von der pse_098.036
reinen Tragödiendichtung ab, bleiben uns aber immer bewußt, pse_098.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/114>, abgerufen am 24.11.2024.