pse_096.001 auch jegliches Fehlen des Spielerischen, meist auch pse_096.002 das Lachen. Aber gleich hier erkennt man: diese Haltung pse_096.003 färbt auch auf die Welt ab, die in solcher Gestimmtheit aufgefaßt pse_096.004 wird. Der Volksmund sagt sehr richtig, man sehe die pse_096.005 Welt durch eine dunkle Brille.
pse_096.006 Eine Steigerung erfährt diese Haltung im Pathos. Das vielgebrauchte pse_096.007 Wort ist seit der Poetik des Aristoteles in der pse_096.008 Dichtungslehre üblich. Ursprünglich verbindet sich in ihm die pse_096.009 Vorstellung des Leidens und der Handlung: eine Begebenheit, pse_096.010 ein Unfall führt zum Leiden. Goethe versteht darunter schwere pse_096.011 sittliche Unfälle, wie sie etwa geradezu in einem Titel schon pse_096.012 ausgedrückt sein können ("Bruderzwist"). In der Tragödie ist pse_096.013 dann im Zuge der Verwesentlichung eine Steigerung davon pse_096.014 gestaltet: ein besonders hohes Leiden und ein ungeheurer pse_096.015 Fall. Der Tragödienheld ist also der von einem ungeheuren pse_096.016 Fall Betroffene. Erst daraus hat sich dann später der Begriff pse_096.017 ausgebildet, den wir heute als Pathos bezeichnen. Aus dem pse_096.018 Erleben solchen Pathos in der Tragödie ergab sich deutlich pse_096.019 eine bestimmte Haltung, in die wir durch solches Pathos versetzt pse_096.020 werden: eben das, was wir heute Pathos nennen, eine pse_096.021 starke Gehobenheit. Ursprünglich gehört das Wort also der pse_096.022 Kunst, vor allem der Bühne an. Daher kommt es, daß es auch pse_096.023 die Darstellungsart durch den Schauspieler bezeichnet, die uns pse_096.024 diesen ungeheuren Fall besonders eindringlich erleben lassen pse_096.025 kann. Von diesem Hintergrund und Sinn losgetrennt, entwickelt pse_096.026 sich dann eine bestimmte Art zu sprechen und sich pse_096.027 zu gebärden, die man pathetisch nennt und die dann hohl pse_096.028 wird, wenn kein tiefer Hintergrund mehr durchscheint: pse_096.029 falsches Pathos; dieses hat das Wort überhaupt etwas in Verruf pse_096.030 gebracht. Aber die pathetisch-gehobene Haltung, um die pse_096.031 sich auch Schiller als Theoretiker bemüht hat, besteht. Sie pse_096.032 bezeichnet immer eine bestimmte Höhe über dem Alltag, sie pse_096.033 kommt dem gesteigerten Menschen zu, der von dem bewegt pse_096.034 ist, was sein soll. Daher erwächst dem echten Pathos auch der pse_096.035 Charakter der Unbedingtheit.
pse_096.036 Daraus entspringt nun die Weltauffassung des Erhabenen.pse_096.037 Der pathetische Mensch oder der Mensch im Zustand des pse_096.038 Pathos sieht vor allem Weltzusammenhänge des Erhabenen,
pse_096.001 auch jegliches Fehlen des Spielerischen, meist auch pse_096.002 das Lachen. Aber gleich hier erkennt man: diese Haltung pse_096.003 färbt auch auf die Welt ab, die in solcher Gestimmtheit aufgefaßt pse_096.004 wird. Der Volksmund sagt sehr richtig, man sehe die pse_096.005 Welt durch eine dunkle Brille.
pse_096.006 Eine Steigerung erfährt diese Haltung im Pathos. Das vielgebrauchte pse_096.007 Wort ist seit der Poetik des Aristoteles in der pse_096.008 Dichtungslehre üblich. Ursprünglich verbindet sich in ihm die pse_096.009 Vorstellung des Leidens und der Handlung: eine Begebenheit, pse_096.010 ein Unfall führt zum Leiden. Goethe versteht darunter schwere pse_096.011 sittliche Unfälle, wie sie etwa geradezu in einem Titel schon pse_096.012 ausgedrückt sein können (»Bruderzwist«). In der Tragödie ist pse_096.013 dann im Zuge der Verwesentlichung eine Steigerung davon pse_096.014 gestaltet: ein besonders hohes Leiden und ein ungeheurer pse_096.015 Fall. Der Tragödienheld ist also der von einem ungeheuren pse_096.016 Fall Betroffene. Erst daraus hat sich dann später der Begriff pse_096.017 ausgebildet, den wir heute als Pathos bezeichnen. Aus dem pse_096.018 Erleben solchen Pathos in der Tragödie ergab sich deutlich pse_096.019 eine bestimmte Haltung, in die wir durch solches Pathos versetzt pse_096.020 werden: eben das, was wir heute Pathos nennen, eine pse_096.021 starke Gehobenheit. Ursprünglich gehört das Wort also der pse_096.022 Kunst, vor allem der Bühne an. Daher kommt es, daß es auch pse_096.023 die Darstellungsart durch den Schauspieler bezeichnet, die uns pse_096.024 diesen ungeheuren Fall besonders eindringlich erleben lassen pse_096.025 kann. Von diesem Hintergrund und Sinn losgetrennt, entwickelt pse_096.026 sich dann eine bestimmte Art zu sprechen und sich pse_096.027 zu gebärden, die man pathetisch nennt und die dann hohl pse_096.028 wird, wenn kein tiefer Hintergrund mehr durchscheint: pse_096.029 falsches Pathos; dieses hat das Wort überhaupt etwas in Verruf pse_096.030 gebracht. Aber die pathetisch-gehobene Haltung, um die pse_096.031 sich auch Schiller als Theoretiker bemüht hat, besteht. Sie pse_096.032 bezeichnet immer eine bestimmte Höhe über dem Alltag, sie pse_096.033 kommt dem gesteigerten Menschen zu, der von dem bewegt pse_096.034 ist, was sein soll. Daher erwächst dem echten Pathos auch der pse_096.035 Charakter der Unbedingtheit.
pse_096.036 Daraus entspringt nun die Weltauffassung des Erhabenen.pse_096.037 Der pathetische Mensch oder der Mensch im Zustand des pse_096.038 Pathos sieht vor allem Weltzusammenhänge des Erhabenen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0112"n="96"/><lbn="pse_096.001"/>
auch jegliches Fehlen des Spielerischen, meist auch <lbn="pse_096.002"/>
das Lachen. Aber gleich hier erkennt man: diese Haltung <lbn="pse_096.003"/>
färbt auch auf die Welt ab, die in solcher Gestimmtheit aufgefaßt <lbn="pse_096.004"/>
wird. Der Volksmund sagt sehr richtig, man sehe die <lbn="pse_096.005"/>
Welt durch eine dunkle Brille.</p><p><lbn="pse_096.006"/>
Eine Steigerung erfährt diese Haltung im <hirendition="#i">Pathos.</hi> Das vielgebrauchte <lbn="pse_096.007"/>
Wort ist seit der Poetik des Aristoteles in der <lbn="pse_096.008"/>
Dichtungslehre üblich. Ursprünglich verbindet sich in ihm die <lbn="pse_096.009"/>
Vorstellung des Leidens und der Handlung: eine Begebenheit, <lbn="pse_096.010"/>
ein Unfall führt zum Leiden. Goethe versteht darunter schwere <lbn="pse_096.011"/>
sittliche Unfälle, wie sie etwa geradezu in einem Titel schon <lbn="pse_096.012"/>
ausgedrückt sein können (»Bruderzwist«). In der Tragödie ist <lbn="pse_096.013"/>
dann im Zuge der Verwesentlichung eine Steigerung davon <lbn="pse_096.014"/>
gestaltet: ein besonders hohes Leiden und ein ungeheurer <lbn="pse_096.015"/>
Fall. Der Tragödienheld ist also der von einem ungeheuren <lbn="pse_096.016"/>
Fall Betroffene. Erst daraus hat sich dann später der Begriff <lbn="pse_096.017"/>
ausgebildet, den wir heute als Pathos bezeichnen. Aus dem <lbn="pse_096.018"/>
Erleben solchen Pathos in der Tragödie ergab sich deutlich <lbn="pse_096.019"/>
eine bestimmte Haltung, in die wir durch solches Pathos versetzt <lbn="pse_096.020"/>
werden: eben das, was wir heute Pathos nennen, eine <lbn="pse_096.021"/>
starke Gehobenheit. Ursprünglich gehört das Wort also der <lbn="pse_096.022"/>
Kunst, vor allem der Bühne an. Daher kommt es, daß es auch <lbn="pse_096.023"/>
die Darstellungsart durch den Schauspieler bezeichnet, die uns <lbn="pse_096.024"/>
diesen ungeheuren Fall besonders eindringlich erleben lassen <lbn="pse_096.025"/>
kann. Von diesem Hintergrund und Sinn losgetrennt, entwickelt <lbn="pse_096.026"/>
sich dann eine bestimmte Art zu sprechen und sich <lbn="pse_096.027"/>
zu gebärden, die man pathetisch nennt und die dann hohl <lbn="pse_096.028"/>
wird, wenn kein tiefer Hintergrund mehr durchscheint: <lbn="pse_096.029"/>
falsches Pathos; dieses hat das Wort überhaupt etwas in Verruf <lbn="pse_096.030"/>
gebracht. Aber die pathetisch-gehobene Haltung, um die <lbn="pse_096.031"/>
sich auch Schiller als Theoretiker bemüht hat, besteht. Sie <lbn="pse_096.032"/>
bezeichnet immer eine bestimmte Höhe über dem Alltag, sie <lbn="pse_096.033"/>
kommt dem gesteigerten Menschen zu, der von dem bewegt <lbn="pse_096.034"/>
ist, was sein soll. Daher erwächst dem echten Pathos auch der <lbn="pse_096.035"/>
Charakter der Unbedingtheit.</p><p><lbn="pse_096.036"/>
Daraus entspringt nun die Weltauffassung des <hirendition="#i">Erhabenen.</hi><lbn="pse_096.037"/>
Der pathetische Mensch oder der Mensch im Zustand des <lbn="pse_096.038"/>
Pathos sieht vor allem Weltzusammenhänge des Erhabenen,
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[96/0112]
pse_096.001
auch jegliches Fehlen des Spielerischen, meist auch pse_096.002
das Lachen. Aber gleich hier erkennt man: diese Haltung pse_096.003
färbt auch auf die Welt ab, die in solcher Gestimmtheit aufgefaßt pse_096.004
wird. Der Volksmund sagt sehr richtig, man sehe die pse_096.005
Welt durch eine dunkle Brille.
pse_096.006
Eine Steigerung erfährt diese Haltung im Pathos. Das vielgebrauchte pse_096.007
Wort ist seit der Poetik des Aristoteles in der pse_096.008
Dichtungslehre üblich. Ursprünglich verbindet sich in ihm die pse_096.009
Vorstellung des Leidens und der Handlung: eine Begebenheit, pse_096.010
ein Unfall führt zum Leiden. Goethe versteht darunter schwere pse_096.011
sittliche Unfälle, wie sie etwa geradezu in einem Titel schon pse_096.012
ausgedrückt sein können (»Bruderzwist«). In der Tragödie ist pse_096.013
dann im Zuge der Verwesentlichung eine Steigerung davon pse_096.014
gestaltet: ein besonders hohes Leiden und ein ungeheurer pse_096.015
Fall. Der Tragödienheld ist also der von einem ungeheuren pse_096.016
Fall Betroffene. Erst daraus hat sich dann später der Begriff pse_096.017
ausgebildet, den wir heute als Pathos bezeichnen. Aus dem pse_096.018
Erleben solchen Pathos in der Tragödie ergab sich deutlich pse_096.019
eine bestimmte Haltung, in die wir durch solches Pathos versetzt pse_096.020
werden: eben das, was wir heute Pathos nennen, eine pse_096.021
starke Gehobenheit. Ursprünglich gehört das Wort also der pse_096.022
Kunst, vor allem der Bühne an. Daher kommt es, daß es auch pse_096.023
die Darstellungsart durch den Schauspieler bezeichnet, die uns pse_096.024
diesen ungeheuren Fall besonders eindringlich erleben lassen pse_096.025
kann. Von diesem Hintergrund und Sinn losgetrennt, entwickelt pse_096.026
sich dann eine bestimmte Art zu sprechen und sich pse_096.027
zu gebärden, die man pathetisch nennt und die dann hohl pse_096.028
wird, wenn kein tiefer Hintergrund mehr durchscheint: pse_096.029
falsches Pathos; dieses hat das Wort überhaupt etwas in Verruf pse_096.030
gebracht. Aber die pathetisch-gehobene Haltung, um die pse_096.031
sich auch Schiller als Theoretiker bemüht hat, besteht. Sie pse_096.032
bezeichnet immer eine bestimmte Höhe über dem Alltag, sie pse_096.033
kommt dem gesteigerten Menschen zu, der von dem bewegt pse_096.034
ist, was sein soll. Daher erwächst dem echten Pathos auch der pse_096.035
Charakter der Unbedingtheit.
pse_096.036
Daraus entspringt nun die Weltauffassung des Erhabenen. pse_096.037
Der pathetische Mensch oder der Mensch im Zustand des pse_096.038
Pathos sieht vor allem Weltzusammenhänge des Erhabenen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/112>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.